Widerstand im Protektorat: das unbekannte Attentat von Brünn

August Gölzer (Foto: Bundesarchiv)

Im Mai jährt sich zum 75. Mal das Attentat auf Reinhard Heydrich. Doch es war nicht der einzige Anschlag zu Zeiten des Protektorats auf einen Vertreter der Besatzungsmacht. Nur Wenige dürften wissen, dass es drei Jahre später tschechische Widerstandskämpfer in Brno / Brünn auf einen SS-Offizier abgesehen hatten. Dies ist jedoch in den vergangenen 70 Jahren in Vergessenheit geraten.

Alois Bauer  (Foto: Archiv von Jiří Skoupý)
Es ist gegen Ende des Krieges. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in Brünn hat sich zwar schon für die Flucht gerüstet, noch aber verbreitet sie Angst und Schrecken. Die Zweigstelle in Brünn ist für Mähren zuständig, zwischen 1939 und 1945 verfolgt sie knapp 14.000 Rechtsdelikte. Ganz besonders sind das sogenannte „staatsfeindliche Bestrebungen“. Vor allem wer im Widerstand aktiv ist, lebt in größter Gefahr: Ihm droht bei der Aufdeckung, schwer gefoltert und dann erschossen zu werden.

Die Cousins Alois Bauer und Vladimír Blažka hält das jedoch nicht ab. Sie kommen beide aus Olešnice / Oels in Mähren. Im Februar 1945 ist Alois Bauer 18 Jahre alt und arbeitet als Bäckergehilfe in Brünn. Vladimír Blažka ist bereits 24 Jahre alt und hat eine Ausbildung zum Handelsgehilfen gemacht. Er ist es, der nach der Besetzung des Landes unliebsame Bekanntschaft macht mit dem nationalsozialistischen System.

„In der Protektoratszeit wurde Blažka zur Zwangsarbeit in Berlin, Hamburg und Straßburg eingezogen. Er wurde sogar wegen des Verdachtes auf Sabotage verhaftet und war fünf Monate im KZ Oranienburg interniert“, so der Historiker Jiří Skoupý, der sich intensiv mit dem Brünner Attentat beschäftigt hat.

Im KZ und dann im Widerstand

Vladimír Blažka  (Foto: Archiv von Jiří Skoupý)
Vladimír Blažka flieht dann aus Deutschland in die Slowakei, wo er sich 1944 einer Partisanengruppe anschließt. Doch der slowakische Nationalaufstand schlägt fehl, und der junge Mann kehrt im Winter des Jahres nach Brünn zurück. Dort trifft er seinen Cousin wieder. Jiří Skoupý:

„Im Frühling 1945 traten Bauer und Blažka der kommunistischen Widerstandsbewegung ‚Guppe Vorhut‘ bei, deren Leiter Vladimír Tišnovský war. Dieser ist für den Fall im Weiteren von großer Bedeutung gewesen.“

Zum Ziel der beiden wird SS-Hauptsturmführer August Gölzer, der aus Lauffen am Neckar stammt. Gölzer ist bereits 1927 der NSDAP beigetreten und auch der SA. Wahrscheinlich weil er schwerhörig ist, leistet er keinen Wehrdienst, sondern einen freiwilligen Arbeitsdienst. Zuvor hat er eine Banklehre gemacht. Während der Weltwirtschaftskrise ist er arbeitslos, danach aber Verwaltungsangestellter:

„1936 wurde er Mitglied der SS; gleich danach absolvierte er die Handelsschule der Deutschen Arbeitsfront. Gölzers Karriere nahm dann Fahrt auf, als er in den Jahren 1936 bis 1939 im SS-Hauptamt in Berlin arbeitete.“

August Gölzer  (Foto: Bundesarchiv)
Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler kommt Gölzer nach Prag. In der Stadt an der Moldau heiratet er auch und verbringt dort die ersten Jahre im sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren.

„Im Herbst 1944 wurde Gölzer zum SS-Hauptsturmführer befördert und zur Kommandantur des SS-Abschnittes Nr. 29 in Brünn abkommandiert. Hier wohnte er mit seiner Frau und vier Kindern und war als Buchhalter bei der Allgemeinen SS tätig“, so Skoupý.

Der schwerhörige SS-Offizier

Zum schicksalshaften Aufeinandertreffen von Alois Bauer, Vladimír Blažka und August Gölzer kommt es am Abend des 7. Februar 1945. Historiker Skoupý hat dazu im Archiv einen Polizeibericht gefunden. Dort heißt es:

„Am 7. Februar 1945 verließ SS-Hauptsturmführer August Gölzer mit seiner Frau um 19.45 Uhr die Dienststelle des SS-Abschnittes und begab sich nach Hause in seine Wohnung. Am Hauseingang liefen vom freien Platz zwei Zivilisten herbei und sprangen auf Gölzer zu mit den Worten: ‚Hände hoch‘.Gölzer hörte dies aber nicht, da er etwas schwerhörig war. Gölzer wurde von seiner Frau auf die Männer aufmerksam gemacht, drehte sich noch herum und versuchte die Pistole zu ziehen, was ihm aber nicht mehr gelang, da die Banditen drei bis vier Schuss auf ihn abgaben. Drei Schüsse gingen fehl, der vierte traf Gölzer aber rückwärts durch die Lunge. Gölzer schloss die Tür auf, ging alle vier Treppen hoch. Seine Frau half ihm wieder auf, verließ sofort das Haus und verständigte einen in der Nähe wohnenden tschechischen Arzt, der in die Wohnung kam, dann aber noch einmal zurücklief.“

Jiří Skoupý  (Foto: David Hertl,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Der Mordanschlag ereignet sich um 20.20 Uhr. Erst nach zwei Stunden kommen zu gleicher Zeit zwei Rettungswagen an, sagt Jiří Skoupý. Gölzer wird sofort operiert, laut dem behandelnden Arzt jedoch vergebens. Gölzer stirbt in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1945.

