Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1945

Konzentrationslager Ravensbrück
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Im zentralen Frauen-Konzentrationslager des nationalsozialistischen Deutschlands in Ravensbrück wurden zwischen 1939 und 1945 etwa 123.000 Häftlinge gefangen gehalten. Unter ihnen waren auch knapp 5000 tschechoslowakische Frauen. Pavla Plachá hat die Flüchtlingsgruppe und ihre Struktur, die Schicksale der tschechoslowakischen Ravensbrückerinnen, aber auch den Umgang mit ihren Erinnerungen in der Nachkriegszeit gründlich erforscht. Die Historikerin, die am Institut für das Studium totalitärer Regime (ÚSTR) in Prag arbeitet, schildert die Forschungsergebnisse in ihrem Buch „Zerrisene Leben“, das auch auf Deutsch erschienen ist, sowie im folgenden Gespräch.

Frau Plachá, das KZ Ravensbrück war das größte Konzentrationslager für Frauen in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. Von 1939 bis 1945 wurden etwa 123.000 Frauen und Kinder aus vielen Ländern Europas dorthin verschleppt. Knapp 5000 von ihnen kamen aus dem Gebiet der damals schon nicht mehr existierenden, zerschlagenen Tschechoslowakei. Eben diesen Frauen widmen Sie sich in Ihrem Buch „Zerrissene Leben“. Wer waren diese Frauen, die in diesem Konzentrationslager inhaftiert wurden? Aus welchen Gründen wurden sie aus der Tschechoslowakei dorthin verschleppt?

Die Kategorie der politischen Gefangenen – das war die breiteste Kategorie, der die meisten Tschechoslowakinnen zugeordnet waren – eine sehr bunte Gruppe von Frauen.

„Das war meine grundlegende Frage: Wer waren diese Frauen und wie waren ihre Wege in das Konzentrationslager? Es hat sich gezeigt, dass diese Gruppe sehr breit war, viel breiter als man früher dachte. Ich habe dann versucht, diese Gruppe irgendwie zusammenzufassen. Ich glaube, viele wissen, dass in Konzentrationslagern die Gefangenen in Kategorien gegliedert waren. Es waren sogenannte ‚Politische‘, ‚Kriminelle‘, ‚Asoziale‘, ‚Emigranten‘ und in Männerlagern auch ‚Homosexuelle‘. Ich habe mich gefragt, ob auch tschechische oder tschechoslowakische Frauen in diese Kategorien aufgeteilt waren, und habe diese einzelnen Kategorien überprüft. Es hat sich gezeigt, dass gerade die Kategorie der politischen Gefangenen – das war die breiteste Kategorie, der die meisten Tschechoslowakinnen zugeordnet waren – eine sehr bunte Gruppe von Frauen war, wenn man das so sagen kann.

‚Politische‘, ‚Kriminelle‘, ‚Asoziale‘

Sie kamen aus ganz unterschiedlichen Gründen ins KZ. Es handelte sich nicht nur um ideologische Opponentinnen des Nationalsozialismus oder Widerstandskämpferinnen, sondern zum Beispiel auch um Frauen, die als Geiseln verhaftet wurden oder im Rahmen verschiedener präventiver Verhaftungen ins KZ kamen. Es waren Frauen, die wegen verbotenem Umgang mit Juden oder mit zivilen Zwangsarbeitern verhaftet wurden oder auch engagierte Christinnen. Ebenso gehörten dazu etwa auch Frauen, die mit der Gestapo zusammengearbeitet hatten, wobei die Gestapo dann aus verschiedenen Gründen entschied, diese Mitarbeit zu unterbrechen und diese Frauen ins KZ zu schicken. Auch solche Fälle gab es, sie waren aber nur vereinzelt.“

Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch nicht nur mit den Tschechinnen oder Slowakinnen aus dem Gebiet der Tschechoslowakei, sondern auch mit anderen Nationalitäten. Stimmt das?

Pavla Plachá | Foto: Ľubomír Smatana,  Tschechischer Rundfunk

„Ja, das stimmt und das ist logisch, weil die sogenannte Erste Tschechoslowakische Republik ein multinationaler Staat war. Dort lebten nicht nur Tschechen und Slowaken, sondern auch sehr viele Deutsche, Menschen polnischer Nationalität, ungarischer Nationalität oder Ruthenen in der Karpatenukraine. Deswegen gehören auch diese Frauen anderer als tschechischer oder slowakischer Nationalität zu meiner Arbeit.“

Waren die Tschechoslowakinnen in Ravensbrück eine geschlossene, eine kohärente Gruppe? Hielten sie zusammen?

