Hokuspokusverschwindibus!
Seit der Wende entwickelt sich Prag immer mehr zu einer eigentlichen Einkaufsstadt. Geschäfte spriessen wie Pilze aus dem Boden, das Angebot ist inzwischen enorm. Wie alles, hat aber auch diese Entwicklung eine Kehrseite. Dazu der folgende Beitrag von Alexander Schneller.
Seit Jahren schon ist Prag eine spannende, lebendige und sich ständig verändernde Metropole. Es herrscht halt immer noch Gründerstimmung. Und so werden pausenlos neue Restaurants, Geschäfte und Betriebe gegründet und eröffnet. Da geht man durch eine Strasse, durch die man seit einiger Zeit, zum Beispiel seit drei Wochen, nicht mehr gegangen ist, und was entdeckt man da: hier einen neuen Kleiderladen, da ein neues Café und schliesslich noch ein neues Schuhgeschäft.
Aber da ist auch ein Phänomen, das einerseits überrascht, anderseits erstaunt, manchmal irritiert, zuweilen einen sogar ärgert.
Vor etwa drei Monaten habe ich einen kleinen Laden entdeckt, mitten in der Stadt, der unter anderen exotischen Besonderheiten eine ganz spezielle Sorte Räucherstäbchen anbietet, die ich schon seit langer Zeit vergeblich gesucht hatte. Prima, dachte ich mir, und war mit den feinen Düften glücklich. Letzte Woche nun wars soweit, ich musste Stäbchenvorrat anschaffen. Also nix wie los! Da staune ich aber nicht schlecht, von meinem Laden weit und breit nichts mehr. Leere Räume, zur Vermietung angepriesen. Dabei war ich mir sicher, erst kürzlich die Schaufensterauslage betrachtet zu haben.
Ein ander Mal freuen meine Frau und ich uns auf ein feines Nachtessen in einem Restaurant, in dem wir schon mehrmals zu Besuch waren. Ein bisschen eigenartig war schon, dass unser telefonischer Bestellungsversuch scheiterte und es hiess: "Volané císlo neexistuje!" (Die gewählte Nummer existiert nicht). Als wir dann vor dem geschlossenen Etablissement stehen, wird klar: "Zavreno z technických duvodu;", geschlossen aus technischen Gründen. Diese hierzulande gebräuchliche Formulierung bedeutet in der Regel nichts Gutes. Meist heisst das im Klartext nichts anderes, als dass es aus und vorbei ist. So geschehen auch mit dem Lederwarengeschäft, das Bekannte aus der Schweiz zum wiederholten Mal aufsuchen wollten. Die staunten aber nicht schlecht, als sie anstatt Ledertaschen einen offenbar neu eröffneten Sexshop vorfanden. So wie manch Neues wie aus dem Nichts auftaucht, so kann Vertrautes plötzlich verschwinden.
"Hokuspokusverschwindibus" pflegte meine Grossmutter in solchen Fällen zu sagen. Nun verschwindet nicht nur Gutes, sondern auch Überflüssiges und Unnötiges erleidet dasselbe Schicksal. So gibt es alles in allem einen Ausgleich.
Und eines ist ganz sicher: Es ist immer wieder spannend, durch Prags Gassen zu schlendern und sich vom Hokuspokus des Werdens und Vergehens überraschen zu lassen. Übrigens: Den Räucherstäbchenladen habe ich wieder entdeckt. Allerdings ganz zufällig, als ich in einem Quartier unweit des Zentrums einen Obstladen aufsuchen wollte. Der aber war - Hokuspokusverschwindibus - weg und... Sie erraten es, liebe Hörerinnen und Hörer. Jetzt kaufe ich statt Äpfel halt meine Räucherstäbchen dort. Zauberhaftes Prag!
