E-Reading in Tschechien: Verleger noch vorsichtig, aber der Markt läuft an

Wie jedes Jahr zu Sommerbeginn wurden hierzulande auch diesmal schon die ersten Verkaufsbilanzen aus den Segmenten Reise, Camping, Freizeit und Hobby veröffentlicht. Die Zahlen weisen angeblich erneut steigende Tendenz auf. Es ist aber auch ein neuer Sommerhit auf dem tschechischen Markt erschienen, über den sich vor allem die Buchwürmer freuen können. Gemeint ist der E-Book-Reader, das Lesegerät, in dem bequem von zu Hause aus viele Bücher gespeichert werden können. Mehr zur Frage, wie es derzeit um das Phänomen E-Buch in Tschechien bestellt ist, nun im Folgenden.

E-Book-Reader
Tschechische Online-Shops sollen im Juni im Vergleich zum April ein um 25 Prozent höheres Interesse für E-Book-Reader verzeichnet haben. Gleichzeitig sei die Nachfrage nach gedruckten Büchern um 40 Prozent gesunken. Diese Angaben veröffentlichte Anfang Juli die Internetzeitung der tschechischen Presseagentur ČTK, „Finanční noviny“, unter Berufung auf eine Statistik des Internetportals „Srovname.cz“. Unter der Überschrift „Elektronische Lesegeräte verdrängen klassische Bücher vom Markt“ zitiert die Internetzeitung den Chef des Portals:

„In diesem Jahr haben viele Menschen offenbar wenig Lust, schwere Bücher mit in den Urlaub zu schleppen und ziehen leichtgewichtige Lesegeräte vor, in denen sie mehrere Buchtitel abspeichern können.“

Man könnte also in der Tat glauben, das E-Book-Reading erlebe beinahe einen Boom. In Wirklichkeit ist hier wohl aber eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Auch wenn der elektronische Buchmarkt in Tschechien im vergangenen Jahr Fortschritte verzeichnet hat, ist das digitale Buch im traditionellen Handel noch gar nicht richtig angekommen. Und es liegt nicht nur an der mangelnden Nachfrage der Kunden. In Tschechien gibt es ungefähr 3500 registrierte Buchverlage, davon sind aber nur etwa 1300 aktiv. Die anlaufende Produktion von Digitalbüchern nehmen zwar viele von ihnen zur Kenntnis, der Großteil von ihnen ist allerdings noch weiter sehr vorsichtig. Nicht selten besteht sogar Ablehnung. Das zeigte sich nicht zuletzt auch bei der Diskussion einiger Verlagsvertreter bei der traditionellen „Buchwelt“, die Messe fand im Mai in Prag statt. Ein Prager Verleger sagte sogar, ihm stünden die Haare zu Berge bei dem Gedanken, dass er ein digitalisiertes Buch herausgeben sollte. Hier noch ein kleines Meinungsspektrum von der Diskussion:

„Natürlich muss man diese Herausforderung annehmen, weil uns im Prinzip nichts anderes übrig bleibt. Ich hoffe aber sehr, dass die digitalen Bücher noch lange Zeit keine Konkurrenz für die gedruckten Bücher werden.“

Es wird natürlich auch kalkuliert, ob es sich für die Verlage, die sowieso in einem harten Wettbewerb stehen und nachlassende Umsätze verbuchen, lohnt, elektronische Bücher anzubieten. Zu viele Fragezeichen sind damit verbunden.

„Nach meinen Berechnungen kann ein E-Buch im Schnitt um 30 bis 35 Prozent billiger sein. Es bietet zudem Vorteile - es ist schnell zu haben, beim Lesen kann man mit Wörterbüchern arbeiten usw. Zugleich haben digitale Bücher aber auch eine Reihe von Nachteilen. Nun stellt sich die Frage, wie die Leser auf die Vor- und Nachteile reagieren werden.“

Foto: Jleon,  Creative Commons 3.0
Über die Zukunft ist sich mancher Buchverleger zwar im Klaren, aber …

„Meiner Meinung nach werden sich die digitalen Bücher künftig durchsetzen. Wann das kommt, darüber stimmen wir wahrscheinlich nicht überein. Ich glaube nicht, dass die Zukunft schon morgen oder in einem Jahr an der Tür anklopft, sondern erst mit einem entsprechenden Zeitabstand. Ich bin überzeugt, dass die E-Bücher in Zukunft den Markt dominieren werden.“

Mit dem Herausgeben digitaler Bücher sind viele Probleme verbunden. Zum Beispiel kennt das tschechische Urheberrecht den Begriff „elektronisches Buch“ überhaupt noch nicht. Noch mehr fürchten aber die Verlage die Entwertung ihrer Werke durch das massenhafte illegale Kopieren von digitalen Büchern. Dies soll zwar eine Verschlüsselung der Dateien verhindern, doch viele Kunden nervt es dann, dass bei ihren E-Books größere Einschränkungen bestehen als beim Umgang mit gedruckten Büchern. Hier die Ansicht eines tschechischen Verlegers:

