Greta Fischer – Vorreiterin bei der psychischen Betreuung junger Holocaust-Opfer

Greta Fischer im Kloster Indersdorf

Ende September wurde im mährischen Budišov nad Budišovkou / Bautsch ein Buch der Historikerin Anna Andlauer über Greta Fischer vorgestellt. Auf dem dortigen „Weg der tschechisch-deutschen Verständigung“ liegt ein Gedenkstein an die dort 1910 geborene Jüdin, die während und nach dem Krieg für ihre Arbeit mit traumatisierten Jugendlichen in Dachau bekannt wurde. Im Folgenden erfahren Sie mehr über die außergewöhnliche Person.

Greta Fischer in Prien am Chiemsee  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs existiert noch keine Tschechoslowakei, und die Länder der böhmischen Krone sind noch fester Bestandteil der österreich-ungarischen Monarchie. In Mähren kommt im Januar 1910 in einem kleinen Ort zwischen Olomouc / Olmütz und Ostrava / Ostrau eine beeindruckende Person auf die Welt:

„Greta Fischer wurde in Bautsch, heute Budišov, geboren. Sie war das jüngste von sechs Kindern des Tierarztes Leopold Fischer und seiner Frau Ida, geborene Mayer. Die Familie war deutschsprachig, sprach aber als Amtssprache auch etwas Tschechisch.“

So Anna Andlauer. Die Historikerin hat über Greta Fischer geforscht und ihre Ergebnisse im Buch „Zurück ins Leben“ veröffentlicht. Über Greta Fischers Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Ihre Neffen und Nichten bezeugen, dass sie schon früh eine unabhängige, selbstbewusste Frau gewesen sei. Sie macht eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und wagt mit 20 Jahren den Schritt in die weite Welt. Anna Andlauer charakterisiert die junge Frau:

Greta Fischer  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
„Greta war früh eine emanzipierte junge Frau, die ins Ausland ging. Zunächst arbeitete sie in der Schweiz in einem Internat als Reitlehrerin und lernte dann in verschiedenen Familien Französisch und Polnisch.“

Dabei entdeckte Greta Fischer ihre Liebe zu Kindern und machte eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Die lebenslustige junge Frau ging danach nach Galizien, in die Nähe von Lemberg, wo sie als Kindermädchen einer wohlhabenden jüdischen Familie arbeitete. 1939 aber kam die Wende für die Familie, wie die Historikerin erzählt:

„Die Deutschen waren in die Tschechoslowakei einmarschiert, und es war deutlich, dass die jüdische Familie dort nicht überleben konnte. Daher sind alle sechs Kinder der Familie Fischer ausgewandert. Die Eltern wollten ihre Heimat aber nicht verlassen, und sind anschließend im Holocaust umgekommen.“

Sigmund und Anna Freud  (Foto: Wikimedia Commons Free Domain)
Greta Fischer flüchtet nach London und arbeitet zunächst wieder als Kindermädchen. Als die deutschen Luftangriffe auf die britische Hauptstadt beginnen, lernt sie die Tochter des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud kennen.

„Greta Fischer hat in verschiedenen ‚War Nurseries’ (Kinderkrippen, Anm. d. Red.) in London Kinder betreut, die von den deutschen Luftangriffen auf London traumatisiert waren. Eine dieser Krippen war in Nachbarschaft der von Anna Freud gegründeten Kindereinrichtung. Fischer hat dann viele Ideen übernommen, die von Anna Freud vertreten wurden.“

Anna Freud war Lehranalytikerin der British Psycho-Analytical Society. Sie schuf die Grundlagen für die Trauma-Therapie bei Kindern und gründete die Hampstead-Nursery für Kinder. Greta Fischer lernte von Anna Freud und ihren Anhängern während des Krieges viel über den Umgang mit traumatisierten Kindern. Obwohl Fischer nie Psychoanalyse oder ein medizinisches Fach studiert hatte, beschloss sie, sich weiter vor allem um junge Kriegsopfer zu kümmern. Sie meldete sich bei der Uno als Freiwillige für ein spezielles Kinderteam, das Unrra-Team 182. Anna Andlauer:

Greta Fischer  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
„Schon 1943, noch vor Kriegsende, ist die Unrra gegründet worden, die United Nation Relief and Rehabilitation Administration. Die Politiker verschiedener Nationen hatten sich Gedanken gemacht, wie es nach dem Krieg weitergehen könnte. Diese Organisation sollte also helfen, die Displaced Persons, die entlassenen KZ-Häftlinge, die ehemaligen Zwangsarbeiter, also die Millionen von entwurzelten Menschen in ihre Heimatländer zu repatriieren.“

