Neuanfang nach dem KZ: Anna Hyndráková und Bohumila Havránková blicken zurück
Der 27. Januar gilt als der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Vor genau 70 Jahren befreite die sowjetische Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Auch die damals 16-jährige Anna Hyndráková war mit ihren Eltern, ihrer Schwestern und weiteren Verwandten im KZ Auschwitz inhaftiert. Als einzige aus ihrer Familie hat sie überlebt. In der folgenden Ausgabe der Sendereihe „Heute am Mikrophon“ bringen wir ein Gespräch mit Anna Hyndráková und ihrer Freundin Bohumila Havránková. Beide blicken zurück auf den die ersten Tage nach der Rückkehr aus den Konzentrationslagern.
„Darum war meine Rückkehr nach Hause einfacher als bei anderen, die niemanden mehr hatten. Natürlich war ich sehr glücklich, aber mein erster Eindruck war etwas seltsam – ich kam mir damals wie entwurzelt vor. Denn ich hatte auf einmal keine Freunde mehr. Entweder waren sie noch nicht zurückgekehrt oder aber sie kehrten nie mehr zurück. Auch die Geschwister meines Vaters mit ihren Familien waren nicht mehr da. Ich war als eine der ersten wieder zurück in Prag. Erst nachdem doch einige meiner Freundinnen zurückkamen, haben wir wieder Kontakt zueinander aufgenommen. Zu ihnen gehörte auch Anka - heute trägt sie den Nachnamen Hyndráková.“
Bohumila Havránková flüchtete aus Theresienstadt, noch bevor der Krieg zu Ende war. Warum sie geflüchtet sei, wisse sie nicht, sagt sie:„Gemeinsam mit einer Bekannten sind wir einfach weggegangen. Es war, glaube ich, am zweiten Mai. Wir wollten möglichst schnell in Prag sein. Zu der Zeit wurde Theresienstadt nicht mehr so streng überwacht. Da ich in der Landwirtschaft arbeitete, kannte ich den Weg nach Bohušovice gut. Dorthin sind wir gegangen. Nur den Stern von den Kleidern haben wir zuvor entfernt. Dann sind wir mit dem Zug nach Prag gefahren. Auch deutsche Soldaten sind eingestiegen. Als der Zug in Prag – Bubeneč hielt, verließen alle Passagiere in Panik den Zug, denn angeblich wurde ein Luftangriff auf Prag gemeldet. Wir sind mit den anderen mitgerannt und versteckten uns in einem Keller. Am nächsten Tag haben uns die Leute gesagt, dass wir weg müssen, weil wir Jüdinnen sind. Wie sie darauf gekommen sind, weiß ich nicht. Wahrscheinlich sahen wir verdächtig aus.“
Die Bewohner des Hauses argumentierten damit, dass in der Umgebung viele Deutsche wohnten und dass sie Angst vor ihnen hätten. Die beiden Mädchen mussten weiter ziehen. Prag war damals wie leergefegt, erinnert sich Bohumila Havránková.„Wir waren uns nicht dessen bewusst, dass es draußen gefährlich sein konnte. Zu Fuß sind wir über den Letná-Hügel hinunter zur Moldau gegangen. Erst dort auf der Brücke hielt uns ein deutscher Soldat auf und fragte uns, wohin wir gehen. Meine Freundin hatte einen Onkel in der Straße Dlouhá. Da sagten wir, dass wir ihn besuchen wollten. Ich hatte damals eine Schultasche bei mir, in der ich verschiedene Fotografien hatte, auf denen meine Freunde – natürlich mit dem gelben Stern an der Kleidung – zu sehen waren. Der Soldat begleitete uns zum Gebäude der Jura-Fakultät, wo seine Befehlshaber saßen. Wir wiederholten auch dort ständig, dass uns der Onkel erwartet und dann begannen wir, ein bisschen zu heulen. Der Soldat sagte: ‚Haut ab‘ – und ließ uns gehen. Wir kamen zu dem Onkel. Er war sehr nett, hat uns etwas zum Essen gegeben und ließ uns dort übernachten. Alles hat gut geendet, wir hatten wirklich Glück.“