„Bei der Produktion unseres Verlags, die überwiegend fremdsprachige Literatur umfasst, kann ich mir nicht vorstellen, einen Titel ausschließlich elektronisch, und nicht vorher als gedrucktes Buch herauszugeben. Das gedruckte Buch sollte nämlich zunächst die mit seiner Herausgabe verbundenen Kosten decken und womöglich auch einen Gewinn einbringen, bevor ich mich auch für das elektronische Format entscheide. Nur elektronische Bücher zu produzieren ist meiner Meinung nach in absehbarer Zeit nicht möglich, weil die Zahl der legalen Downloads derzeit recht gering ist.“

Andreas Kaulfuss
Kurzum, in der tschechischen Buchbranche will man lieber abwarten. Man setzt darauf, dass das klassische Papierbuch so tief in der Gesellschaft verankert ist, dass es auch weiterhin nachgefragt wird.

Einer der Teilnehmer an der erwähnten Verlegerdebatte auf der Prager Buchmesse im Mai dieses Jahres war Andreas Kaulfuss, Generalmanager der Euromedia Group - einer Tochtergesellschaft der Bertelsmann AG, die einen Verlag, Buchhandlungen und ein Onlinebuchgeschäft hat sowie seit kurzem auch den Vertrieb von elektronischen Büchern in Tschechien betreibt. Sie hören ein Gespräch mit Andreas Kaulfuss:

Stichwort E-Book, E-Reading. Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Dinge allgemein in Tschechien?

„Ich sehe den tschechischen Markt wie alle anderen Märkte. Wir stehen in dem Start schon. Die Verleger fangen an, elektronische Bücher anzubieten. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Plattformen, über die man elektronische Bücher kaufen kann. Mit welchem Tempo sich der Markt weiter entwickelt, hängt vom Leser ab.“

Bei der heutigen Debatte von Verlagsvertretern war ein Spektrum verschiedener Meinungen zum E-Bookreading von der negativen bis zur positiven Einstellung zu verzeichnen. Mir scheint, dass Euromedia ein Vorreiter auf diesem Gebiet hierzulande ist, oder?

„Ganz bestimmt. Im Unterschied zu vielen anderen haben wir einen pragmatischen Ansatz gewählt. Wir sind davon ausgegangen, dass wir für den normalen Leser da sind und nicht für irgendjemanden, der sich mit IT besonders auskennt - für die so genannten IT-Freaks. Wir wollen eine Lösung anbieten, die für den normalen Leser bestimmt ist, der also nichts weiter möchte, als sich ganz einfach Bücher aus dem Internet herunterzuladen, auf dem gleichen Weg zu bezahlen und dann einfach zu lesen. Mit diesem Ansatz sind wir die einzigen auf dem tschechischen Markt. Wir haben praktisch ein Modell kreiert, das sich an den US-Verlag ´Amazon´ und den Kindle-Reader anlehnt. Man kann zwar den Kindle hierzulande kaufen, aber bei Amazon nur fremdsprachige Titel und keine in tschechischer Sprache kaufen. Mit unserem System bieten wir praktisch denselben Komfort an, den Amazon und Kindle ihren Lesern bieten, aber eben für tschechische Titel auf dem tschechischen Markt.“

Würden Sie meine Meinung teilen, dass man hierzulande immer noch von einem sehr vorsichtigen Abtasten des Terrains sprechen kann?

„Das gilt nicht nur für Tschechien, sondern grundlegend für alle Verleger weltweit. Kein Verleger ist davon begeistert, dass Bücher übers Internet frei zugänglich sind, dass man sie also auch illegal runterladen kann, ohne dafür zu bezahlen. Überall auf der Welt versuchen die Verleger, Modelle zu finden, wie sie mit elektronischen Büchern und dem illegalen Download umzugehen haben, und auch damit, dass sie in zwei Welten leben - in der Papierwelt, wo sie weniger verkaufen werden, und der digitalen, wo die Bücher weniger kosten und wo sie weniger verdienen werden. Und wo obendrein noch der illegale Download hinzu kommt. Das ist also kein tschechisches Phänomen.“

iPad
Es wachsen neue Generationen heran, auch in Tschechien selbstverständlich. Glauben Sie nicht, dass im Lauf des Prozesses, wenn immer mehr junge Leute an die E-Reader und ein immer größeres Angebot herankommen, das elektronische Lesen - ich will nicht direkt sagen zum dominanten, aber zum gleichwertigen Pendant des Lesens der Papierbücher werden wird?