Die Aufgabe des achtköpfigen Unrra-Teams 182 sollte es sein, im Bereich der dritten US-Armee sich um die ziellos umherirrenden Kinder zu kümmern. Greta Fischer und ihr Team kamen direkt nach Kriegsende aus Frankreich nach Dachau. Sie wandelten dort das Kloster Indersdorf in ein Trauma-Zentrum für Kinder um und begannen mit der Arbeit. Greta war zunächst „Unrra Welfare Officer“, ab 1. September 1945 wurde sie zur Principal Welfare Officer befördert, also zur leitenden Sozialarbeiterin. Die Wochenschau drehte im Oktober 1945 einen Film über die Arbeit dieses Unrra-Teams:

Greta Fischer  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
„Diese Waisen von Fremdarbeitern und anderen verschleppten und vergewaltigten Opfern des Nationalsozialismus tragen vielfach als einziges Erkennungsmerkmal eine eingebrannte Nummer auf dem Arm. Die Unrra kann dieses Brandmal nationalsozialistischer Schändlichkeit nicht auslöschen. Aber sie kann den Kindern, die nie oder kaum Eltern gekannt haben, allmählich das Tor zu einem glücklicherem Leben öffnen.“

Andlauer ist sich aber sicher, dass der Kommentator einen Fehler gemacht habe. Vor allem der Schluss gebe Greta Fischers Arbeit falsch wieder:

Greta Fischer  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
„Nach Monaten der Betreuung und Pflege sollen die Kinder ein neues Zuhause im Ausland finden. In diesen Tagen geht ein erster Transport von 50 Kindern nach England, auch die Schweiz und andere Ländern werden eine Anzahl von Kleinkindern aufnehmen - damit die Waisen von Indersdorf vergessen lernen, was ihr erster Kindheitseindruck war: Dachau!“

Genau das habe Greta Fischer aber nie gewollt: Vergessen erzeugen. Die Unrra-Mitarbeiter hätten den Überlebenden stundenlang zugehört, wenn sie von ihren verstörenden Erfahrungen berichteten, erklärt die Historikerin. Greta Fischer habe gesagt, dass alles herauskommen müsse, jeder solle seine schreckliche Geschichte erzählen, vom eigenen Leiden und vom Tod der Liebsten.

Greta Fischer  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
Nach und nach werden die Jugendlichen in andere Länder gebracht. Greta Fischer begleitet 100 junge Überlebende des Holocaust im Sommer 1948 nach Kanada und hilft ihnen dort, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Fischer beginnt dann, im Alter von 43 Jahren, ein Studium zur Sozialarbeiterin. Sie arbeitet nach ihrem Examen in Montreal mit authistischen Kindern und geht für das American Jewish Joint Distribution Commitee nach Israel, um auch dort bei der Ansiedlung von jüdischen Kindern zu helfen. 1965 zieht sie nach Jerusalem:

„Sie hat dann in Israel ab 1965 die Sozialarbeitsabteilung im Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem aufgebaut und geleitet. Das ist das größte Krankenhaus in Israel. Die vielen Mitarbeiter traten auf Augenhöhe mit den Ärzten für das psychische Wohl der Patienten ein. Das geschah unabhängig von der Frage, ob Palästinenser oder Israeli.“

Greta Fischer  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
Greta Fischer hat 1985 einigen kanadischen Freunden ein Interview auf Englisch gegeben. Darin beschreibt sie einen Teil ihrer Motivation, zu helfen:

„Ich wollte immer mit Kindern arbeiten, schon als ich noch ein kleines Kind war. Wir lebten damals in einer kleinen Stadt in der Tschechoslowakei, und ich wollte immer kleine Kinder mitnehmen, auf sie aufpassen und sie waschen. Ich habe Kinder einfach geliebt, und da war schon immer etwas von der Sozialarbeiterin in mir, von klein auf, als jüngstes von sechs Kindern. Es war kein schlechter Weg, sein Leben zu führen.“

Greta Fischer starb am 28. September 1988 an einem Herzinfarkt auf dem Busbahnhof in Tel Aviv. In ihrem Nachlass fand ihre Nichte ausführliche Berichte und selten gesehene Fotos aus dem Kloster Indersdorf. Greta Fischers Fotos und Berichte zeigen, was liebevolle und persönliche Beziehungen für die jungen Traumatisierten bedeuteten. Sie gewannen dadurch Sicherheit und Vertrauen in die Welt zurück.


Anna Andlauer  (Foto: Archiv der Stadt Budišov nad Budišovkou)
Anna Andlauer sucht übrigens noch immer nach den ehemaligen Kindern aus dem Kloster Indersdorf. Sollten Sie von jemandem wissen oder gehört haben, können Sie sich gerne an unsere Redaktion oder an Anna Andlauer wenden.