„Die ehemaligen politischen Gefangenen, vor allem Kommunistinnen, die dann in der Nachkriegszeit den offiziellen Narrativ geprägt haben, betonten immer, dass die Tschechinnen zusammengehalten hätten, dass es eine kulturell entwickelte Gruppe gewesen sei und dass sie im KZ als Vorbild für andere Nationalitäten gegolten hätten. Auch diese These habe ich überprüft. Sie gilt tatsächlich aber nur für kleine Gruppen, und das hängt auch mit dem Leben im KZ zusammen. Denn es war nicht möglich, dass eine nationale Gruppe dort als eine Einheit gelebt hat. Das alltägliche Leben spielte sich in kleinen Gruppen ab, indem sich zwei, drei oder ein paar Frauen gegenseitig unterstützten. Teilweise galt dies etwa für die politischen Gefangenen, die zum Beispiel im sogenannten Revier, also im Häftlingskrankenhaus, gearbeitet haben. Das war dann schon eine ziemlich organisierte Gruppe, die Frauen tschechischer Nationalität unterstützten sich zum Beispiel, weil sie sich schon zuvor aus Prag kannten und eine gewisse Beziehung zueinander hatten.

Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück | Foto: Museum der Polizei der Tschechischen Republik

Zusammenhalt und Kontroversen

Milena Jesenská | Foto: ABS

Aber natürlich gab es auch Überschreitungen aus dieser nationalen Gruppe. Und es kam zu Kontroversen innerhalb der tschechischen Gruppe. Als Beispiel kann man da Milena Jesenská nennen. Vor dem Krieg war sie eine bekannte Journalistin gewesen, Anfang der 1930er Jahre hatte sie mit dem Kommunismus sympathisiert und war wahrscheinlich auch Mitglied der Kommunistischen Partei. Aber später, Mitte der 1930er Jahre, sagte sich Milena Jesenská vom Kommunismus los, denn sie war nicht einverstanden mit den stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion und kritisierte die Gleichschaltung des Denkens in der Partei. Die Kommunistinnen im KZ warnten zum Beispiel jüngere Frauen vor ihren Meinungen. Solche Kontroversen gab es also.“

Wie sah eigentlich das Leben in diesem KZ aus? Können Sie das bisschen beschreiben, was die Frauen dort erwartete?

„Das war sehr unterschiedlich, weil die Lage im Jahre 1939 anders war als 1944 oder 1945. Zu Anfang war die Zahl der Gefangenen nicht so groß. Jede Frau hatte ein eigenes Bett, und es gab auch relativ normale Nahrung und relativ gute Hygiene. Aber das änderte sich natürlich mit dem Ausbruch des Krieges und wegen des Mangels an Lebensmitteln, allmählich stieg die Zahl der Gefangenen. Die schlimmste Lage herrschte zu Ende des Krieges, also 1944 und 1945. Damals wurde Ravensbrück zum Ziel von Evakuationstransporten, es kam eine sehr große Anzahl von Frauen zum Beispiel aus Auschwitz oder aus anderen evakuierten Lagern. In dieser Zeit stieg auch die Sterblichkeit im Lager enorm an. Und Anfang 1945 wurde in Ravensbrück auch eine Gaskammer installiert.“

Sie haben im Rahmen Ihrer Recherchen sehr viele konkrete Schicksale und Geschichten kennengelernt. Welche davon hat Sie persönlich besonders berührt?

Dass man seine Forschung mit der aktuellen Lage in einer Familie verbindet, ist natürlich etwas, was einem Historiker nicht oft passiert.

„Wenn ich denn ein konkretes Schicksal nennen soll, dann das von Marie Pětrošová. Sie war eine junge Frau von 19 Jahren, die sich schon 1939 dem Widerstand in Nordmähren angeschlossen hatte. Pětrošová half den Flüchtlingen aus dem Protektorat, über die Grenze nach Polen zu kommen. Deswegen wurde sie verhaftet und ins KZ verschleppt. Noch vor der Deportation brachte diese Frau ein Kind zur Welt, und dieses Kind blieb dann bei ihren Großeltern. Das Schicksal von Marie Pětrošová war sehr tragisch: Sie kam 1942 in Ravensbrück ums Leben. Aber warum habe ich jetzt gerade dieses Schicksal gewählt? Der Grund ist, dass ich nach der Veröffentlichung dieser Geschichte dieses Kind gefunden habe. Diese Frau, die 1940 geboren wurde, die Tochter von Marie Pětrošová, lebt heute noch in Mähren. Ich habe sie kontaktiert. Und zur gleichen Zeit kontaktierte mich eine Frau aus England, die eigentlich ihre Schwester war. Sie ist erst nach dem Krieg geboren, in der zweiten Familie des Vaters von dieser Frau. Gerade die Veröffentlichung dieser Geschichte führte dazu, dass sich diese Familie wieder finden konnte. Dass man seine Forschung mit der aktuellen Lage in einer Familie verbindet, ist natürlich etwas, was einem Historiker nicht oft passiert.“

Frauen aus Lidice | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Weibliche Häftlinge – genderspezifische Fragen

Haben Sie viele Nachkommen der damaligen Häftlinge getroffen oder vielleicht sogar auch Überlebende?

