Gegen Hitler, nicht aber gegen den Faschismus: Rudolf Formis und sein Schwarzsender in Mittelböhmen
Am 23. Januar 2025 ist es genau 90 Jahre her, dass der deutsche Radiotechniker Rudolf Formis von Gestapo-Mitarbeitern aus Berlin in Slapy, also auf tschechoslowakischem Boden, erschossen wurde. Damit sind die Parameter benannt in einer Geschichte, in der es um einen Schwarzsender geht, um Anti-Hitler-Propaganda ebenso wie NS-Agitation und um eine missglückte Entführung – und dies alles über die tschechoslowakisch-deutsche Grenze hinweg. Was wie ein Agententhriller klingt, ist 1935 tatsächlich passiert.
Der Deutsche Rudolf Formis ist heute in Tschechien wohl besser bekannt als in seinem Heimatland. Dies liegt daran, dass seine Geschichte seit seinem Tod im Jahr 1935 bis heute hierzulande immer wieder erzählt wird. Im Archiv des Tschechischen Rundfunks existiert sogar ein Zeitzeugenbericht über eine persönliche Begegnung. Vladimír Stibitz (1906–2000), einst Techniker beim Sender Radiojournal, blickte im Oktober 1991 in einer Sendung zurück:
„Getroffen habe ich Formis zum ersten Mal bei den Gebrüdern Novák. Das war eine Radiofirma in der Vodičková-Straße. Einmal stand ich dort mit dem jungen Novák zusammen, als dieser plötzlich sagte: ‚Schauen Sie, dort ist der Formis.‘ Am Pult stand ein Mensch, der schon durch seine Erscheinung auffällig war. Er war von nicht allzu großer Statur, trug Stulpen, Reithosen, einen Rucksack auf dem Rücken, Jägerhut und ein grünes Hemd ohne Krawatte. Diese Kleidung war zu dieser Zeit in Prag absolut unüblich.“
Dieser schon vom Anblick her interessante Mann habe zudem ungewöhnliches Equipment eingekauft, so Stibitz: 500-Volt-Kondensatoren für den Starkstromgebrauch – passend für einen Rundfunksender.
Doch was machte Formis im Jahr 1934 eigentlich in Prag? Der Mann kam 1894 schließlich in Stuttgart zur Welt und wurde später dort als technischer Leiter des noch neuen Süddeutschen Rundfunks tätig.
Wie der Historiker Andreas Morgenstern aus der Schwarzwaldgemeinde Schiltach in seinen Forschungen beschreibt, begrüßte Formis die Übernahme der Radioanstalt durch SS und SA 1933 noch begeistert. Wie es dann dazu kam, dass der Techniker im Jahr darauf als Hitler-Gegner auftrat, könne nicht genau nachvollzogen werden, sagt Morgenstern im Interview mit Radio Prag International:
„Das ist eine bisher offene Frage. Bereits die Gründe für seine offene Zustimmung sind schwer zu beurteilen. War es reale Begeisterung für den Nationalsozialismus? Oder vielleicht rechnete er sich auch Karrierechancen aus. Anzufügen ist aber, dass er jüdische Vorfahren hatte. Für Formis hätte es keinen Platz im NS-Rundfunk gegeben.“
Somit machte sich Formis laut Forschung auf den Weg in die Türkei, wo er im Ersten Weltkrieg für die Deutschen als Funker gedient hatte. Doch er kam nicht weit über die Tschechoslowakei hinaus und saß nach zwei Abschiebungen quasi in Prag fest.
Hier entschied eine Begegnung mit einem einst einflussreichen NSDAP-Mitglied über Formis‘ weitere Tätigkeit. Otto Strasser hatte in persönlicher Gegnerschaft zu Adolf Hitler seine eigene Gruppierung, „Die schwarze Front“, gegründet. Um deren rassistische Agenda zu verbreiten, seien ihm die technischen Fähigkeiten seines neuen Bekannten gelegen gekommen, schildert Morgenstern und berichtet von der Entstehung der illegalen Rundfunkstation Anfang November 1934:
„Das Sendegerät für die weitreichende Kurzwelle baute dann Formis. Nach ersten Sendungen aus Prag funkte er aus dem Hotel Záhoří im böhmischen Slapy. Das Tal war ideal zur Verbreitung der Radiowellen, was dem eigentlich leistungsschwachen Sender eine große technische Reichweite verlieh. Es ist herausragend angesichts dieses kleinen Geräts, wie es über mehrere hundert Kilometer senden konnte. Da war natürlich dann auch die Auswahl des Sendestandortes in diesem Tal zur Ausbreitung der Radiowellen optimal gewählt.“
Von den Sendungen aus dem Hotel Záhoří, dessen historischer Standort im Übrigen später durch den Stausee Slapy geflutet wurde, gibt es nur Mitschriften von Hörern und in der Presse – aber keine Aufnahmen. Laut Morgenstern sprechen die zeitgenössischen Quellen von politischen Beiträgen und Kommentaren als heftige Agitation gegen das Hitler-Regime. Vor allem weil keine selbst verfassten Dokumente von Formis überliefert seien, könne allerdings nicht beurteilt werden, wie er persönlich zu den gesendeten Inhalten stand, schränkt der Historiker ein:
„Er hat auch eine Rede des Strasser-Bruders Gregor versendet, der führendes NSDAP-Mitglied gewesen ist. Allerdings hat Formis dies zu einem Zeitpunkt gebracht, nachdem Gregor Strasser von den eigenen Leuten umgebracht worden war. Also allein das Senden eines inzwischen umgebrachten Nationalsozialisten zeugt von eindeutiger Distanz. Dazu muss man sagen, dass seine eigenen Inhalte wohl meist darauf hinausliefen, dass er aus Zeitungen vorgelesen hat. Und zwar Meldungen über Deutschland, die dort selbst nicht mehr verbreitet werden durften. So gesehen kann man schon sagen, dass wir hier auch antifaschistische Inhalte haben – gemischt allerdings mit den durchaus faschistischen Inhalten der Schwarzen Front.“
Die deutschen Sozialdemokraten im Prager Exil seien ebenfalls auf den Schwarzsender aufmerksam geworden, ergänzt Morgenstern. Engere Kontakte zu ihnen baute Formis allerdings nicht mehr auf in der kurzen Lebenszeit, die ihm noch bleiben sollte.
