„Und plötzlich hatte ich einen Millionen-Etat“ – der Galerist Jiří Švestka
Während der kommunistischen Zeit haben zahlreiche Tschechen ihr Land verlassen - weil sie politisch verfolgt wurden, weil ihnen die Verhältnisse zu eng wurden, und oft genug war es beides. Manche emigrierten in die unmittelbaren Nachbarländer Deutschland oder Österreich, andere nach Übersee in die Vereinigten Staaten. Der Kunsthistoriker Jiří Švestka hatte beides im Sinn - und ist am Ende in Deutschland gelandet. Dort hat er in den 80er Jahren rasant Karriere gemacht. Heute ist Jiří Švestka einer der wichtigsten Galeristen und Kunstvermittler in der tschechischen Kunstbranche. Vor einiger Zeit hat er auch eine Galerie in Berlin eröffnet. Dort hat ihn Christian Rühmkorf besucht.
„Ich glaube, ich habe das schon als Kind gemerkt. Nur wusste ich nicht, inwiefern und in welcher Branche ich mich der Kunst widmen soll. Der wichtigste Mann meiner Kindheit war der tschechische Maler Karel Valter. Und ich bin als Schüler – eigentlich schon von der ersten Klasse an – zu ihm zum Kunstunterricht gegangen. Er hat mir den Weg zur Kunst gezeigt, er hat mir die Schönheit und die Tiefe und die Weitläufigkeit der Kunst zeigen können. Er hat mir aber auch gleichzeitig klar gemacht, dass ich kein Künstler sein kann. Ich weiß nicht, woran er das erkannt hat, aber er meinte, ich könne eher in der Kunstvermittlung arbeiten, im Bereich Kunstgeschichte. Ich habe mich dann entschieden, Kunstgeschichte zu studieren. Als ich dann 1981 nach Deutschland kam, habe ich mich zunächst wissenschaftlich orientiert. Erst dann bin ich in die Museumswelt und in das Ausstellungswesen gegangen.“
Damals, als Sie noch zur Grundschule gegangen sind, da war Kunst aber zunächst mal ein Problem im schulischen Kontext, wie ich gelesen habe, oder?„Ja, das ist wahr, das stimmt. Meine Besuche bei Karel Valter waren eigentlich eine Erziehungsmaßnahme, weil ich in der Schule – wie viele Kinder –im Unterricht einfach nicht aufmerksam war, und unter der Bank gemalt oder gezeichnet habe. Und um das dann zu kanalisieren, kam meine Großmutter auf die Idee, dass ich Kunstunterricht nehmen soll.“
1981 sind Sie emigriert, auch weil Sie Ihnen die beruflichen Möglichkeiten in der kommunistischen Tschechoslowakei zu begrenzt waren. Warum sind Sie gerade nach Deutschland gegangen? Was das für Sie glasklar?
„Gar nicht, gar nicht. Mein Ziel war damals Amerika. Aber ehrlich gesagt haben sich die Amis, als ich über meinen Antrag auf Einwanderung nach Amerika nachdachte, genauso idiotisch verhalten, wie die tschechische Polizei. Und dann habe ich meine Papiere für die Einwanderung nach Amerika zurückgezogen, bin in Deutschland geblieben und finde, das war eine superrichtige Entscheidung. Denn meine Karriere und meinen Erfolg in Deutschland, das alles hätte ich aus meiner Sicht in Amerika nie haben können.“Sie waren dann schon nur sechs Jahre später, 1987, für fünf Jahre Leiter des prestigereichen Düsseldorfer Kunstvereins. Ist das nicht eigentlich eine unglaubliche Karriere?
„Ja, das ist es.“ (lacht)Hat Sie das nicht selber überrascht?
