Wahlen in Deutschland, Umfragen in Tschechien und andere Ereignisse
Die erste große Auslandsreise von Premierminister Stanislav Gross, die Einigung über den Budgetentwurf für das kommende Jahr und nicht zuletzt das aktuelle Politbarometer, bei dem die Sozialdemokraten nach langer Zeit wieder die Kommunisten hinter sich lassen konnten - das waren einige wichtige Themen der letzten Tage in Tschechien. Reagiert hat die tschechische Presse aber auch auf die Wahlerfolge der Rechtsextremisten und der PDS bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Thomas Kirschner hat einige Pressestimmen für Sie ausgewählt.
"Es handelt sich um die erste größere Auslandsreise des neuen Premiers (...), und dieser wird für gewöhnlich nicht nur faktische, sondern auch symbolische Bedeutung beigemessen. (...) Schwer zu sagen, welche Rolle in der früheren kühlen Beziehung zu Polen die Angst spielte, dass Polen uns auf der internationalen Bühne in den Schatten stellen könnte. Weder Zeman noch Spidla pflegten irgendwelche ´besonderen Beziehungen´ mit Polen, Vladimír Spidla urteilte schließlich, dass die geeignetsten Partner für Tschechien Länder gleicher Größe wie etwa Österreich seien. Wenn Stanislav Gross sich nun entschieden hat, diese Haltung zu ändern, so ist das sehr klug."
Größere Klippen als in den auswärtigen Beziehungen galt es in der vergangenen Woche in der Innenpolitik zu überwinden. Die Entscheidung über den Budgetentwurf für das kommende Jahr war die erste größere interne Bewährungsprobe für die Regierungskoalition - zumal man sich eine Kürzung der Neuverschuldung um 10 Mrd. Kronen auferlegt hatte. Das Ziel ist erreicht, die größte tschechische Tageszeitung Mlada Fronta DNES zeigt sich dennoch nicht zufrieden: Nicht die Einsparungen, sondern das, was vom Defizit immer noch vorhanden ist, stehen für den Kommentator Martin Jasminsky im Mittelpunkt."Maßgeblich ist nicht, dass die Regierung im nächsten Jahr mit einer um zehn Milliarden Kronen (ca. 300 Mio. Euro) niedrigeren Neuverschuldung wirtschaften wird, auch wenn es wahr ist. Maßgeblich ist, dass das Defizit von 84 Mrd. Kronen (ca. 2,8 Mrd. Euro) gewaltig ist und nur um 10 Mrd. Kronen gesenkt wurde, während die Staatseinnahmen um 80 Mrd. Kronen stiegen. (...) Es fehlt der Mut, wirklich bedeutende Schritte in Angriff zu nehmen, wie etwa die Reform der Pensionen und des Gesundheitssystems. (...) Trotzdem wäre es unaufrichtig zu behaupten, dass keine Bestrebungen zu sehen sind. (...) Die Salamitaktik, unpopuläre Maßnahmen Schrittchen für Schrittchen zu treffen, geht allerdings davon aus, dass der tschechischen Wirtschaft keine Rückschläge drohen. (...) Sich darauf zu verlassen, dass es nur besser und besser wird, kann sich aber schnell rächen."
