Arbeitsmigration: Ukrainische Billigarbeiter in der Tschechischen Republik
Billigarbeiter aus der Ukraine haben seit Mitte der 90er Jahre die Tschechische Republik als Ziel. Mehr als 40 000 ukrainische Migranten arbeiten regulär in meist schlecht bezahlten Jobs, die kaum ein Tscheche machen will. Schätzungen zufolge arbeiten mindestens weitere 40 000 schwarz in Tschechien. Der EU-Beitritt am 1. Mai wird daran kaum etwas ändern, sagen Experten. Mehr dazu jetzt in unserer Sendereihe Forum Gesellschaft von Daniel Satra.
Zudem hatte Tschechien in den 90er Jahren ein liberales Zuwanderungsrecht, die gesetzlichen Hürden waren bis zur Einführung des Visums für Ukrainer im Jahr 2000 gering. Auch die kulturelle und sprachliche Nähe der beiden slawischen Nationen erleichtert den Billigarbeitern aus Europas Osten das Leben in der Tschechischen Republik, sagt Drbohlav. Der vielleicht wichtigste Grund aber war und ist der tschechische Arbeitsmarkt. Auf ihm herrscht seit Beginn der 90er Jahre eine große Nachfrage nach vielen und vor allem billigen Arbeitern:
"Allen voran im Bauwesen, auch in bestimmten Bereichen der Industrieproduktion, in der Landwirtschaft und bei Dienstleistungen. In der Industrie haben vor allem in der Textil- und Lebensmittelproduktion sehr schnell billige ausländische Arbeitskräfte Platz gefunden. Im Bauwesen wurden vor allem billige Hilfsarbeiter gebraucht, und dieses Vakuum haben gerade die Ukrainer sehr, sehr schnell füllen können."
Für Tschechen unattraktive, weil niedrig entlohnte Arbeiten. Unqualifizierte Tätigkeiten, meist körperlich anstrengend. Dabei, so Drbohlav, haben viele der ukrainischen Billigarbeiter das Gymnasium besucht, haben eine Ausbildung oder sogar studiert. Auch Ivan hat studiert. Der 40-jährige Wasserbauingenieur aus dem ukrainischen Ivano-Frankovsk ist vor neun Jahren das erste Mal zum Arbeiten nach Tschechien gekommen.
"Meine Kollegen in der Autobusfabrik haben erzählt, dass man hier in Tschechien viel verdient. Und das war die Hauptsache, alle hat interessiert, wie viel man hier verdienen kann, nichts anderes. Später kamen dann auch die Fragen nach der Art der Arbeit, wo man wohnen kann, aber das war schon zweitrangig."Ivan ist seitdem Schweißer in einem kleinen Prager Metallverarbeitungsbetrieb. Jedes Jahr verbringt er nur den Sommer zu Hause, bei seiner Frau und seiner 17-jährigen Tochter. Er ist stolz, dass er seiner Familie eine Wohnung in der Ukraine kaufen konnte. Aber der erste Arbeitsausflug nach Tschechien hatte damals andere Gründe:
"Auch in unserer Fabrik wurde die Produktion zurückgeschraubt, im Winter wurde gar nicht mehr gearbeitet. Dazu kam, dass die Löhne stark gekürzt wurden, bis unter das Existenzminimum. Und dann diese Unsicherheit, die Unsicherheit fürs gesamte Leben: Woher das Geld nehmen? Wie die Familie ernähren? Dieses Gefühl der Unsicherheit hat einen förmlich dazu gedrängt nach Möglichkeiten zu suchen."
Auch Galina, die 1996 das erste Mal auf der Suche nach Arbeit nach Prag kam, konnte sich und ihren neunjährigen Sohn in der Ukraine finanziell nicht mehr über Wasser halten.
"Weil die Gehälter bei uns in der Ukraine unglaublich niedrig sind. Ich habe zum Beispiel für meine Arbeit beim Gemeindeamt nur umgerechnet 30 Dollar im Monat bekommen, davon brauchten wir alleine 20 Dollar für Miete und Wohnnebenkosten. Meine Eltern sind arbeitslos, und ich konnte einfach nicht die Familie ernähren. Deshalb musste ich hierher nach Tschechien kommen."
Ihren Sohn, den die geschiedene Galina in Lvov/Lemberg bei ihren Eltern gelassen hat, sieht sie drei oder vier Mal im Jahr für ein paar Wochen. Die 28-Jährige, die nach vielen Jobs heute in Prag an einem Straßenstand Zeitungen verkauft, ist nur eine von vielen ukrainischen Arbeitsmigranten in Tschechien, die mit Hilfe eines bezahlten Vermittlers ins Land gekommen sind.
"Ich habe einem Typen 150 Dollar gegeben, dafür hat er mich hierher nach Tschechien gefahren und mir eine Arbeit als Putzfrau in irgend so einem Hotel besorgt."
