„Die Sonderbehandlung“ - Theresienstädter Familienlager im KZ Auschwitz
„Zvláštní zacházení“, auf Deutsch „Sonderbehandlung“ - so nennt sich eine Neuerscheinung auf dem tschechischen Büchermarkt. Der Journalist und Publizist Adam Drda beleuchtet in dem Buch das Schicksal von vielen Tausend Juden aus Böhmen und Mähren, die während des Zweiten Weltkriegs in Ausschwitz-Birkenau ermordet wurden. Sie waren im sogenannten „Theresienstädter Familienlager“ eingesperrt, das aus bis heute unbekannten Gründen im Zentrum des Vernichtungslagers errichtet wurde.
„Diese ‚besseren Lebensbedingungen‘ in Birkenau waren unvergleichlich schlimmer als die im Theresienstädter Ghetto. Davon zeugt zum Beispiel die Todesrate durch Erkrankungen, sie lag bei 90 Prozent. Die insgesamt tristen Lebensumstände im Familienlager unterschieden sich praktisch nicht von jenen in den restlichen KZ-Abschnitten. Mit einer Ausnahme: Die BIIb-Insassen wurden in der Regel von den SS-Männern und KZ-Wächtern nicht aus Willkür einzeln gefoltert oder getötet, wie es anderswo geschah. Doch auch sie lebten in der Nähe der Gaskammern und Krematorien und litten ebenso unter Hunger, Kälte oder Krankheiten wie die anderen Häftlinge. Auch für sie galt ausnahmslos die Pflicht, die Befehle der Lagerleitung zu befolgen.“
Die Familientransporte aus Theresienstadt rissen nicht ab. Schon Mitte Dezember 1943 wurden zwei Züge mit je 2.500 Menschen nach Birkenau geschickt, und nachfolgend im Mai 1944 mit 7500 deutschen (3215), tschechischen (2543) und österreichischen (1276) Juden. Historiker gehen davon aus, dass für alle Transportgruppen eine Sonderfrist, die sogenannte Quarantäne galt. An ihrem Ende war allen das Los der „Sonderbehandlung“ beschieden. Im amtlichen Vokabular der Nationalsozialisten bedeutete sie den Tod in der Gaskammer ohne jegliches Gerichtsurteil.„Man stellt sich die Frage, warum die Menschen dort ein halbes Jahr am Leben gehalten und erst danach getötet wurden. Dies bleibt nach wie vor ein Rätsel. Nur eines steht fest: Die Nazis wollten den Massenmord an den Juden vor der westlichen Welt vertuschen. Mit den Theresienstädter Juden hatten sie offensichtlich etwas Besonderes vor. Dokumente, die das aber belegen könnten, sind nicht erhalten geblieben. Es lässt sich darüber nur spekulieren“, so Drda.
Kurz vor Ablauf der ersten Quarantänefrist erhielten die Teilnehmer der Deportation vom September 1943 den Befehl, ihren Verwandten und Bekannten in Theresienstadt Postkarten zu schreiben. Darauf sollte stehen, es gehe ihnen gut, man brauche nur ein bisschen mehr zu essen. Auf den Postkarten musste der 25. März 1944 vermerkt sein. Zu diesem Datum waren allerdings die Absender längst tot. Rund 3.800 Juden aus Böhmen und Mähren wurden bereits in der Nacht vom 8. auf 9. März in den Gaskammern ermordet. Weitere 6.500 ereilte dasselbe Schicksal in zwei Nächten zwischen dem 10. und 12. Juli 1944. Nach diesem Massenmord bestand das Theresienstädter Familienlager in Birkenau nicht mehr. Drda hat für sein Buch „Zvláštní zacházení“ / „Sonderbehandlung“ viele Quellen gesichtet und mit Überlebenden gesprochen. Ein wissenschaftliches Geschichtsbuch zu verfassen, war aber nicht sein Ziel:„Viele Menschen, die nach Theresienstadt deportiert wurden und glücklicherweise den Holocaust überlebten, haben ihre Erinnerungen aufgezeichnet. Vieles dazu hat auch das Jüdische Museum in Prag gesammelt. In der jüdischen Diaspora ist die tragische Geschichte nicht in Vergessenheit geraten. Im Gegenteil. Ich persönlich war aber unglaublich überrascht darüber, wie wenig tschechische Nicht-Juden von dieser unermesslichen Katastrophe wissen. Die Hauptursache sehe ich im Bestreben der Nachkriegszeit, den Judenmord und den Holocaust insgesamt aus der tschechischen Geschichtsschreibung gewissermaßen zu verdrängen. Als ob dieses Geschichtskapitel nur irgendwelche Nicht-Tschechen betroffen hätte.“
Drda zufolge passte es dem kommunistischen Regime nicht ins Konzept, ausdrücklich an die jüdischen Opfer zu erinnern. Stattdessen wurden diese zur Gesamtzahl tschechoslowakischer Kriegsopfer gezählt. Drda ist jedoch derselben Meinung wie der tschechische Historiker Michal Frankl. Dieser hatte in einem Beitrag für die Tageszeitung „Lidové noviny“ am 6. März 2004 unter anderem geschrieben:„Zweifelsohne wäre über das Familienlager von Ausschwitz nicht genauso geschwiegen worden, wenn dort in einer einzigen Nacht 4000 nichtjüdische Tschechen umgekommen wären.“
Im Vernichtungslager von Auschwitz sind schätzungsweise 1,1 Millionen Menschen umgebracht worden, davon rund 900.000 Juden aus ganz Europa. Als das KZ am 27. Januar 1945 durch die Sowjetarmee befreit wurde, befanden sich dort nur noch rund 7000 kranke und erschöpfte Menschen. Von den etwa 800 Häftlingen, die aus Auschwitz zu flüchten versuchten, waren rund 140 erfolgreich und überlebten. Unter ihnen auch zwei Slowaken beziehungsweise tschechoslowakische Bürger, Rudolf Vrba und Alfréd Wetzler, die nach ihrer Flucht 1944 über das Geschehen in Auschwitz berichteten. Eine Kopie ihres schriftlichen Berichts wurde in die Schweiz geschmuggelt und geriet dort im Juni 1944 in die Hände eines Vertreters der tschechoslowakischen Exilregierung mit Sitz in London. Durch sie gelangten die Berichte über die Grauen in dem KZ ins Radioprogramm der BBC.