Schloss Kunín – Blütezeit, Verfall, Auferstehung
Am letzten Märzwochenende öffnen traditionsgemäß tschechische Burgen und Schlösser ihre Tore. Auch im nordmährischen Barockschloss Kunín freut man sich nach der Winterpause bereits auf die Besucher. Wir geben einen Einblick in die Geschichte der Adelsresidenz.
„Das Dorf hieß Jahrhunderte lang Kunewald auf Deutsch und Kunvald auf Tschechisch. In der Region lebte die ganze Zeit sowohl tschechisch- als auch deutschsprachige Bevölkerung. 1947 wurde Kunvald in Kunín umbenannt, weil man den ursprünglichen Namen aus dem Gedächtnis der zurückgebliebenen tschechischen Bevölkerung verdrängen wollte. Das Dorf Kunvald galt seinerzeit als Zentrum der Region, die ab Ende des 18. Jahrhunderts Kuhländchen genannt wurde. In tschechischer Übersetzung ist das Kravařsko. Das fruchtbare Gebiet entlang der Oder zwischen Mähren und Mährisch-Schlesien war berühmt als Zuchtheimat des Kuhländer Rindes. Seine überwiegend deutschsprachige Bevölkerung sprach eine besondere Mundart und pflegte eigene Bräuche.“
Die Barockresidenz
1723 erhält das Gut Kunewald neue Besitzer. Im Rahmen der Erbteilung fällt es an Fürstin Eleonora, geborene Liechtenstein, verheiratet ist sie mit dem Angehörigen eines alten böhmisch-österreichischen Adelshauses, Graf Harrach-Rohrau. Das Ehepaar lässt das kleine Schloss von Kunín in eine repräsentative Sommerresidenz im Barockstil umbauen. Entworfen wird diese vom berühmten Architekten Johann Lucas von Hildebrandt. Die Erbin ist heute noch auf zwei alten Gemälden in der Schlossgalerie zu sehen:„Als Witwe im fürstlichen Mantel sowie als 16-jährige Braut im goldbestickten Kleid. 1719 heiratete sie Friedrich August Graf Harrach, Mitglied des Kaiserhofs in Wien und Vertrauter von Maria Theresia. Die Regentin ernannte ihn 1745 zum Obersten Kanzler von Böhmen. Seine Frau brachte ebenso wie Maria Theresia 16 Kinder zur Welt. Viele der historischen Bilder, die bei uns zu sehen sind, wurden aufwendig restauriert. Sie sind zu Kriegsende von Sowjetsoldaten, die hier das barocke Treppenhaus bis in die oberste Etage auf Pferden hinaufgeritten kamen, mit Messerstichen beschädigt worden. Die Bilder dienten ihnen sogar als Zielscheiben beim Schießen. Es ist sehr wichtig, dass die Personen auf den Porträtgemälden identifiziert wurden. Damit ist das historische Gedächtnis in unser Schloss zurückgekehrt. Zugleich ist es auch ein guter Grund für die Nachkommen der früheren Schlossbesitzer, zu uns zu Besuch zu kommen“, so der Kastellan.
Die zweite Generation des Ehepaars Harrach ist in der Schlossgalerie durch ein Portrait des Sohnes Xaver vertreten. Er ist in Generalsuniform abgebildet:„Graf Xaver Harrach und sein älterer Zwillingsbruder wurden an Bord eines Schiffes geboren, die Eltern waren gerade auf dem Rhein unterwegs nach Brüssel. Ihr Vater war damals Hofmeister und später auch Statthalter in der reichsten Provinz der Donaumonarchie, den sogenannten Österreichischen Niederlanden. Wegen ihres Geburtsorts erhielten die Zwillinge auch den Spitznamen die ‚Rhein-Grafen‘. Der jüngere von ihnen erbte später das Schloss Kunín. Neben seinem Portrait hängen um das Jahr 1775 entstandene Bilder der Offiziere, die seiner Militärkompanie angehörten. Sie galt als eine der Elitekompanien im kaiserlichen Österreich. Ihr Standort war im nahe gelegenen mährischen Lipník nad Bečvou.“
Graf Xaver Harrach und seine Ehefrau Maria Rebecca Gräfin von Hohenems haben nur ein einziges Kind. Es ist die Tochter Marie Walburga, verheiratete Truchsess-Waldburg-Zeil. Mit ihr erlebt das Schloss Kunín die wohl bedeutendste Zeit in seiner Geschichte. Ihm wird Radio Prag ein anderes „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ widmen.
