Über Stacheldraht, Karpatendeutsche und Kafka – der Autor Constantin Göttfert im Interview
Das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren vergibt regelmäßig ein Aufenthaltsstipendium für Prag. Der aktuelle Stipendiat ist der österreichische Schriftsteller Constantin Göttfert. Ende Juli hat der Autor im Prager Literaturhaus aus seinen Werken vorgelesen und mit den Gästen diskutiert.
„Das bedeutet, dass ich mich viel intensiver mit dem Text beschäftigen kann, als ich es sonst mache. Gerade in der Endphase, in der ich jetzt stecke, ist es gut, wenn man sich ohne Unterbrechungen dem Text widmen kann. Die Idee dahinter ist, dass man alleine in der Wohnung arbeitet. Man bekommt die Umgebung zur Verfügung gestellt und kann sich mit seiner Arbeit beschäftigen, ohne vom Alltag abgelenkt zu werden, wie zum Beispiel von den Kindern. Da ist ja immer irgendwas. Und natürlich nimmt man auch etwas mit. Das kann ich bestätigen: Stipendien haben immer etwas Inspirierendes. Nach Prag wollte ich schon immer. Im Februar habe ich die Nachricht bekommen, dass es jetzt für Juli gehen würde. Ich dachte: Das ist zwar sehr kurzfristig, aber das mache ich natürlich.“
„Ich glaube, dass Kafka von der Sprache her so einen starken Stil hat, dass die Gefahr besteht, diesen unbewusst zu imitieren“
Wenn man in Prag ist, kommt man um Franz Kafka nicht herum…
„Der ist ein Symbol, wie vielleicht James Joyce für Dublin. Die Leute haben die T-Shirts, und dann ist da dieses ominöse Kafka-Museum, in dem ich auch schon dreimal war. Die letzten Male bin ich doch immer wieder reingegangen. Es ist halt diese Figur, die sicher auch ein Symbol ist.“
Sie haben vorhin selbst gesagt: Man muss aufpassen, wie sehr man sich mit Kafka auseinandersetzt. Aber trotzdem: Würden Sie sagen, dass Kafka Sie sehr inspiriert?
„Ja, das würde ich schon sagen. Aber es sind viele Leute, die mich inspirieren. Ich glaube, dass das Lesen für einen Schriftsteller grundsätzlich immer wichtig ist. Auch das Lesen von Gegenwartsliteratur. Um auch einfach zu sehen, wie andere mit bestimmten Themen umgehen. Auch die Beschäftigung mit der Sprache ist sehr wichtig. Ich glaube, dass Kafka von der Sprache her so einen starken Stil hat, dass die Gefahr besteht, diesen unbewusst zu imitieren. Aber man kommt um ihn nicht herum. Ich würde es nicht gut finden, wenn die Leute sagen: Der versucht, wie Kafka zu schreiben. Doch tue ich das meiner Meinung nach nicht. Vielleicht kann man eine Ähnlichkeit finden, aber über meine Arbeit wurde schon viel Widersprüchliches gesagt. Ich lese das dann und denke mir: aha, so kann man das sehen. Und dann sagt jemand, der schreibt wie der oder wie der… es ist ganz unterschiedlich.“
„Mir passiert es einfach, dass mir die Menschen ihre Geschichten erzählen.“
Kommen wir kurz zu Ihrem letzten Buch „Steiners Geschichte“. Sie beschäftigen sich darin mit der Vertreibung der Karpatendeutschen. Wie sind Sie dazu gekommen, diese Ereignisse in einem Buch zu verarbeiten?
„Das hat familiäre Gründe, sonst hätte ich das Thema auch nicht gewählt. Es ist ein Minenfeld, in dem man aufpassen muss. Ich habe zur Vorbereitung noch diverse Vereine und Menschen kennengelernt, und habe mir angehört, was die Leute erlebt haben. Mir passiert es einfach, dass mir die Menschen ihre Geschichten erzählen. Es gibt dafür ein großes Bedürfnis und die Leute sind sehr froh, wenn sich jemand mit ihrer Geschichte beschäftigt. So ging es immer weiter. Später habe ich dann meine eigene Familiengeschichte hinterfragt und mir Geschichten angehört und habe weiter gemacht. Was viele gar nicht wissen: Für meinen letzten Roman habe ich mich mit der Slowakei beschäftigt, war auch sehr oft dort, weil ich dort ein Stipendium hatte. In Österreich habe ich nachgefragt, ob es eine Wanderkarte von den Kleinen Karpaten gibt. Die haben gar nicht gewusst, was die Kleinen Karpaten sind. Dabei sind diese nur 30 Kilometer weg. Das ist aber auch bezeichnend dafür, wie unbekannt die Slowakei immer noch ist.