Die doppelte Verwechslung

Doch die Widerstandskämpfer haben es eigentlich gar nicht auf den Buchhalter der SS in Brünn abgesehen, sondern auf jemand anderen. Dem Attentat liegt wohl eine doppelte Verwechslung zugrunde, wie Historiker Skoupý aus den Quellen herauslesen konnte:

„Die ehemaligen Gestapo-Angehörigen und die Mitlieder der Widerstandsbewegung ‚Gruppe Vorhut‘ haben nach dem Krieg fast einstimmig behauptet, dass das wahre Ziel des Attentates der Gestapo-Kriminalrat und Leiter der Exekutivabteilung Otto Koslowski sein sollte, den die Attentäter zudem irrtümlich für den obersten Befehlshaber der Gestapo-Leistelle Brünn hielten. Sowohl der Name des Widerstandsmitgliedes, das den Befehl zum Attentat auf Koslowski gegeben hat, als auch die Ursachen für die Verwechslung mit Gölzer sind bis heute unbekannt.“

Wie Skoupý sagt, startet die Gestapo sofort eine Nachtrazzia, ähnlich der nach dem Anschlag auf Reinhard Heydrich in Prag knapp drei Jahre zuvor. Auch die Kriminalpolizei beteiligt sich an der Suche nach den Attentätern. Doch zunächst ohne Erfolg.

Hof des sogenannten Kaunitz-Kollegs  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Die Wende kam erst, als der Leiter der ‚Gruppe Vorhut‘, Vladimír Tišnovský, von der Gestapo verhaftet wurde. Während des Verhörs machte er den Gestapo-Beamten ein Angebot: Er werde die Namen der Attentäter auf Gölzer nennen, wenn er und weitere Verhaftete am Leben gelassen würden. So kam es auch. Damit rettete er sein Leben auf Kosten der Attentäter. Beide Attentäter wurden bald danach verhaftet, brutal verhört und erschossen. Die Exekution führte Kriminalrat Otto Koslowski mit seiner Dienstwaffe persönlich durch.“

Die Erschießung wird auf dem Hof des sogenannten Kaunitz-Kollegs in Brünn vorgenommen. In dem Kolleg haben die Nationalsozialisten das größte Gefängnis der Stadt eingerichtet. Die Leichen werden danach in Särge gelegt und auf dem Zentralen Stadtfriedhof in ein Massengrab geworfen. Und das alles nur zwölf Tage vor der Befreiung Brünns.

Als Denunziant vor Volksgericht

Otto Koslowski  (Foto: Archiv der Sicherheitsdatenblätter)
Nach dem Krieg, im Juli 1945, werden die Überreste beider Attentäter exhumiert und feierlich beigesetzt. Vladimír Tišnovský, der die beiden Attentäter verraten, und Otto Koslowski, der sie erschossen hat, haben letztlich ein unterschiedliches Schicksal:

„Vladimír Tišnovský überlebte den Krieg, im Jahre 1946 wurde er aber als Denunziant vor ein Volksgericht gestellt. Er konnte allerdings beweisen, dass er die Namen der Attentäter unter Zwang verraten hatte, und kam frei. Gestapo-Kriminalrat Otto Koslowski floh am 6. Mai 1945 nach Bayern. Er fand eine neue Arbeitsstelle in Gladenbach, im Holzgeschäft Karl Zimmermann. Im September 1946 wurde er als Kriegsverbrecher von den Amerikanern verhaftet und an das Volksgericht in Brünn ausgeliefert, wo er unter anderem auch für den Mord an Bauer und Blažka zum Tode verurteilt wurde. Der Journalist Rudolf Ströbinger hat in seinem Buch ‚Verrat in Rot‘ später behauptet, dass Koslowski Selbstmord begangen hätte. Tatsächlich wurde er aber hingerichtet, es geschah am 3. Mai 1947.“

Wie aber konnte das Attentat in Vergessenheit geraten? Jiří Skoupý hat dazu eine einfach Erklärung:

„Da die Umstände des Attentates durch den Prozess gegen Vladimír Tišnovský schon bekannt waren, konnte das kommunistische Regime dieses Ereignis propagandistisch weder benutzen noch missbrauchen. Und weil der Leiter der kommunistischen Widerstandsgruppe sozusagen ‚völlig versagt hatte‘, geriet das Attentat für 70 Jahre in Vergessenheit.“

Erst vor kurzem hat Historiker Jiří Skoupý diesen Teil der tschechischen Geschichte wieder aus den Archiven ausgegraben.

Autor: Till Janzer
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