Oft ohne langfristige Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis sind viele Ukrainer der Willkür ihrer Arbeitgeber oder Vermittler ausgesetzt. Männer, die als Arbeitskräfte von Vermittlern zur Schwarzarbeit auf Baustellen als Leiharbeiter vermietet werden, müssen die Hälfte ihres mit 1 bis 2 Euro schon geringen Stundenlohns an den so genannten "Klienten" abgeben. Als ihr Vermittler stellt er ihnen auch Wohnraum zur Verfügung. Die Unterkünfte, in denen sich mehrere Männer ein Zimmer teilen, sind oft schäbig und heruntergekommen. Auch Galina hat bei ihren Arbeitsaufenthalten in Tschechien schlechte Erfahrungen machen müssen. Mit ihrem Vermittler, aber auch mit Tschechen, die sie schwarz angestellt haben:"Für einen Tschechen habe ich auch schon gearbeitet. Einmal bin ich krank geworden, mir ging es wirklich schlecht und ich wollte nach Hause in die Ukraine, denn hier in Tschechien hatte ich ja auch keine Krankenversicherung. Aber er hat mich angerufen und meinte, es gibt kein Geld, und außerdem sei ich gar nicht krank, ich würde doch nur lügen."
Das Geld hat Galina nie gesehen. Ein anderer Weg, um in Tschechien Arbeit und Unterkunft zu finden sind Verwandte, Freunde oder Arbeitskollegen. Menschen, die selbst schon in Tschechien arbeiten waren, oder einen Ukrainer dort kennen. Auch Oleg nutzte diese Verbindungen: Der 27-Jährige kam 1999 das erste Mal nach Tschechien zum Arbeiten, nach seinem Zahnmedizinstudium fand er in der Ukraine keine Arbeit. Geld für eine eigene Zahnarztpraxis hatte er nicht.
"Meine Eltern waren schon hier in Tschechien. Als ich dann hierher kam, hatte ich also schon so etwas wie ein eigenes Grundstück, etwas zum Ankommen. Für alles war gesorgt. Ich musste also nichts mehr suchen, ich hatte eine Wohnmöglichkeit, ich hatte eine Arbeit. Man kam an, und fertig."Heute arbeitet Oleg für eine Baufirma, immer noch als Hilfsarbeiter. Zurück in die Ukraine will er nicht mehr, er hat eine Tschechin kennen gelernt. Sie wollen heiraten. Eine Ausnahme unter seinen ukrainischen Landsleuten in Tschechien. Denn über kurz oder lang wollen viele zurück. Olena, die als Küchenhilfe in einem Prager Restaurant arbeitet, beschreibt das Dilemma, in dem viele Ukrainer stecken:
"Jeder will doch nur nach Hause, zurück zu seiner Mutter oder zu seiner Familie. Die meisten fahren dort nur für einen Monat, oder zwei bis drei Monate hin. Und jedes Mal kommen sie wieder zurück nach Tschechien. Ich kenne so viele Ukrainer hier, die gesagt haben: 'Nein, ich komme nicht mehr zurück nach Tschechien'. Und dann treffe ich sie hier doch immer wieder."
Sie haben sich an ein Leben mit Geld gewöhnt, deshalb kommen viele immer wieder, meint Olena. Die 32-Jährige stammt aus einem 250-Einwohner-Dorf in der Westukraine. Sie ist nur eine von rund 50 jungen Dorfbewohnern, die sich regelmäßig auf Arbeitswanderung ins Ausland begeben. Obwohl sich auch Olena nach fast zehn Jahren in Tschechien eine Stadtwohnung in der Ukraine erarbeitet hat, zweifelt sie daran für immer zurückzugehen. Chancenlos so viel Geld in der Ukraine zu verdienen, sagt sie. Die Unentschlossenheit zu bleiben oder zurück zu kehren, das Hin- und Herwandern zwischen Tschechien und Ukraine hat auch einen Namen. Migrationsforscher Dusan Drbohlav:
"Die Ukrainer in Tschechien sind so genannte transnationale Migranten - also einfach gesagt: mit einem Bein zu Hause, mit einem Bein hier in Tschechien. Sie wandern also zirkulär, im Kreis. Sie wollen in der Regel nicht dauerhaft in Tschechien bleiben. Sie halten sich hier nur einige Wochen oder Monate auf, dann kehren sie zurück in die Ukraine, bleiben dort für eine gewisse Zeit und kehren dann wieder hier her zurück."
Im Mai treten Tschechien und die benachbarte Slowakei, die an die Ukraine grenzt, zur Europäischen Union bei. Fieberhaft arbeiten beide Staaten an der Umsetzung des Schengener-Abkommens zur Sicherung der neuen EU-Außengrenzen nach Osten. Die ukrainischen Wanderarbeiter werden dadurch jedoch nicht aufgehalten, glaubt Drbohlav. Wenn soziale Netzwerke erst einmal Menschen in Herkunfts- und Zielländern verbinden, können Grenzen kaum etwas ausrichten. Wie auch ein anderes Beispiel zeigt: mexikanische Billigarbeiter in den USA. Denn auch die US-Wirtschaft ist auf billige Arbeitskräfte angewiesen.