Viel komplizierter war die Rückkehr aus dem KZ für Anna Hyndráková. Sie stammte aus einer jüdischen Familie und wurde mit ihren Eltern im Oktober 1942 nach Theresienstadt geschickt. Im Sommer 1944 folgte der Transport nach Auschwitz. Anna passierte noch einige weitere Lager.„Meine Eltern, meine Schwester und fast alle Verwandten wurden in Auschwitz ermordet. Ich flüchtete mit einigen weiteren Gefangenen Anfang Mai 1945 aus dem Lager Görlitz. Mit einem Pferdewagen gelang es uns nach Prag zu kommen. Ich hatte drei Onkel in Prag, die Tanten waren nicht- jüdischer Herkunft. Zwei der Onkel waren in Theresienstadt, aber nur in den letzten Kriegsmonaten. Ich entschied mich zu dem Onkel und der Tante zu gehen, die ich am liebsten hatte. Sie hatten vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter. Von ihren Kindern hat aber nur einer der Söhne überlebt. Sie waren keine schlechten Menschen. Ich habe aber bis heute das Gefühl, dass sie insgeheim gedacht haben: ‚Sie ist zurückgekommen – und unsere schönen Kinder nicht.‘ “
Anna Hyndráková stand damals vor dem Nichts. Ab und zu habe sie eine Nachricht von karitativen Organisationen oder der jüdischen Gemeinde erhalten. Dann bekam sie Kleidungsstücke oder ein wenig Geld. Einmal war es sogar ein grüner Hut, erinnert sie sich:„Aber ich hatte keine Dokumente. Vor der Haft hatte ich noch keinen Personalausweis, weil ich zu jung war. Ich hatte auch kein Zeugnis von der Schule, um nachzuweisen, wer ich bin. Ich hatte nichts zum Essen, kein Geld und kein Dach über dem Kopf. Einmal wurde ich vom Verband der befreiten Gefangenen eingeladen. Ich sollte ein Paket von der UNRRA (Flüchtlingshilfeorganisation der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) abholen. In der Schlange, die sich dort bildete, standen Frauen, deren Männer gestorben waren. Aus den Gesprächen konnte ich erkennen, dass sie meistens schon einen neuen Mann gefunden hatten. Mich fragten die Frauen, was ich dort zu suchen habe. Dann sagten sie, wer weiß, was ich alles dafür machen musste, um zu überleben. Denn alle anständigen Leute seien doch in den Konzentrationslagern gestorben.“
Das sei keine schöne Begrüßung nach der Rückkehr gewesen, sagt Anna Hyndráková. Schließlich fand sie die Unterkunft im jüdischen Waisenhaus und fing an, eine Grafikerschule zu besuchen. Keine guten Erfahrungen machte Anna auch mit den Familien, bei denen ihre Eltern vor der Deportation Teile ihrer Besitztümer zurückgelassen hatten. Eine Familie hatte die Brautausstattung für Anna und ihre Schwester versteckt.„Ich kann mich erinnern, dass es sich dabei vor allem um Bettzugstoff sowie Geschirrtücher handelte. Ich habe die Leute einige Mal besucht. Ich habe mich dort hingesetzt, bekam eine Tasse Malzkaffee, und sie fragten mich nach meiner Mama. Da fing ich an zu heulen, stand auf und ging. Dann habe ich sie nochmal besucht, weil mir die Tante vorwarf, dass ich nicht in der Lage sei, mich um meine Angelegenheiten zu kümmern. Ich sagte damals gleich in der Tür, dass ich die Brautausstattung abholen möchte. Sie erklärten aber, dass sie nichts hätten, dass ihnen die Gestapo alles weggenommen hätte. Bei anderen Nachbarn ließ meine Mutter wiederum handgeklöppelte Gardinen und einen Plüschteppich zurück. Sie sagte ihnen damals, dass sie die Dinge benutzen könnten, und nach der Rückkehr würden wir uns wieder melden. Als ich zu ihnen kam, sagte mir die Frau, sie habe die Gardinen reinigen lassen. Sie wollte daraufhin 60 Kronen von mir.“
Anna Hyndráková fiel es schwer, nach der Haft wieder in Prag Fuß zu fassen. Besser, so sagt sie, wurde es erst als sie drei frühere Freundinnen wieder traf. Darunter war auch Bohumila Havránková. Heute sind die beiden Frauen Mitglieder der Theresienstädter Initiative. Als Zeitzeugen halten sie Vorträge, organisieren Ausstellungen und tragen zur Dokumentation der Geschichte der Konzentrationslager bei.