Die Europäische Union im Mittelpunkt des Interesses der tschechischen Medien
Auch die fünfzigste Woche des Jahres 2003 brachte in Tschechien eine Reihe von Ereignissen mit sich, die auch von den heimischen Medien näher unter die Lupe genommen und kommentiert wurden. Das wichtigste Thema war dabei zweifellos der Endspurt im Rennen um die endgültige Fassung der zukünftigen Verfassungsvertrags der Europäischen Union. Die Spitzen der 25 gegenwärtigen und künftigen Mitgliedsstaaten sind aus diesem Anlass zu einem Gipfeltreffen in Brüssel zusammengetroffen, wo sie an diesem Wochenende versuchen werden, einen Durchbruch bei den bisher strittigen Fragen zu erzielen. Mehr dazu im nachfolgenden Spiegel der Medien von Robert Schuster. Mit ihm ist auch Katrin Sliva am Mikrophon:
"Bei der Ausarbeitung dieses europäischen Verfassungsentwurfs stand die Angst Pate - nämlich die Angst vor uns, den künftigen zehn neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Es war die Angst angesichts des Umstands, dass mit der Erweiterung europäisches Recht auch in Ländern gelten soll, in denen bislang Recht und Gesetze nicht sonderlich viel bedeuteten. So dürfen wir uns auch nicht wundern, dass für viele der heutigen Europäer unser angestrebter EU-Beitritt mit dem seinerzeitigen Versuch der Barbaren verglichen wird die Grenzen des römischen Imperiums zu stürmen. Das kann man in gewisser Weise nachvollziehen, denn für Viele sind wir immer noch der Osten, d.h. jener Teil Europas, aus dem illegale Arbeiter, Gangster, oder Prostituierte Richtung Westen strömen. Wir leben jedoch auch in einer Welt, die nicht nur durch neue Gefahren, sondern auch Chancen und Möglichkeiten charakterisiert werden kann. Die angestrebte europäische Verfassung leistet dazu einen wichtigen Beitrag."
In der gleichen Zeitung fand sich jedoch auch ein bedeutend kritischerer Beitrag. Dessen Autor, Viliam Buchert, ging darin auf ein schon seit vielen Jahren kritisiertes Grundproblem der europäischen Gesetzgebung ein, nämlich die geringe Verständlichkeit der Gesetze und Verordnungen. Seiner Meinung nach hat dieses Übel auch in den europäischen Verfassungsentwurf Einzug gehalten.
"Obwohl die europäische Verfassung zweifelsohne die wichtigste politische Frage des heutigen Europas darstellt, verstehen den vorliegenden Entwurf mit Ausnahme einiger europäischer Bürokraten oder Verfassungsexperten nur wenige. Die Tschechen lässt der ganze Text sogar völlig gleichgültig. Das ist keine große Überraschung, denn weder die Politiker, noch die Verhandler vermochten den Bürgern zu erklären, worin die Vorteile und die Nachteile der Verfassung bestehen würden. Es ist somit fraglich, wozu wir ein Dokument brauchen, das uns zwar über die kommenden Jahre hinweg begleiten wird, aber dessen Inhalt wir nicht verstehen. So wird es wahrscheinlich zu keiner Katastrophe kommen, sollte der Text kommenden Wochenende nicht definitiv beschlossen werden."
Auch das zweite Thema, dem wir uns im heutigen Medienspiegel widmen werden, hängt im wesentlichen mit der nahenden Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union zusammen. Die tschechischen Wählerinnen und Wähler werden nämlich im Juni nächsten Jahres erstmals die Möglichkeit haben auch ihre Vertreter im Europaparlament zu bestimmen. Die meisten Parteien haben bereits in den vergangenen Tagen und Wochen ihre Spitzenkandidaten präsentiert und setzten dabei in den meisten Fällen auf bewährte und allgemein bekannte Persönlichkeiten.
Dennoch fiel eine dieser Bewerbungen aus dem Rahmen und sorgte in den vergangenen Tagen für einiges Aufsehen. Von den fernen Bahama-Inseln meldete sich der weltweit gesuchte tschechische Finanzjongleur Viktor Kozeny zurück und gab in einer Mail an die tschechischen Nachrichtenagentur CTK bekannt, er wolle bei den Europawahlen mit einer eigenen Liste antreten. Kozeny war zu Beginn der 90. Jahre einer der Gallionsfiguren der s.g. Coupon-Privatisierung, die sich als Ziel setzte den Bürgern die Möglichkeit zu geben an der Privatisierung der staatlichen Unternehmen teilzunehmen. Kozeny gründete damals eine Reihe von Investmentfonds und dank einer agressiven Werbekampagne und dem Versprechen in einigen wenigen Jahren das Zehnfache zurückzuzahlen, gelang es ihm eine nicht unbedeutende Zahl von Tschechen zu überzeugen. Als dann die Investoren den versprochenen Ertrag in der Höhe von etwas mehr als 10 000 Kronen einlösen wollten, machte sich Koený aus dem Staub und sein Imperium brach zusammen.
Später wiederholte sich das gleiche Szenario bei der geplanten Privatisierung der Ölfelder in Aserbaidschan, nur mit dem Unterschied, dass Koený diesmal das Geld amerikanischer Investoren in den Sand setzte. Seither schwebt über dem s.g. Piraten aus Prag, wie Viktor Koený in den amerikanischen Medien bezeichnet wird, ein weltweiter Haftbefehl.
Den Kommentarreigen zu Koenýs Kandidatur eröffnen wir mit einem Artikel von Jan Jandourek, der in der auflagestarken Tageszeitung Mlada fronta Dnes erschienen ist:
"Viktor Koený will also eine Partei gründen und unter dem Motto ´Der Mann, der die Welt veränderte und ein besseres Leben garantiert´ in den politischen Ring steigen. Eine Partei vom Ausland aus steuern zu wollen ist nichts Neues. Auch Lenin schaffte das und veränderte damit tatsächlich die Welt. Einigen wenigen Menschen verhalf Lenin auch wirklich zu einem besseren Leben, wie z.B. verschiedenen Mitgliedern des Politbüros. Dennoch sollte Koený so schnell wie möglich in die Heimat zurückkehren. Die Polizei würde ihn wohl vom Flughafen in Handschellen ins Gefängnis überführen, er würde aber zumindest auf die Titelseiten der Zeitungen kommen, was Parteigründern hierzulande nicht oft gelingt. Die Polizei würde ihn ja, wie es in Tschechien oft der Fall ist, sowieso wieder bald freilassen."
Zum gleichen Thema bringen wir Ihnen abschließend noch einen Kommentar von Patricie Polanská, der in der Wirtschaftszeitung Hospodá"ské noviny erschienen ist :
"Koený kommt einmal mehr wieder als Innovator daher. Diesmal füllt er Stichworte wie ´Uneigennützigkeit´ und ´Ideale´ mit neuem Inhalt - genau so, wie wir seit Koený heute unter ´Ehre´ und ´Ehrlichkeit´ etwas anderes zu verstehen gelernt haben. Eigentlich wäre diese Episode mit der Kandidatur zum Europaparlament eher lächerlich, wenn es aber auch gleichzeitig nicht um einen wichtigen Test gehen würde, denn das Sammeln der für eine Eintragung der Partei notwendigen 1000 Unterschriften will Koený schlicht einer Personalfirma anvertrauen. D.h. mit anderen Worten: Politik ist nicht ein Wettstreit von Ideen, sondern eigentlich ein Geschäft wie jedes andere auch."