Vor 60 Jahren: Befreiung Ostraus tritt in entscheidende Phase

Denkmal 'Kampf für die Befreiung' in Hrabyne (Foto: Stepan Cernousek)

Wir schreiben das Jahr 2005 und wir erinnern uns in diesen Tagen verstärkt der Ereignisse, die sich vor 60 Jahren um diese Zeit in Mitteleuropa abgespielt haben. Und wir gedenken der vielen Toten, die auch noch in den letzten Kriegstagen bis zur Beendigung des Zweiten Weltkriegs zu beklagen waren. Einem solchen Ereignis ist der nachfolgende Beitrag von Lothar Martin gewidmet.

Denkmal 'Kampf für die Befreiung' in Hrabyne  (Foto: Stepan Cernousek)
Das Dritte Reich steht vor seinem Untergang. Doch Hitler gibt noch im März den Befehl, die im Protektorat Böhmen und Mähren einverleibte Industriehochburg Ostrava/Ostrau mit Händen und Klauen zu verteidigen. Aus gutem Grund: Nach der Besetzung der meisten Industriestädte im Westen durch die Alliierten, sichert Ostrava den Deutschen zu Kriegsende noch 35 Prozent ihrer Industrieproduktion, die vor allem auf Waffen und Munition ausgerichtet ist. Wie Radio Prag von der Historikerin und Leiterin des Denkmals "Kampf für die Befreiung" im nordmährischen Hrabyne, Jana Horakova, erfahren konnte, ist die Schlacht um Ostrava in drei Etappen verlaufen. Aufgrund des hartnäckigen Widerstands der Deutschen, die das von den Tschechen und Slowaken zur eigenen Verteidigung ausgebaute System von Bunkern und Grenzbefestigungen nutzen, wird die erste Etappe der sowjetischen Offensive wegen hoher Verluste Mitte März beendet. Nach dem Austausch des sowjetischen Befehlshabers - General Jeremenko ersetzte den erfolglosen General Petrow - und der großen Panzerschlacht bei Bolatice, die den Höhepunkt der zweite Phase bildete, wurde ab dem 15. April die entscheidende dritte Etappe der Befreiung Ostraus eingeleitet. Während der insgesamt rund 50 Tage dauernden Kampfhandlungen standen sich dabei enorme Truppenverbände gegenüber, deren Stärke uns von Jana Horakova wie folgt beziffert wurde:

Historikerin Jana Horakova  (Foto: Stepan Cernousek)
"Am Anfang der Operation Ostrau im März 1945 standen 249.000 sowjetischen Soldaten 150.000 deutsche Soldaten gegenüber. Im Verlauf der zweiten Etappe wurden das sowjetische Kontingent auf 300.000 und das deutsche auf 210.000 Soldaten aufgestockt. Die Deutschen glichen ihre zahlenmäßige Unterlegenheit zunächst durch die von ihnen besetzten Bunker und das zuvor aufgebaute Fünf-Zonen-Verteidigungssystem aus. Dieses System basierte nicht nur auf den massiven Befestigungsanlagen, sondern die Deutschen nutzten auch die zahlreichen Wälder und Wasserreservoirs der Umgebung zu ihrer Verteidigung aus."

Einer, der die erbitterten Gefechte vor 60 Jahren als damals Zehnjähriger hautnah miterlebte, ist der noch heute in Hrabyne lebende Stanislav Exner. Bei den Kämpfen der dritten Etappe, die in die Befreiung Ostraus am 30. April 1945 mündeten, wurde ab Mitte April von Opava/Troppau her Gemeinde für Gemeinde von den Russen erobert und befreit. Doch gerade in Hrabyne leisteten die Deutschen zähen Widerstand, so dass die Kämpfe um diese Gemeinde auf sowjetischer Seite nicht weniger als 280 Opfer forderten. Auch Stanislav Exner bestätigte, dass um Hrabyne hart gekämpft wurde:

Stanislav Exner   (Foto: Stepan Cernousek)
"Hier wurde lange gekämpft. Wir waren praktisch 14 bis 17 Tage nur im Keller. Als Junge hat es mich jedoch nicht den ganzen Tag lang im Keller gehalten. Ich bin öfter mit meinen Brüdern ausgebüchst und ins Zentrum des Dorfes gelaufen. Bei der Schule riefen die Deutschen zu uns: ´Halt!´ Wenn wir mal an ihnen vorbeigekommen sind, dann riefen schon einige Dutzend Meter weiter die Russen: ´Stuj!´ Die Front verlief also eine Zeit lang mitten durch das Dorf. Dann war auf einmal wieder Ruhe und nur die Deutschen waren im Dorf. Das heißt, die Russen mussten zunächst zurückweichen und Hrabyne von neuem angreifen."

Diese und weitere Episoden, Erinnerungen und Schicksale aus der Zeit des Kriegsendes von 1945 werden wir Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, in unseren Sendungen der nächsten Tage und Wochen noch verstärkt zu Gehör bringen.