Adoptiv-Kind wird Erbe
Gräfin Marie verstirbt kinderlos. Deswegen macht sie Friedrich Emil Schindler in ihrem Testament zum Erben ihrer Besitzungen. Den damals dreijährigen Sohn einer armen Familie hat sie als ihren Enkel adoptiert. Mit ihm beginnt ein neues, aber kurzes Kapitel in der Schlossgeschichte. Später, schon als Schlossbesitzer, wird Schindler für seine Verdienste um die Förderung der regionalen Landwirtschaft in den Adelsstand erhoben. Das Diplom, mit dem ihm von Kaiser Franz Josef I. der Titel „zu Kunewald“ verliehen wird, sowie der Siegelstempel des Kaisers gehören heute zu den Schlossexponaten. 1867 stirbt Schindler, nur drei Jahre später zieht seine Witwe nach Kärnten in Österreich und verkauft den Besitz an den Landgrafen Ernst Egon von Fürstenberg. Dessen Sohn Josef Friedrich veräußert 1895 das Schloss und die Ländereien an die Industriellenfamilie Bauer im südmährischen Brno / Brünn. Deren gesamten Besitzungen werden 1945 vom tschechoslowakischen Staat konfisziert, also auch das Schloss in Kunín.Zezulčík zufolge beherbergte das Schloss noch bis 1945 zum Beispiel eine hochwertige Porzellan- und Glassammlung, eine Gemäldegalerie und eine Bibliothek mit über 20.000 Bänden. Nach dem Weltkrieg 1945 allerdings begann für den Barockbau eine düstere Zeit mit fatalen Folgen. Jahrzehnte lang diente das Gebäude verschiedenen Zwecken – zum Beispiel als Herberge für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder als Lagerhaus. Die Räumlichkeiten wurden mehrfach geplündert.
Irgendwann um die Mitte der 1990er Jahre habe er Schloss Kunín zum ersten Mal besichtigt und sei schockiert gewesen, sagt der Kastellan. Das Gebäude befand sich im Stadium des Verfalls. Es gab Räume ohne Parkett, kahle Wände ohne Putz und Ähnliches mehr. 1999 ging die Immobilie an die Gemeinde Kunín über. Trotz der unzähligen Schäden konnte das Schloss gerettet werden. Jaroslav Zezulčík:„Auf einem Foto kann man sehen, wie unsere Restauratoren zum Beispiel von den Wänden mehrere Millimeter dicke Schichten Tünche mit Skalpellen entfernen, bis darunter die ursprünglichen Wandmalereien wieder zum Vorschein kommen. Der Rundgang endet für unsere Besucher in drei Räumen, auf die wir besonders stolz sind: die Schlosskapelle, das Gelbe Zimmer und das Pompeji-Zimmer. Seit einigen Jahren zeigen wir gerade dort die wertvollsten Gegenstände aus dem Besitz der Familie Schindler.“
Wertvolle Einrichtungsgegenstände
Dass Originalmöbel, Porzellan, Gemälde und weitere Genstände zurückgebracht werden konnten, gleicht einem kleinen Wunder. Dahinter verbirgt sich viel Arbeit und Mühe:„Das letzte Mitglied der Familie Schindler war Gräfin Judith-Marie, sie ist 2014 im Alter von 95 Jahren verstorben. Ab 2002 war ich wiederholt bei ihr zu Besuch. Ihrer dank zeigen wir in der Schlossgalerie je ein Portrait von Emil Schindler und seiner Frau sowie eine Vedute des Schlossareals aus dem 19. Jahrhundert. Alle drei Gemälde haben ihre Vorfahren vor 150 Jahren mit nach Österreich genommen. Außerdem konnten wir ungefähr 1000 Gegenstände aus der Familienvilla Schindler in Krumpendorf am Wörthersee zurückkaufen, und zwar vom Bistum in Gurk, das diese im Nachlass erhalten hatte.“
Darüber hinaus war es möglich, vor Ort auch eine Dokumentation über die ursprünglichen Schlosssammlungen von Kunín zu erstellen. Sie umfasst 2000 Scans und Fotoaufnahmen. Eine andere Spur führte in die USA, wo ein Teil der Nachkommen der Familie Bauer lebt. 1939 starb in Kunín ihr Vorfahre, Viktor Bauer Ritter von Kunewald.
„Sie kamen im September 2001 nach Wien. Es war der erste mögliche Flug nach den Terror-Anschlägen auf das World Trade Center in New York. Darauf sind wir nach Österreich gefahren, um Gespräche mit den Angehörigen des US-amerikanischen sowie österreichischen Familienteils aufzunehmen. Man schenkte uns Familienalben und einzelne Fotos sowie ein Verzeichnis des früheren Mobiliars. All das hat unsere Suche in den Depots nach den verschwundenen Gegenständen deutlich erleichtert. Nach dem Tod der Tochter des letzten Schlossbesitzers wurden wir von ihrem Enkelsohn nach Salzburg eingeladen. Von dort haben wir dann einen voll beladenen LKW mit Porzellan, Glas- und Silbergegenständen, Möbeln und vielem mehr nach Kunín gefahren“, so Jaroslav Zezulčík.Die Nachkommen der Familie Bauer leben heute verstreut in der westlichen Welt. Sie sind in den USA, Kanada, Chile sowie in Deutschland und Österreich zu Hause. Angehörige all dieser Familienzweige haben aber bereits den Weg nach Kunín gefunden.