„Ich erinnere mich an die ersten Tage im Düsseldorfer Kunstverein, wo ich plötzlich einen Millionen-Etat zu verwalten hatte und Ausstellungen machen konnte wie ich wollte und wo der gesamte Vorstand voll hinter mir stand. Die haben einem 31-jährigen Tschechen die Leitung des damals reichsten und prestigeträchtigsten Kunstvereins in Deutschland anvertraut. Und ich hatte keine bessere Aufgabe, als diesem Kunstverein ein neues Leben und neue Kraft zu geben.“
Sie waren später auch Chefkurator im Volkswagenmuseum in Wolfsburg. 1995 sind Sie dann nach Tschechien zurückgegangen, haben schon sehr bald Ihre eigene Galerie in Prag gegründet – die Galerie Jiří Švestka – eine der wichtigsten Galerien in Tschechien überhaupt. Und seit 2009 gibt es auch die – sagen wir mal – Filiale hier in Berlin. Was muss ein guter Galerist eigentlich können?„Als Galerist arbeiten sie mit Leuten zusammen. Auf der einen Seite stehen die Künstler, mit denen sie auskommen müssen. Auf der anderen Seite die Konsumenten, darunter auch die Museumsleute, die oft bürokratischen Zwängen unterliegen; die Sammler, die natürlich auch eigensinnig sind. Der Beruf des Galeristen bedeutet einfach Kommunikation. Man muss dabei auch gut rechnen können. Das versuche ich immer noch zu lernen. Und vielleicht muss man auch ein gewisses Selbstbewusstsein habe, um das machen zu können.“
Die Kunst und der Kunstmarkt in Tschechien und in Deutschland – gibt es da große Unterschiede?„Sehr große Unterschiede! Das kann man wirklich nicht vergleichen. Deswegen habe ich auch die Berliner Filiale aufgemacht. Was hier wichtig ist, sind Gespräche mit Besuchern der Galerie, Gespräche mit Sammlern, die sich auf einem informierten Niveau befinden. Und in Prag muss ich praktisch bei jedem neuen Sammler ganz von vorne beginnen. Ich muss ihm alles erklären.“
Also in Tschechien ist es so, dass der Galerist Švestka sich seine eigenen Sammler „machen“ muss?
„Ganz genauso ist es. Ich habe ein wunderbares Beispiel. Der Chef eines großen tschechischen Elektrizitätskonzerns kam mal vor, ich glaube, fünf Jahren zu mir und wollte einen ´Emil Filla´ kaufen, einen tschechischen Kubisten. Und ich habe ihm gesagt: ´Ja, ich bin unglaublich froh, dass Sie sich einen Filla kaufen, und Sie können auch weiterhin diese teuren Bilder der klassischen Moderne bei mir ankaufen. Aber bitte schauen Sie sich doch mal um, was wir hier auch noch in der Galerie haben´. Es gab gerade damals die Ausstellung von Krištof Kintera. Er wollte das nicht sehen. Er sagte: ´Nein, das interessiert mich nicht, mich interessiert nur die klassische Moderne´. Nach fünf Jahren harter Arbeit des Galeristen ist er jetzt zum größten Sammler der jungen tschechischen Kunst geworden und genießt das. Und langsam ist er auch an der Schwelle, wo er seine Sammlung dann öffentlich zeigen wird.“Ist es schwer, tschechische Kunst in die Welt zu bringen, zu verkaufen?„Es hat sich verändert. Es hat sich positiv verändert. Als ich die Prager Galerie 1995 aufgemacht habe, habe ich das richtig gespürt: dass es speziell in Deutschland kein großes Interesse an der tschechischen Kunst gab, kein großes Interesse an der Kunst aus dem ehemaligen Ostblock. Das hat sich aber in den letzten fünf, sechs Jahren richtig verändert. Und das ist weltweit so, dass Kuratoren wie auch Sammler, wie auch die Museen eigentlich nach Osten schauen.“
Wie erklären Sie sich, dass gerade in den letzten fünf, sechs Jahren das Interesse an Kunst aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks im Kommen ist?
„Damit sind mehrere Phänomene verbunden. Für diese Verstärkung des Blickes nach Osten ist es entscheidend, dass sich die Kunst im Westen irgendwie im Kreis dreht, dass hier kaum etwas Neues kommt, aber die jungen Leute aus dem Osten plötzlich neue Ideen haben, neue Blicke, neue Tiefen. Und trotzdem ist es eben noch europäische Kultur. Es ist kein Blick nach China oder nach Korea. Es ist die europäische Kultur, die Wurzel des europäisch-amerikanischen Kulturraumes.“Sie sagen in Gesprächen, die man mit Ihnen lesen kann, in Bezug auf Tschechien immer wieder mal: „Ach, das ist im Sande verlaufen.“ Wie kommt das?
„Wenn ich das wüsste! Es ist wahr, und es ärgert mich auch. Das ist nicht nur in meiner Branche so, das ist in mehreren Branchen so. Es kann sein, dass es zur Anerkennung in der Gesellschaft oder in der jeweiligen Umgebung meistens reicht, ein paar interessante Ideen in die Welt zu setzen ohne sie dann zu realisieren. Die Tschechen sind Bohème. Damit könnte man das vielleicht erklären. Ich weiß jedoch, dass es keine Erklärung gibt. Aber dass vieles im Sande verläuft, stimmt.“Dieser Beitrag wurde am 20. Mai 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.