Geboren in Prag, gestorben in Jerusalem: Erinnerung an Holocaust-Historiker Yehuda Bauer
Der in Prag geborene israelische Historiker und renommierte Holocaust-Forscher Yehuda Bauer ist am 18. Oktober im Alter von 98 Jahren in Jerusalem gestorben.
Yehuda Bauer wurde 1926 in Prag als Martin Bauer in eine deutsch-tschechisch-jüdische Familie geboren. Zuzana Pavlovská vom Jüdischen Museum in Prag lernte den Forscher bei Tagungen der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken persönlich kennen. Bauer habe in der Regel nicht viel über seine Familie gesprochen, und Details über seine tschechische Abstammung ließen sich schwer nachforschen, sagt sie.
„Seine Eltern waren überzeugte Zionisten und versuchten mehrmals, nach Palästina auszureisen. Erst am 15. März 1939 gelang ihnen dies. Bauer war ein Einzelkind, die Familie war tschechisch-deutsch und assimiliert. Er sprach davon, den Traum vom Gelobten Land in der Familie schon in den frühen Kindheitsjahren wahrgenommen zu haben.“
Die Familie Bauer konnte am Tag des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Prag die lange vorbereitete Emigration nach Palästina antreten. Sie saß im letzten Zug, der die Grenze nach Polen noch überqueren durfte.
Obwohl er über seine Kindheit nicht viel erzählt habe, habe sich Bauer mit großem Stolz als Tschechoslowake bezeichnet, sagt Pavlovská:
„Er betonte immer wieder seine tschechische Herkunft und sagte, er sei Tschechoslowake, weil er in der Tschechoslowakei geboren wurde. Bis zu seinem Tod beherrschte er die tschechische Sprache auf einem unglaublich guten Niveau, wenn man bedenkt, dass er 1939 die Tschechoslowakei verließ, in Haifa zur höheren Schule ging und dann in England studierte. Er sprach Polnisch, Französisch, Jiddisch, Deutsch und Englisch. Sein Sprachtalent wurde seinen Worten nach durch seine europäische Erziehung und Heimat begünstigt. Zudem sagte er, dass die Sprache die Tür zu anderen Menschen öffne. Eine seiner Hauptideen als Historiker war, mit Quellen in verschiedenen Originalsprachen zu arbeiten.“
Yehuda Bauer studierte ab 1946 Geschichte an der Universität Cardiff, unterbrach sein Studium 1948, um an Kämpfen des Arabisch-Israelischen Krieges teilzunehmen, und schloss sein Studium 1952 ab. Im Jahr 1960 promovierte er an der Hebräischen Universität Jerusalem und wurde Holocaust-Forscher. Er arbeitete auch in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Bauer veröffentlichte rund vierzig Bücher und zahlreiche wissenschaftliche Artikel. Seine Forschung erlangte auf internationaler Ebene Bedeutung, weil er begann, den Holocaust in einem breiteren historischen und sozialen Kontext zu untersuchen. So konzentrierte er sich nicht nur auf die Hintergründe und die Bedeutung für die jüdische Gesellschaft, sondern für die Menschheit im Allgemeinen. Auch im hohen Alter verfolgte der Historiker das aktuelle Weltgeschehen und verwies auf Parallelen in der Geschichte. Im Antisemitismus habe eine Entwicklung Ausdruck gefunden, gegen die nichts unternommen wurde. Bekämpfe man den Antisemitismus nicht, werde sich die Entwicklung wiederholen, warnte er:
„Laut Bauer kann man nicht über den Holocaust lehren, ohne andere Völkermorde zu berücksichtigen. Er verwies darauf, dass während des Zweiten Weltkriegs etwa 40 Millionen Zivilisten gestorben sind, davon sechs Millionen Juden. Wenn man den Antisemitismus bekämpfen wolle, solle man nicht die Juden verteidigen, sondern gegen die Antisemiten Sturm laufen.“
Yehuda Bauer stand 1998 auch an der Wiege der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA). Ihr Ziel ist es, die Aufklärung über den Holocaust, seine Erforschung und die Erinnerung an ihn weltweit zu fördern. Tschechien war eines der ersten IHRA-Mitgliedsstaaten. Seit 2011 vertritt Zuzana Pavlovská das Land in dem Bündnis. Dies habe ihr ermöglicht, Yehuda Bauer kennenzulernen, sagt sie:
„Er war wirklich eine Autorität, sowohl für die IHRA als auch auf persönlicher Ebene. Als er sich vor zwei Jahren von uns verabschiedete und sagte, dass er nicht mehr zu den Treffen kommen würde, entstand eine Stille – niemand konnte sich die IHRA ohne ihn vorstellen. Danach setzte er sich online mit uns in Verbindung. Die anstehende Tagung in London wird die erste ohne ihn sein.“
Pavlovská erinnert sich, dass Bauers Töchter den Forscher immer auf Reisen begleiteten und sagten, ihr Vater habe einen Fehler gemacht, indem er ihnen kein Tschechisch beigebracht habe. Und sie erwähnten auch seine Vorliebe für die tschechischen Palatschinken. Zuzana Pavlovská:
„Deshalb hat die tschechische Delegation ihm einmal Palatschinken zubereitet, aber auch das Rezept ins Hebräische übersetzt. Er war sehr gerührt und sagte, es sei eine seiner Kindheitserinnerungen.“