„Es gab sehr wenige Frauen, direkte Zeitzeuginnen, die im KZ waren. Aber ich konnte noch mit drei sprechen, mit zwei Frauen aus Lidice und dann mit einer Frau aus Nordmähren. Weiter traf ich zudem Menschen, die als Kinder im KZ waren. Wie zum Beispiel Ivan Lefkovits, der aus einer jüdischen Familie stammte und zusammen mit seiner Mutter zu Ende des Krieges aus der Slowakei deportiert wurde. Beide wurden aus dem slowakischen Staat zuerst nach Auschwitz geschickt, aber weil Auschwitz zu dieser Zeit schon überfüllt war, wurde ihr Transport nach Ravensbrück umgeleitet.“

Waren viele Kinder zusammen mit ihren Müttern in Ravensbrück inhaftiert?

Pavla Plachá: Zerrissene Leben. Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1945 | Foto: VSA Verlag

„Es waren einige hundert Kinder. In den ersten Jahren durften Kinder nicht ins KZ kommen. Wenn bekannt wurde, dass eine Frau schwanger war, wurde sie in ein Krankenhaus nach draußen gebracht, wo sie das Kind gebar. Und dann kam sie ohne das Kind zurück ins KZ. Später änderte sich dies aber, vor allem im Zusammenhang mit dem Warschauer Aufstand 1944, als viele schwangere Polinnen nach Ravensbrück kamen. Damals wurde auch entschieden, in diesem KZ einen Kreißsaal einzurichten. Aber natürlich war die Lage der Neugeborenen wirklich schwer und schrecklich. Viele kamen ums Leben, weil die Ernährung völlig unzureichend war – nicht nur für sie, sondern auch für die Mütter.“

Das KZ Ravensbrück war ein Frauenlager. Gibt es spezifische weibliche Aspekte, die den Aufenthalt in einem solchen Gefängnis betreffen?

„Ja, das war ein Teil der Forschung. Man spricht über genderspezifische Fragen. Und ich habe mich dann gefragt, wie sich diese in den Erinnerungen der tschechoslowakischen Frauen widerspiegeln. Einerseits war es zum Beispiel das Thema der Mutterschaft, über das wir schon gesprochen haben. Oder auch, wie sich die Frauen mit der Abwesenheit ihrer Kinder auseinandergesetzt haben. Oft wird reflektiert, dass die Frauen kahl geschoren wurden oder dass sie im KZ keine Privatsphäre hatten. Es wird auch die Gewalt erwähnt, die oft einen sexualisierten Unterton hatte. Das sind also Aspekte, die ich in den Erinnerungen der Tschechoslowakinnen gesucht habe und dann in dem Buch irgendwie zu fassen versuchte.“

Offizielle Gedenkkultur in der kommunistischen Tschechoslowakei

Waren diese Frauen, die aus dem KZ Ravensbrück in die Tschechoslowakei zurückkamen, nach dem Krieg irgendwie organisiert? Unterhielten sie untereinander Kontakte?

Foto: Ľubomír Smatana,  Tschechischer Rundfunk

„Das ist auch eine interessante Geschichte, diese Nachgeschichte. Ich glaube, man kann von zwei Ebenen der Erinnerung sprechen. Einerseits eine Privatebene und andererseits eine offizielle Gedenkkultur. Die offizielle Gedenkkultur war davon sehr beeinflusst, dass 1946 in der Tschechoslowakei ein Gesetz verabschiedet wurde, das definierte, wer ein politischer Häftling gewesen war. Laut diesem Gesetz war dies jemand, der aus politischen Gründen, aus Rassen- oder aus Glaubensgründen im Zweiten Weltkrieg verfolgt wurde. Dieses Gesetz hatte großen Einfluss darauf, wie man auch die Geschichte der Konzentrationslager wahrgenommen hat. Für Ravensbrück spielte eine große Rolle, dass in der Tschechoslowakei schon 1946 eine Ravensbrück-Vereinigung von politischen Gefangenen gegründet wurde. Damals waren es vor allem Kommunistinnen oder Sozialistinnen, also linksorientierte Frauen. Diese Vereinigung spielte eine wichtige Rolle bei der Gründung des internationalen Ravensbrück-Komitees, weil der Grundstein dafür in Prag gelegt wurde. Für die Gedenkkultur war dann auch allgemein die Geschichte der Tschechoslowakei bestimmend: Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 kamen nur Kommunistinnen in die Leitung der Vereinigung, die sich dem offiziellen Narrativ anpassten, wie die Geschichte der Konzentrationslager der Öffentlichkeit vermittelt werden sollte.“

Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Die umfangreiche Studie von Pavla Plachá „Zerrissene Leben. Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1945“ erschien 2023 auf Deutsch im VSA-Verlag in Hamburg. Die Übersetzung stammt von Marika Jakeš.