Erkennungsruf "Trotz Gestapo!"
Ein Erkennungsruf der Sendungen von Formis seien die Worte „Trotz Gestapo!“ gewesen, berichtete zudem Zeitzeuge Vladimír Stibitz:
„In der Gregorova-Straße in Prag gab es die Firma Jilovský. Sie lieferte Gelatineplatten an das Radiojournal oder auch mit Lack gespritzte Metallplatten für die Aufnahmen. Von den Lieferungen ließ man immer einige Platten frei für Probeaufnahmen. Diese wurden dann aussortiert, und für die eigentliche Aufnahme nahm man eine neue. Einmal stand ich an dem Apparat und legte eine dieser aussortierten Platten auf, da ertönte: ‚Wir kommen morgen wieder, trotz Gestapo!‘ Dies war die Stimme, die ich am Tag zuvor auf Kurzwelle gehört hatte, nämlich die von Formis. Jilovský nahm also hier in der Gregorova-Straße die Meldungen von Formis auf.“
Vor allem seien die täglichen und mehrstündigen Sendungen in den grenznahen Teilen Deutschlands – also Bayern, Sachsen und Schlesien – gehört worden, informiert Andreas Morgenstern mit Verweis auf die heute bekannten Ermittlungsunterlagen der Gestapo. Aber auch Zeitungen in Österreich hätten Empfangsberichte abgedruckt. Und jene, gegen die sich die illegale Radiostation richtete, wurden dem Historiker zufolge ebenfalls schnell aufmerksam…
„Der Sender wurde auch von der Gestapo gehört. Reinhard Heydrich schickte dann Alfred Naujocks, einen SS-Mann, zur Aufklärung. Sehr schnell gelangen die genaue Ortung des Senders und auch die Kontaktaufnahme zu Formis, natürlich ohne Angabe des realen Reisegrundes. Alfred Naujocks hat dann nach Kriegsende in britischer Gefangenschaft ausgesagt, sein Auftrag sei die Entführung von Formis nach Deutschland gewesen, um den Sender verstummen zu lassen – nicht dessen Ermordung.“
Naujocks spürte den Schwarzfunker in dem abgelegenen Hotel im Moldautal auf und gab sich ihm gegenüber als deutscher Tourist aus. Es gelang ihm, einen Abdruck von Formis‘ Zimmerschlüssel zu machen, und bei einer zweiten Mission von Berlin aus wurde er von seinem Agentenkollegen Werner Göttsch nach Slapy ins Hotel Záhoří begleitet. Heydrichs Befehl lautete, den Sender zu zerstören und Formis ins Deutsche Reich zu bringen. Am Abend des 23. Januar 1935 traten beide in Aktion. Andreas Morgenstern räumt ein, es sei schwer zu sagen, was genau sich dann abspielte:
„Es gab einen Einbruchsversuch in das Zimmer. Formis ist dabei offensichtlich überrascht worden. Er hatte eine Pistole von Strasser bekommen, und dann hat sich ein Schuss gelöst. Die genauen Hintergründe sind allerdings bis heute ungeklärt. Wer den ersten Schuss also abfeuerte, kann man nicht mit Sicherheit sagen.“
Am Ende lag Rudolf Formis tot auf dem Boden. Von Gestapo-Führer Reinhard Heydrich sei auch dieser Ausgang letztlich begrüßt worden, gab Naujocks später den britischen Behörden zu Protokoll.
