Das mysteriöse Schicksal eines Nazi-Jägers: Der Journalist Franz Lederer
In der Zwischenkriegszeit war er einer der prominentesten Journalisten in der Tschechoslowakei. Dann musste er nach England fliehen. Nach dem Krieg half er den Amerikanern, die größten Nazis vor Gericht zu stellen. Trotzdem ist heutzutage sein Name in seiner Heimat praktisch unbekannt. Die Rede ist von Franz Lederer.
Franz Lederer war jeder Nationalismus fremd. Er war der Überzeugung, dass sowohl die Tschechen als auch die Deutschen ihre Heimat in Böhmen hatten und dass sie einander brauchten. Beide Sprachen sprach er übrigens perfekt. Umso größer war der Schock für ihn und seine Kollegen, als 1938 die Tschechoslowakei zerschlagen wurde. Der Chefredakteur des Prager Tagblatts, Rudi Thomas, nahm sich nach der deutschen Besetzung des Sudetengebietes infolge des Münchner Abkommens das Leben. Franz Lederer soll danach laut verschiedenen Quellen die Redaktionsleitung der Redaktion übernommen haben. Offiziell ist dies aber nicht belegt, wahrscheinlich aus taktischen Gründen. Lederer blieb in der Redaktion, bis die Zeitung im April 1939 endgültig geschlossen wurde. Eduard Burget:
„Franz Lederer wusste ganz genau, was kommen würde, und er wollte das Land verlassen. Am 6. März 1939 reichte er bei der Botschaft der USA einen Einreiseantrag ein und wurde in die entsprechende Liste aufgenommen. Die Absicht scheiterte aber. Am 16. März 1939, einen Tag nach der Besetzung durch die Nazis, mussten alle Angestellten jüdischer Herkunft die Redaktion verlassen. Anfang April wurde das Erscheinen der Zeitung eingestellt, und am 19. April wurde Franz Lederer von der Gestapo verhaftet.“Nach ein paar Wochen wurde der Journalist aber glücklicherweise wieder freigelassen. Danach floh er mithilfe des Roten Kreuzes über die Schweiz nach Großbritannien, wo er sich einer Gruppe weiterer deutscher Flüchtlinge anschloss. Der Neustart auf der Insel war aber nicht einfach: Für die Briten galten sie als Mitglieder eines verfeindeten Volks, deswegen wurden sie zunächst in den Lagern inhaftiert; erst nach einem Gerichtsentscheid durften sie sich frei im Land bewegen und arbeiten. Franz Lederer war wieder als Journalist tätig. Er schrieb für ein deutschsprachiges Blatt mit dem schlichten Namen ‚Die Zeitung‘. Diese wurde vom britischen Außenministerium herausgegeben und an die Front und nach Deutschland geschmuggelt. Darüber hinaus war Lederer mit dem tschechoslowakischen Exilaußenminister Jan Masaryk und anderen Politikern seiner Heimat in Kontakt. Er meldete sich sogar als Soldat zur tschechoslowakischen Einheit in Großbritannien, jedoch vergeblich. Trotz seiner eindeutig antifaschistischen Einstellung wollte man wahrscheinlich nicht riskieren, einen Deutschen unter Tschechen aufzunehmen.
