Walther von der Vogelweide-Handschriften in Brünn entdeckt

Walther von der Vogelweide

Der Augsburger Germanistik-Professor Freimut Löser ist unlängst in einem Brünner Archiv auf eine bisher unbekannte Variante eines Minnelieds von Walther von der Vogelweide gestoßen. Der Fund kann als echter Glücksfall für die Germanistik bezeichnet werden, denn die letzte Handschrift zum Minnesang des wichtigsten deutschen Dichters des Mittelalters wurde vor über 90 Jahren entdeckt. Mehr zum Thema von unserer freien Mitarbeiterin Rainette Lange:

Eigentlich hatte Freimut Löser im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Heidelberg im südmährischen Brno/ Brünn nach deutschsprachigen geistlichen Handschriften des Mittelalters gesucht. Eine dieser Schriften hielt jedoch eine Überraschung für ihn bereit:

"Als ich diese Handschrift aufschlug, sah ich aber im Spiegel der Handschrift, also im inneren Deckel, ein Pergamentfragment kleben. Dieses Pergamentfragment erwies sich dann sehr schnell als ein Fragment von Walther von der Vogelweide aus dem berühmten Minnelied `Si wunderwol gemachet wip` (`Sie vollkommenste Frau`), obwohl der Anfang ganz anders war und ganz eigen."

Im Spätmittelalter war es oft üblich, ältere Texte, die man aus verschiedenen Gründen für uninteressant oder wertlos hielt, zu zerschneiden, und zur Verstärkung in Buchdeckel einzukleben. Auf diese Weise blieben der Nachwelt einige aufschlussreiche Fragmente erhalten. Die Handschrift Walthers von der Vogelweide stammt, wie Herr Löser feststellte, aus dem bayrisch-österreichischem Raum, wo sich der Dichter viele Jahre seines Lebens an verschiedenen Höfen aufhielt. Ihr Urheber ist jedoch nicht bekannt. Durch die Zusammenlegung von Bibliotheksbeständen zu Zeiten der k&k Monarchie gelangte das Buch mit dem wertvollen Einband dann wahrscheinlich in das Brünner Archiv. Was nun das Besondere an diesem Fund ist, erklärte uns Herr Löser:

"Dieses Lied, was ich da in einer Abschrift entdeckt habe, existiert in vier anderen Handschriften und die Forscher haben darüber diskutiert und gestritten, wie nun die Reihenfolge der Strophen in diesem Lied ist, wie dieses Lied zu interpretieren ist, welche Lesart der bekannten vier Handschriften mehr Vertrauen verdient. Dazu kommt jetzt eben als fünftes dieses Fragment, das in vielen Dingen hilft, eben die Fragen zu klären. Man kann sagen, dass dieses Fragment aus Brünn eine recht interessante Lesart für diesen Text und eine wirklich eigenständige Version bietet."

Herr Löser ist sich sicher, dass in den nächsten Jahren gerade in Ländern wie Tschechien oder Polen noch weitere, für die Germanistik interessante Fragmente auftauchen werden, da eine umfangreiche Zusammenarbeit mit diesen Ländern erst nach dem Fall des eisernen Vorhangs wirklich möglich wurde. Diese ist nun aber umso fruchtbarer:

"Die Zusammenarbeit mit tschechischen Forschern kann man schlichtweg als hervorragend bezeichnen - die Zusammenarbeit mit den Archiven und Bibliotheken in Prag, in Olmütz (Olomouc), in Brünn, in Znaim (Znojmo), wo immer ich war, war ganz ausgezeichnet. Es bahnt sich jetzt auch eine Zusammenarbeit mit Olmütz und Brünn in größerem Rahmen an und ich denke, dass wir gemeinsam eine mittelalterliche Kultur erforschen, die nie so getrennt war, wie es unser europäisches Vaterland in der 60er Jahren war. Ich habe diese Zusammenarbeit immer als gut empfunden und sie wird immer besser."