Die beiden Agenten flüchteten noch in der Nacht über die Grenze nach Deutschland. Den Angestellten des Hotels hatten sie unter Drohungen noch verboten, die Polizei zu rufen. Darum kamen die Beamten erst am nächsten Tag zum Ort des Geschehens. Und auch der Pressefotograf Karel Hájek war dort, wie er im Mai 1965 im Tschechischen Rundfunk beschrieb:
„Der Redakteur František Gel erfuhr wie immer als erster von der Tat. Und darum waren er und ich auch als die Ersten in Záhoří. In dem Zimmer, in dem es zu dem Mord gekommen war, hatten die Täter Petroleum ausgegossen und es angezündet. Die Einrichtung war versengt, und die Stromzufuhr in die Wohnung war unterbrochen. Ich hatte damals noch keine Blitzvorrichtung, und darüber hinaus hatte der Kommandeur der Wache ein strenges Fotografierverbot erlassen. Am Ende ist es uns doch gelungen, den Kriminalrat zu überreden, dass er mir erlaubte, eine Aufnahme von dem erschossenen Formis zu machen. Die Belichtungszeit dauerte eine halbe Minute, und den Fotoapparat musste ich an einen Stuhl anlehnen. Das waren jedoch noch nicht alle Schwierigkeiten. Im zweiten Stock befand sich der Sender – direkt über dem Zimmer, in dem der ermordete Formis lag. Er wurde von einem Gendarmen bewacht, der alle meine Wünsche ablehnte mit dem Hinweis, dass dort nicht fotografiert werden dürfe. Aber erneut ging es gut aus. Ich sprach mich mit Gel ab, der den Wachmann zu einem heißen Tee einlud, denn es war kalt. In dieser Zeit ging ich nach oben und fotografierte die gesamte Sendereinrichtung.“
Keine Verurteilung im Fall Formis
Die einheimischen Medien – deutsch- wie tschechischsprachige – berichteten ausführlich über den „Fememord“ und zitierten aus den Polizeiakten. Es wurde scharfe Kritik geübt, dass der Schwarzsender offenbar von den tschechoslowakischen Behörden toleriert worden sei. Dem schloss sich der Vorwurf an, den Übergriff der SS auf die territoriale Souveränität der Tschechoslowakei provoziert zu haben. Morgenstern führt aus:
„Für die Tschechoslowakei offenbarte sich, dass die reichsdeutschen Nazis auch auf ihrem Gebiet keine Skrupel vor Mord und zumindest Entführung hatten. Auch zeugte die gelungene Flucht der Täter von Mängeln bei der Grenzkontrolle. Kritisch wurden aber vor allem die deutschen Flüchtlinge betrachtet. Ihre antifaschistische Arbeit drohte die Tschechoslowakei stärker in den Blick des skrupellosen großen Nachbarn Deutsches Reich zu bringen. Bei den Strafermittlungen erhielt die Tschechoslowakei erwartungsgemäß keine Unterstützung aus dem Reich. Jeder wusste, wo die Verantwortung lag. Doch Folgen sollte das nicht haben.“
Weder Alfred Naujocks noch Werner Göttsch seien jemals von einem bundesdeutschen Gericht verurteilt worden, ergänzt der Historiker.
Und die Sendevorrichtung? Agent Naujocks sei kein Technikexperte gewesen, äußert Morgenstern. Der Apparat, den der Agent zerstörte, war irrtümlicherweise nur ein Empfangsgerät gewesen. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Formis‘ Schwarzsender heute im Nationalen Technikmuseum in Prag zu sehen ist. Und auch sonst ist Rudolf Formis den Geschichts- und Technikinteressierte hierzulande ein Begriff. Andreas Morgenstern:
„Bei der historischen Aufarbeitung muss man zwischen jener in Deutschland und der in Tschechien unterscheiden. Während Formis in Deutschland heute weitgehend vergessen ist – weshalb auch mit Blick auf die nur wenigen Aufzeichnungen die Zusammenarbeit mit Strasser wenig thematisiert wird –, ist sein Fall in Tschechien durch die Arbeit von Roman Cilek und auch verschiedene Dokumentationen deutlich präsenter. In Tschechien steht jedoch die technische Tat selbst im Mittelpunkt, weniger die Inhalte. Was man aber auf jeden Fall sagen muss: Der Grat zwischen Widerstand und aktiver Zustimmung – oder wenigstens stillschweigender Akzeptanz des Nationalsozialismus – konnte schmal sein. Für Formis haben wir keinen Beleg für eine bewusste Abkehr und Distanz vom Nationalsozialismus, auch wenn die versendeten Inhalte einen Stachel in das NS-Medienmonopol darstellen. Aber eines ist sicher: Formis muss es gereizt haben, mit seinen technischen Fähigkeiten den Reichsrundfunk und das Propagandaministerium zu schlagen.“
Über Rudolf Formis berichten die hiesigen Medien, so etwa die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks, bis heute immer wieder. Radiomoderator und Schriftsteller Ilja Kučera d. J. griff den Fall zudem für seinen 2018 erschienen Roman „Přehodit řeku“ (zu Deutsch etwa: Den Fluss umkehren) auf. Und das Buch des erwähnten Roman Cílek namens „Případ Formis“ (Der Fall Formis) stammt von 2015. Es trägt den Untertitel: Schicksalsdrama des Mannes, der sich dem Bösen entgegenstellte.