Tschechische Medienstimmen zur neuen Regierung und zu Entschädigungsforderungen von Vertriebenen

Auch heute haben wir für Sie wieder unseren regelmäßigen Medienrückblick vorbereitet. Zu einer neuen Ausgabe von "Im Spiegel der Medien", der Mediensendung von Radio Prag, begrüßt Sie Robert Schuster.

Liebe Hörerinnen und Hörer, auch die 32. Woche des Jahres 2004 war trotz des heißen Badewetters reich an Ereignissen, die natürlich auch von den tschechischen Medien eingehend behandelt und kommentiert wurden. Das Hauptthema der abgelaufenen Woche war zweifellos die abgeschlossene Bildung und Ernennung einer neuen Regierung unter der Führung des 34jährigen Sozialdemokraten Stanislav Gross. Damit wurde auch offiziell der Schlusspunkt hinter eine mehr als einen Monat andauernde Regierungskrise gesetzt, die Ende Juni durch den überraschenden Rücktritt des damaligen Regierungschefs Vladimir Spidla ausgelöst wurde.

Der neue tschechische Premier Stanislav Gross  (links) mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus  (Foto: CTK)
Mit Gross hat Tschechien nicht nur den jüngsten Ministerpräsidenten in der Geschichte des Landes, sondern auch unter den 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gibt es gegenwärtig keinen Premier, der jünger wäre. Kein Wunder also, dass gerade deshalb der neue Regierungschef in den vergangenen Tagen von den Medien genau unter die Lupe genommen wurde.

Zu einem in diesem Zusammenhang weitgehend positiven Ergebnis ist z.B. Martin Komarek gekommen. Sein Kommentar erschien in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes:

"Stanislav Gross hat bislang eine ansehnliche Mischung aus Entschlossenheit und Pragmatismus an den Tag gelegt. Vor den Mitgliedern seiner Sozialdemokraten präsentierte er sich kürzlich als Parteiführer, der verständlich spricht, Fragen nicht ausweicht, sich nicht intellektuell aufführt und ebenso wenig versucht, seine Kritiker mit einer nichts sagenden und trockenen Beamtensprache niederzuwalzen. Diese Anfangserfolge können sich zwar bald als vergänglich herausstellen, und schon im Herbst kann das ganze Gebäude einstürzen, aber Gross bot immerhin mehr, als man von ihm nach dem Rücktritt Spidlas erwartete."

Weitaus kritischer setzt sich dann der gleiche Autor mit den Zielen der neu aufgelegten Koalition auseinander. Er beklagt, dass die Drei-Parteien-Koalition insgesamt ein wenig ambitioniertes Programm vorgelegt habe, und einige Punkte dabei ganz auf den Termin der herannahenden nächsten Parlamentswahlen ausgerichtet seien, wenn er dann hinzufügt:

Die neue Koalitionsregierung  (Foto: CTK)
"Die mit neuem Leben erweckte Koalition gibt keinen großen Anlass zu Optimismus. Die großen Reformen und Vorhaben wurden nämlich beiseite gelegt und auf später vertagt. Wenn jedoch Gross seine Aufgabe erfüllt und die Regierung bis zu den Wahlen durchhält, dann wird er zumindest versuchen die Wirtschaft anzukurbeln und seinen Dienstwagen zu bremsen. Er wird also eine praktisch veranlagte und volksnahe Art des Regierens betreiben. Das gibt zwar keinen Anlass zum Jubel, zum Haareraufen ist es aber auch nicht."

Mit der neuen Regierung härter ins Gericht geht hinsichtlich ihres Programms der Kolumnist Martin Fendrych in der Wochenzeitschrift Tyden. Zitat:

"Es bleibt also bei leeren Proklamationen. Gross muss verzweifelt versuchen, die Umfragewerte seiner Partei anzuheben und wird deshalb nichts Unpopuläres angehen. Er wird sich bei den Wählern einschmeicheln wollen, aber etwa Studiengebühren an den Hochschulen, auch wenn sie gering sein sollten, wird er nicht einführen. Er braucht die Popularität. Auch wenn er immer wieder erklärt, er würde dem Land dienen, wird er in erster Linie sich selber und den Sozialisten dienen."