Die Flüchtlingsthematik ist allgegenwertig. In zahlreichen Texten von Ihnen kann man dazu lesen, und in Ihrem Blog schreiben Sie, dass die Zäune ihrer Kindheit wieder errichtet werden. Was löst das bei in Ihnen aus?„Bedrückung. Das ist für jemanden, der auf der anderen Seite des Zauns stand vielleicht noch viel bedrückender. Für mich sind dieser Zaun, dieser Stacheldraht und die Wachtürme ein Symbol für Unterdrückung. Nicht umsonst ist der Stacheldraht selbst das Symbol für Unterdrückung schlechthin. Und wenn jetzt die Antwort lautet: Wir zäunen alle Länder ein! Dann Frage ich mich: Was passiert dann mit Europa? Wo ist dieses Europa, von dem wir gedacht haben, dass es ein geeinter Kontinent ist? Jetzt zeigt sich, dass in Europa der Nationalismus immer salonfähiger wird und jedes Land sagt: Wir machen dicht! Wir wollen keine Menschen reinlassen. Dann fragt man sich: Wie lange existiert dann diese EU noch? Und was ist danach? Dann spielt das mit England noch rein. Die Frage ist: Wie geht das weiter? Das ist für mich sehr bedrückend. Auch weil ich mir die EU immer als ein humanitäres Projekt vorgestellt habe, das eine Friedenslösung bringt. Die EU hat ja auch den Friedensnobelpreis bekommen. Jetzt finde ich das schon fast zynisch, dass die EU beschlossen hat, alles dicht zu machen. Dann bleibt von diesem Humanitären wenig übrig. Aber ich sehe auf der anderen Seite natürlich auch die Ängste. Ich sehe auch meine eigene Angst, gerade bei den alarmierenden Meldungen in den letzten Wochen. Ich bin geschockt und entsetzt. Ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht hinterherkomme, dass zu verarbeiten. Es passiert so wahnsinnig viel, vermutlich geht es Ihnen ähnlich.“
„Es geht um den Begriff der Heimat und die Migration.“
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Sie schreiben gerade ein neues Buch und haben die erste Version zur Korrektur ausgedruckt. Können Sie uns sagen, was den Leser erwartet?
„Zu viel mag ich noch nicht sagen. Es geht um ein Dorf, das ausgestorben ist und vielleicht auf eine glanzvolle Vergangenheit zurückblicken kann. Aber die Menschen haben die Häuser verlassen. Und für mich ein wichtiges Thema: Es geht um den Begriff der Heimat und es geht um Migration. Es handelt davon, wie Menschen aus ganz anderen Ländern, sich hier zurechtfinden. Ist jetzt vielleicht sehr vage…“
Auf Ihrer Homepage steht, dass sie gerade dabei sind, ein literarisches Computerspiel zu entwickeln. Sie schreiben praktisch die Geschichte zu dem Computerspiel. Was kann man sich darunter vorstellen?„Ich bin eigentlich kein klassischer Computerspieler, und kenne mich auch nicht wahnsinnig gut aus. Ich kenne Menschen, die Spiele entwickelt haben und da kam es zu einem Gespräch. Die Publisher beklagen sich oft, dass die Geschichten fehlen. Die Personen in den Computerspielen haben zu wenig Geschichte, zu wenig Hintergrund und sind damit nicht greifbar. Was könnte man da machen? Da war die Frage interessant, inwiefern sich die Art einer Romanerzählung von der Computererzählung unterscheidet. Wo gibt es auf den narrativen Ebenen eventuell Ähnlichkeiten. Oder welche Unterschiede gibt es bei den Figuren, welche Möglichkeiten hat man. Das hat mich interessiert.“