Große Beachtung fand in Tschechien das aktuelle Politbarometer, das am vergangenen Mittwoch veröffentlicht wurde. Das Ergebnis, so könnte man auf den ersten Blick meinen, ist für die regierenden Sozialdemokraten (CSSD) desaströs: Mit 16 % erreichen sie gerade einmal die Hälfte der Zustimmung, die die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) für sich verbuchen kann. Betrachtet man das Ergebnis aber in einem größeren Zeitrahmen, sieht es schon anders aus. Das meint auch die linksliberale Tageszeitung Pravo in ihrer Donnerstagsausgabe:
"Kdyby byly volby dnes, výhrala by ODS - wenn heute Wahlen wären, würde die ODS gewinnen. Auf Tschechisch reimt sich das und klingt wie ein Slogan, allerdings ein unverwendbarer. Zum Thema ´wenn...wäre´ kennt man schließlich auch andere Volksweisheiten, und Parlamentswahlen werden kaum früher als in zwei Jahren stattfinden, wenn sich solche Sprüche bereits nicht mehr so schön reimen müssen. Denn nach der neuesten Umfrage der Agentur STEM führt zwar die ODS in den virtuellen Wahlen, ihr Ergebnis ist aber auf dem niedrigsten Stand der letzten 18 Monate. Zulegen kann demgegenüber die CSSD, die in den vergangenen zwei Jahren nur verloren hat. Jetzt liegt sie wieder vor den Kommunisten. (...) Die konkreten Ergebnisse darf man freilich nicht allzu ernst nehmen, wenn es um konkrete Zahlen geht, wohl aber mit Blick auf die Richtung der Entwicklung. Und wenn die Tendenz in die entgegen gesetzte Richtung wie noch vor zwei Monaten zeigt, dann müssen gewichtige Ursachen vorhanden sein - die auch gewichtige Folgen haben können."Auch die Tageszeitung Lidove noviny hebt die Trendwende bei den Sozialdemokraten hervor, die sich nach dem Abtritt von Vladimír Spidla als Regierungschef abzuzeichnen scheint. "Endet die Spidlagonie?", fragt man in der Überschrift. Weiter heißt es:
"Der Wechsel von Spidla zu Gross war ein Zeichen, dass die Partei nicht weiterhin abgeschlagen hinterherhinken wollte. (...) Kosmetische Änderungen an de Führungsspitze lösen zwar bei weitem nicht alle Konflikte, aber die Akteure haben richtig verstanden, dass es nach den verlorenen Wahlen höchste Zeit wird, dass nun parteiintern Köpfe rollen. (...) Psychologisch ist wichtig, dass die Sozialdemokraten wenigstens um Haaresbreite die Kommunisten hinter sich gelassen haben. Die Wähler der CSSD können damit wieder auf Sieg setzen - und sei es nur im Kampf um die linke Hälfte des politischen Spektrums."
Aufmerksam beobachtet wurde in Tschechien auch der Ausgang der deutschen Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg mit dem Erfolg der Rechtsparteien und der PDS. Bemerkenswert ist, dass die Angst vor dem Widererstehen des "häßlichen Deutschland" in den Reaktionen der Medien kaum eine Rolle spielt. Stattdessen begibt man sich erstaunlich differenziert auf die Suche nach den Ursachen für das Anwachsen der extremistischen Parteien. So etwa die Mlada Fronta DNES in ihrer Montagsausgabe:
"Die ultrarechte Fraktion in zwei Landtagen ist keine ernste Bedrohung für Demokratie oder Parlamentarismus. Die Unfähigkeit der Neonazi-Abgeordneten aus den Reihen der NPD und DVU hat sich bislang noch immer blitzartig erwiesen, sobald sie auf den Parlamentsbänken saßen. (...) Der befürchtete und erwartete Erfolg der Ultrarechten ist freilich aus ganz anderen Gründen alarmierend. Ihre Wähler wissen nämlich oder ahnen doch zumindest, dass ein Kreuzchen bei der NPD oder auch bei der PDS die Situation in ihrem Leben wie auch im Land kaum verbessern wird. Es handelt sich vielmehr um einen Volksaufstand gegen ´die da oben´. (...) Der Zorn über die Reformen der Regierung hat die Färbung der politischen Landkarte Ostdeutschlands geändert. Ein brauner Schatten schadet dem Image und den Investitionen. Die Deutschen haben sich gerächt. Mit der verzweifelten Wahl der Ultrarechten allerdings vor allem an sich selbst."Die linksliberale Pravo beschäftigt sich demgegenüber mit dem Erfolg der PDS und den Montagsdemonstrationen, die an den Herbst des Jahres 1989 erinnern:
"Der PDS gelang ihr Husarenstück: gegen Schröders Reformwerk wiederholte sie Proteste, die in vielen Details mit den Demonstrationen übereinstimmen, die vor fünfzehn Jahren zum Sturz des Honecker-Regimes führten. Und die Menschenmenge skandierte das gleiche, was sie einstmals im Angesicht von Honeckers Polizisten rief: ´Wir sind das Volk!´ Eine gewöhnliche Finte? Vielleicht. Aber dennoch liegt eine Wahrheit in dem mobilisierenden Protestslogan: ´Damals haben wir für die Bürgerrechte gekämpft, für Reise- und Versammlungsfreiheit. Heute wollen wir soziale Rechte, denn ohne diese ist Freiheit nicht möglich.´ - Ob man bei uns diesen Gedanken versteht?"
"Die Deutschen verstehen", so lautet die Überschrift dieses Artikels in der Dienstagsausgabe der Pravo. Und das ist auch der generelle Tenor der Analysen und Kommentare zu den deutschen Landtagswahlen. Und vielleicht auch die einzig positive Nachricht in diesem Zusammenhang: Deutschland wird zunehmend zu einem normalen Nachbarn, der in Tschechien keine Angstreflexe mehr auslöst.