Lederers Familie blieb jedoch die ganze Kriegszeit in Prag. Die Tochter Táňa Lukešová erzählte 1993 im Tschechischen Rundfunk, was es für sie bedeutete, einen jüdischen Vater zu haben:„Weil mich die antijüdischen Nürnberger Gesetze betrafen, versteckte mich meine Mami bei einer ihrer russischen Freundinnen, deren Ehemann ein Deutscher war. Dort durfte ich nicht einmal zum Fenster, um nicht gesehen zu werden. Ein nächstes Versteck war eine Kabine in einem Prager Schwimmbad. Das war schrecklich. Der kleine Raum war absolut dunkel, und Licht sah ich nur dann, wenn meine Mutter mir heimlich Essen brachte. Dies dauerte aber nicht lange. Als meine Mutti erfuhr, dass mein Vater gerettet ist, entschied sie sich, auch mich zu retten. Sie erklärte mich zu einer unehelichen Tochter und löste damit einen Gerichtsprozess aus. Das muss für sie unglaublich entwürdigend gewesen sein. Sie sagte, sie sei ihrem Ehemann untreu gewesen und mein Vater sei ein schon verstorbener Georgier. Als Zeugen traten vor dem Gericht die russischen Tanten, ein Freund des angeblichen Georgiers und sogar auch ein orthodoxer Priester auf. Sie alle begaben sich damit aber in unglaubliche Gefahr.“
Die Familie konnte erst nach dem Krieg wieder zusammenkommen. Franz Lederer besuchte einige Male Prag, wo ihm problemlos die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft bestätigt wurde. Auf Dauer wollte er aber nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. Ab Juni 1945 arbeitete er als Pressesekretär der amerikanischen Armee bei Radio Luxemburg und lieferte Informationen an die deutschsprachigen Zeitungen in der amerikanischen Besatzungszone. Aus Luxemburg führte sein Weg nach Berlin, wo ihn eine weitere Aufgabe erwartete. Dank seinen journalistischen und analytischen Fähigkeiten wurde er damit beauftragt, die Unterlagen für die Gerichtsprozesse gegen die nationalsozialistischen Verbrecher zu sammeln. In ganz Deutschland suchte er in den Archiven der Gestapo, der SS und anderer Organisationen. Mehrere Zeugnisse sprechen davon, dass die Amerikaner seine Arbeit sehr gelobt haben. Doch am 21. Juni 1948 wurde Franz Lederer in seiner Wohnung in Berlin tot aufgefunden. Was damals geschah, ist bis heute unklar. Eduard Burget:„Lederers Engagement hat sicher nicht jedem gefallen. Es war die Zeit kurz nach dem Krieg, und Deutschland war voll von Menschen, die an die nationalsozialistische Ideologie geglaubt hatten und Mitglieder verschiedener Nazi-Organisationen gewesen waren. Auch Franz Lederer war von diesen Menschen umgeben. Beispielsweise sein Sekretär und sein Fahrer sollen laut mehreren Aussagen ehemalige Mitglieder der NSDAP gewesen sein. Solche Menschen haben vielleicht Interesse daran gehabt, Lederer zum Schweigen zu bringen. Konkrete Beweise gibt es aber keine. Als Todesursache wurde eine Überdosis Schlaftabletten festgestellt. Das konnte ein unglücklicher Zufall gewesen sein, ein Selbstmord oder auch ein geplanter Mord.“In Lederers Familie waren jedoch alle der Überzeugung, dass der Nazi-Jäger ermordet worden war. In einem Brief hatte er Max Brod anvertraut, dass er eine Kiste mit Dokumenten entdeckt hatte, die gerade jemand beseitigen wollte. Für den Selbstmord habe dagegen nichts gesprochen, Lederer soll viele Pläne für die Zukunft gehabt haben, unter anderem erwog er, nach Israel auszuwandern. Die tschechoslowakischen Behörden versprachen den Hinterbliebenen, Lederers Tod zu untersuchen, doch das blieb ergebnislos. In der Tschechoslowakei hatten bereits die Kommunisten die Macht übernommen – und ein deutscher Nazi-Gegner, der den Krieg in London verbracht hatte, passte den neuen Machtinhabern nicht ins Konzept. Auch wurde hierzulande praktisch überhaupt nicht über seinen Tod berichtet, nur eine Lokalzeitung in Brno / Brünn veröffentlichte einen kurzen Nachruf. Das Schweigen brach erst Staatspräsident Václav Havel: 1991 verlieh er Franz Lederer eine Staatsauszeichnung „in Memoriam“.