Eine weitere wichtige Frage, die in diesen Tagen immer wieder gestellt wurde, war, ob die Regierung von Gross angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament wirklich wie geplant bis 2006 im Amt bleiben wird. Dazu meint Daniel Kaiser vom tschechischen Dienst der britischen Rundfunkstation BBC:

"Ich glaube, dass sich die Regierung wirklich bis 2006 halten kann, oder dass zumindest die sozialdemokratische Partei alles Mögliche tun wird, um sich im Amt zu halten. Die Volkspartei, könnte irgendwann diese Koalition sprengen, sie hat sieben oder neun Prozent sicher und wird dann später auch mit der konservativen Demokratischen Bürgerpartei koalieren können. Aber auch in einem solchen Fall denke ich: Wenn sich die Volkspartei verabschiedet, werden die Sozialdemokraten versuchen, bis zu den Wahlen durchzuhalten - auch in einer Minderheitsregierung. Die stärkste Regierungspartei muss ihre Umfragewerte aus dem Keller holen und die Kommunisten links überholen. Und zweitens, das ist noch ein wichtiger Aspekt: Die Leute um Gross wollen höchstwahrscheinlich nicht die Kontrolle über die Privatisierung der Kohlegesellschaft und der Telecom verlieren. Warum das so ist, darüber lässt sich nur spekulieren."

Vladimir Spidla  (Foto: CTK)
Eine weiteres Problem, an dem letztlich auch der Vorgänger von Gross, Vladimir Spidla, scheiterte, war die geringe Loyalität der sozialdemokratischen Abgeordneten gegenüber ihrer Regierung. Deshalb war auch unsere nächste Frage an Daniel Kaiser, was Gross anders machen muss, damit ihm nicht das gleiche wie Spidla passiert, und er bei wichtigen Abstimmungen auf die Unterstützung der Opposition angewiesen ist?

"Also es scheint mir, dass auch Stanislav Gross kein Wunderrezept und keine wirkliche Lösung hat. Die Sozialdemokraten sind in der Tat tief zerstritten und gespalten, und auch Gross hat das schon zu spüren bekommen. In diesem einen Monat zwischen der Demission von Ministerpräsident Spidla und seiner Ernennung hat er gespürt, dass dieselben Rebellen, die schon bei Spidla Probleme gemacht haben, sich auch jetzt wieder zu Wort gemeldet haben. Also in diesem Sinne wird sich nichts Wesentliches ändern. Auf der anderen Seite ist Stanislav Gross ein viel besserer Kommunikator und kann mit den eigenen Leuten besser sprechen. Selbst diese parteiinternen Rebellen, die nicht glücklich sind über die Neuauflage der alten Koalition mit den Liberalen und Christdemokraten, loben Gross immer wieder dafür, dass er mit ihnen besser kann als Spidla. Das wäre ein Heilmittel für Gross. Aber wie lange das wirken kann, bleibt offen."

Nun kommen wir aber in unserem heutigen Medienrückblick noch kurz auf ein weiteres Thema zu sprechen, das in der abgelaufenen Woche zumindest von einigen tschechischen Medien aufgegriffen wurde. Es handelt sich um eine mögliche Entschädigung für jene Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Polen oder der damaligen Tschechoslowakei vertrieben wurden.

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder  (Foto: CTK)
Ausgelöst wurde die jüngste Debatte vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der vorvergangenes Wochenende an den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Warschauer Aufstands gegen die Nazis vom Sommer 1944 teilnahm. Der Kanzler hat in seiner Rede u.a. der Unterstützung möglicher Klagen von Seiten der Vertriebenen gegenüber der polnischen Regierung eine klare Absage erteilt.

Nicht nur in Warschauer Regierungskreisen, sondern auch in Prag hat man die Aussage Schröders begrüßt. Schließlich haben unmittelbar nach Tschechiens Beitritt zur Europäischen Union im Mai dieses Jahres einige Sudetendeutsche erklärt, Prag vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg verklagen zu wollen, um auf diesem Weg eine Entschädigung zu erreichen.

Dazu fanden wir in der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny einen Kommentar von Martin Denemark, aus dem wir Ihnen abschließend einige Passagen zitieren wollen:

"Zeit soll angeblich Wunden heilen. In den deutsch-tschechischen Beziehungen scheint aber die Wirkung dieser Medizin sehr gering zu sein. Wahrscheinlich auch deshalb, weil es nicht leicht ist, jene Feindschaft zu beseitigen, die über Generationen hinweg genährt wurde. Die Klagen auf Entschädigung, die nun einige Sudetendeutsche für ihr in der Tschechoslowakei konfisziertes Eigentum einreichen wollen, werden wohl neue Emotionen hervorrufen. Wir sollten dem gelassen entgegensehen. Sollen doch diejenigen, die sich beschädigt fühlen, vor tschechischen oder internationalen Gerichten klagen. Warum sollen wir nicht glauben, dass die Fälle von unabhängigen Richtern behandelt würden, die sich in den damaligen historischen Begebenheiten, Gesetzen und Abkommen auskennen? Bietet das nicht sogar die Gelegenheit, die eigene und für sicher erachtete Wahrheit zu hinterfragen?"