Am Äther als der Prager Frühling endete: Radiosprecher Vladimír Fišer ist tot
Es war das Ende des Prager Frühlings, als im August 1968 die Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei einmarschierten. Verlesen wurde die Nachricht über den Tschechoslowakischen Rundfunk von einem jungen Mann namens Vladimír Fišer. Mit seinem markanten Organ wurde der Sprecher später zu einer Legende. Nun ist Vladimír Fišer gestorben.
„‘Wann trinken wir? Wann stoßen wir an?‘, haben mich die Kolleginnen gefragt. Ich meinte: Immer mit der Ruhe. Jetzt lese ich erst einmal die Nachrichten um Mitternacht. Erst dann bin ich 34, dann trinken wir. So hat diese Nacht vom 20. auf den 21. August begonnen. Und auf einmal, noch vor Mitternacht kam Mirek Zázvorka mit den Neuigkeiten. Er teilte mir mit, dass die Truppen die Grenzen überschritten hatten.“
Mirek Zázvorka war 1968 Nachrichtenchef beim Tschechoslowakischen Rundfunk. Die Redakteure mussten warten bis halb zwei. Dann rief Zdeněk Mlýnař vom Politbüro an und gab den Aufruf durch, den die tschechoslowakische Staatsführung in einer mitternächtlichen Sitzung verfasst hatte. Um 1.50 Uhr ging Fišer auf Sendung. „An das Volk der Sozialistischen Tschechoslowakischen Republik. Gestern, am 20. August 1968, gegen 23 Uhr haben die Streitkräfte der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen, der Deutschen Demokratischen Republik, der Volksrepublik Ungarn und der Volksrepublik Bulgarien die Staatsgrenzen der sozialistischen tschechoslowakischen Republik überschritten.“
Die Truppen der DDR waren nicht unter den Invasoren, wie sich später herausstellte, als der „Aufruf an das tschechoslowakische Volk“ längst berühmt geworden war. Die Menschen sollten Ruhe bewahren und keinen Widerstand leisten, das ging aus dem weiteren Text hervor. Das Politbüro verurteilte den Einmarsch als grundlegende Verletzung internationalen Rechts. Ein leichtes Zittern sei in seiner Stimme zu hören gewesen, als er die Meldung verlas, sagte Fišer später. In der Nacht zum 21. August ging er damit mehrmals auf den Äther:„... bis dann tatsächlich klar war, dass sie den Sender ausgeschaltet hatten, bis wir den Arbeitsplatz verlassen mussten, weil die Streitkräfte mit Maschinenpistolen in der Hand immer näher kamen, bis von draußen Schüsse zu hören waren – bis alles vorbei war.“
Dem gewaltsamen Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten fielen 135 Menschen zum Opfer. Es folgte die Ausschaltung der Reformer um Alexander Dubček, danach die Zeit der „Normalisierung“. Fišers Ansage und die Reaktion des Rundfunks auf die Invasion wurde legendär. Später tauchte sie auch in Filmen wie „Pelíšky“ auf.Der Sprecher selbst stand 1968 erst am Anfang seiner Karriere. Fišer wurde später zu einem gefragten Sprecher, arbeitete auch als Fernsehmoderator. Die Prager kannten seine Stimme gut, denn die Stationsansagen der Straßenbahnhaltestellen stammten von ihm. Als Synchronsprecher lieh Fišer unter anderem Basil Fawlty aus der Serie Fawlty Towers und dem arroganten Nachrichtensprecher Kent Brockman aus den Simpsons seine Stimme. Auch als Schauspieler war Fišer aktiv, zum Beispiel in Volker Schlöndorffs Film „Der neunte Tag“ von 2004. Eine Karriere als Rezitator und Sprecher, das war für Vladimír Fišer der Lebenstraum. Schon als Kind übte er heimlich – auf der Toilette.
„Ich habe Radio gespielt. Ich saß dort und habe Nachrichten gelesen oder irgendwelche Texte laut vorgetragen. Bis irgendwann meine Mutter gefragt hat: Wo ist eigentlich der Vladimír? Dann haben sie mich gehört und sich gefragt, was er da nur macht? Das war eigentlich meine Vorbereitung für den Rundfunk.“
Am vergangenen Freitag ist Vladimír Fišer im Alter von 81 Jahren verstorben.