„Humanitäre Heldentat“ – Bewohner von Roztoky halfen 1945 KZ-Häftlingen

Foto: Martina Schneibergová

Etwa zehn Kilometer nördlich von Prag liegt Roztoky / Rostok. Am 30. April 1945 hielt auf dem dortigen Bahnhof ein Zug mit Häftlingen aus dem KZ-Außenlager Litoměřice / Leitmeritz. Die Bewohner der Stadt versorgten die Gefangenen mit Lebensmitteln und halfen mehr als 300 von ihnen dabei, aus dem Todestransport zu flüchten. Eine Ausstellung im Mittelböhmischen Museum in Roztoky erinnert an das Ereignis, das in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.

Foto: Martina Schneibergová
Ein achtminütiger Film zeigt Szenen vom Bahnhof in Roztoky im April 1945. Der Streifen wurde bei der Eröffnung der Ausstellung vorgeführt. Zu sehen ist, wie es am Bahnhof von Menschen wimmelt. Viele haben Brot dabei und reichen dieses den KZ-Häftlingen in einem langen Zug, der dort steht. Die Ereignisse hatte ein Mann gefilmt, der damals in der Bahnhofsstraße lebte. Seine Familie hat diese besonderen Aufnahmen aufgehoben. Zur Ausstellungseröffnung kamen auch einige Zeitzeugen. Gabriel Silagi schaute sich tief gerührt die Fotografien an:

Foto: Martina Schneibergová
„Wir sind ungarische Juden, wir sind getrennt worden. Mein Vater war zuerst in ungarischer Zwangsarbeit, dann in mehreren Konzentrationslagern. Er hat nicht viel gesagt über die Zeit. Dass er in einem Todeszug aus Leitmeritz war, das hat er aber schon erzählt. Er wusste damals natürlich nicht, wohin es hin ging. Er ist in Roztoky geflüchtet und konnte sich in einer Typhus-Abteilung im Krankenhaus verstecken. Er sagte, die Deutschen hätten dort nicht gesucht. Wir aus der Familie haben ihn nach dem Krieg dann in Prag wieder getroffen.“

Gabriel Silagis Vater war einer von mehr als 300 KZ-Häftlingen, die aus dem Todestransport in Roztoky geflüchtet sind. Der Zug verließ am 30. April die Stadt und fuhr weiter bis Velešín in Südböhmen. Die Ausstellung in Roztoky ist in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg entstanden. Jörg Skriebeleit leitet die Gedenkstätte:

Jörg Skriebeleit  (Foto: Martina Schneibergová)
„Wir haben vor mehr als 15 Jahren Fotos entdeckt, auf denen man einen großen Zug und KZ-Häftlinge sieht sowie Zivilisten, die den Häftlingen helfen. Wir konnten diese Fotos nicht zuordnen. Dann haben wir weiter recherchiert und gemerkt, dass es noch mehr Material gibt. In diesem tauchte immer wieder die Stadt Roztoky auf, aber auch Orte wie Kralupy oder Olbramovice. Wir haben eine Zeitlang gebraucht, bis wir begriffen haben, dass diese Fotos alle dasselbe Ereignis zeigen: einen Todeszug aus Leitmeritz, dem größten Außenlager des KZ Flossenbürg, der Richtung Süden fuhr. Das Ziel war Mauthausen. Seitdem bemühen wir uns, diese Geschichte zu erzählen: in unserer Dauerausstellung, in Filmen und im deutschen Fernsehen. Wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit dem Militärhistorischen Institut in Prag und mit Pavla Plachá. Wir werden die Ausstellung auch in Deutschland zeigen.“

Pavla Plachá  (Foto: Martina Schneibergová)
Jörg Skriebeleit hält die Hilfe der Bewohner von Roztoky für die KZ-Häftlinge für einzigartig.

„Dies ist eine absolute Ausnahme. Es gibt auf dem ganzen Gebiet des Deutschen Reiches keine solchen Aufnahmen, weil es keine Hilfe in dieser Form gegeben hat. Das ist eine große humanitäre Heldentat, die hier von der tschechischen Zivilbevölkerung geleistet worden ist. Es ist europaweit einzigartig, dass eine Kleinstadt versucht, so viele Menschen wie möglich zu retten – aus ganz normalem Humanismus.“

Pavla Plachá hat mit ihrem Mann, dem Militärhistoriker Jiří Plachý, die Ausstellung zusammengestellt.

„Die Historiker der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg suchten nach jemandem, der in der Roztoky recherchiert. Da ich damals in dort wohnte und beim Büro für NS-Opfer arbeitete, habe ich die Recherchen gemacht. Seitdem kommen deutsche Journalisten und wollen Interviews machen, und ich bin dabei die Kontaktperson. Da ich über die Jahre viel Material zusammengetragen habe, kam ich auf die Idee, eine Ausstellung zusammenzustellen. Jörg Skriebeleit war damit einverstanden. Ich habe Kontakte zum Prager Militärhistorischen Institut geknüpft, das auch daran Interesse zeigte. So ist das tschechisch-deutsche Projekt entstanden.“


Die Ausstellung mit dem Titel „Der Todestransport Leitmeritz – Velešín“ ist im Mittelböhmischen Museum in Roztoky bis 30. April zu sehen. Das Museum ist vom Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.