„Man muss meiner Meinung nach zwischen zwei Sachen unterscheiden. Zum Beispiel mit der Einführung des iPads in Amerika ging ein unwahrscheinlicher Anstieg am Kauf beziehungsweise Download von elektronischen Inhalten einher - von Zeitschriften, Zeitungen, Büchern usw. In dem Augenblick, in dem der Inhaber des Lesegeräts feststellte, dass er den Inhalt nicht nur downloaden, sondern auch lesen muss, ging das Downloaden schlagartig zurück. Das heißt also, mit elektronischen Lesegeräten wird man bestimmt nicht mehr lesen als man heute liest. Im Unterschied zum Beispiel zum Konsum von Musik, Film oder TV-Sendungen ist beim Lesen das ´Problem´, dass man nichts anderes machen kann. Nicht Auto fahren, nicht bügeln, sondern nur lesen. Wer heute keine Zeit zum Lesen hat, wird sie auch in Zukunft nicht haben. Soviel also zum Thema, ob man mehr oder weniger lesen wird. Auf der anderen Seite kann ich mir gut vorstellen, dass es eben durch den Druck des Marktes - durch die Telefongesellschaften und die Anbieter von Hardware - dazu kommen wird, dass immer mehr Leute, so wie sie heute alle die MP3-Player haben, in Zukunft wiederum alle auch die Lesegeräte haben werden. Die Möglichkeit, jederzeit ein Buch aus dem Internet runterzuziehen und dann zu lesen - egal ob man in der Straßenbahn oder wo auch immer ist -, ohne dicke Bücher mitschleppen zu müssen, kann durchaus dazu führen, dass immer mehr Leute dazu übergehen werden, elektronisch zu lesen.“

Wie sehen Sie persönlich die Gefahr der Piraterie?

„Ich würde sie hoch einschätzen. Ich mache mir da keine Illusion, dass sich die Leser von Büchern moralischer verhalten werden als die Hörer von Musik. Ich denke, die Piraterie wird für uns das gleiche Problem darstellen wie für die Musikindustrie. Wir werden neue Geschäftsmodelle entwickeln und neue Preisniveaus definieren müssen, damit wir überhaupt eine Chance haben, mit der Piraterie zu kämpfen.“

Auf die Frage des Moderators, wie sich das Ganze in Zukunft entwickeln würde, haben Sie in der Debatte der Verleger gesagt, dass die Zukunft bereits angefangen habe. Was bereitet also Ihre Firma für die absehbare Zeit vor?

Plattform eBooks.cz
„Wir haben unsere Plattform eBooks.cz, über die man die elektronischen Bücher kaufen kann. Wir werden alle unsere Titel - es sind rund 2500 - so schnell wie möglich in digitaler Form anbieten. Die Rede ist von Titeln in Schwarzweiß. Als weiteres planen wir den Verkauf von ausländischen Titeln und reden mit deutschen und amerikanischen Anbietern von elektronischen Büchern, so dass man über unsere Plattform letztlich nicht nur tschechische, sondern auch ausländische Bücher kaufen kann, was für den tschechischen Markt durchaus interessant ist. Dann muss man nämlich nicht über ausländische Konten beziehungsweise über Kreditkarten zahlen. Man kann tschechische Zahlungsmöglichkeiten nutzen.“

Andreas Kaulfuss  (Foto: Euromedia)
Das Leitmotto der Verlegerdebatte war die Frage: „Werden die E-Books die Papierbücher ´zerreißen´? Wäre es zu gewagt, die Frage mit „Ja“ zu beantworten?

„Ich würde es als eine Spekulation betrachten. Es ist eine interessante Frage und eher ein Boulevardthema. Ich denke, es wird für eine lange Zeit beide Formen des Lesens geben, also sowohl auf Papier als auch in digitaler Form, und es wird davon abhängen, für welche Art der Literatur letztlich welche Form des Lesens überwiegen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass es zum Beispiel für die Schulliteratur eher auf die elektronische Schiene gehen wird. Bei Bildbänden oder Kinderbüchern hingegen könnte ich mir vorstellen, dass man eher bei der Papierform bleibt. Ich weiß nicht, ob ich meinen Kindern abends Bücher auf dem Computer vorlesen würde. Da würde ich schon die Papierform vorziehen. Aber das wird die Zukunft zeigen und letztlich entscheidet darüber der Leser. Niemand anderes.“


Internetportal „WKnihy“
Wie gesagt, die E-Bücher haben nur einen sehr kleinen Anteil am gesamten Buchangebot in Tschechien. Jährlich sind es ungefähr 18.000 Titel. Bei den elektronischen Titeln handelt es sich oft nicht um hohe Literatur, häufig sind es Titel, die nicht mehr in Druckform verlegen werden.. Die diesjährige Buchmesse in Prag hat aber auch gezeigt, dass im Vergleich zum Vorjahr erkennbar mehr Vertriebsfirmen die Chancen wahrnehmen, die im elektronischen Buch beziehungsweise im elektronischen Lesegerät liegen. Zu den „Mutigen“, die sich auf der Buchmesse präsentiert haben, gehört seit September 2010 das Internetportal „WKnihy“. Für Jiří Pechoč, Vertreter der Firma, ist der Weg, den die tschechische E-Buch-Branche im vergangenen Jahr zurückgelegt hat, sogar kaum in Zahlen zu fassen:

Jiří Pechoč  (links). Foto: Portal der tschechischen Literatur
„Wenn man von Null aus zu rechnen beginnt, sind es beinahe unabzählbare Prozentsätze.“

Das Verhalten der Buchverleger schätzt Pechoč nüchtern ein:

„Die Verleger fangen an, das Terrain zu sondieren. Sie beginnen auch, uns von selbst Buchtitel anzubieten. Vorläufig sind es eher ältere Titel, die den Verkauf von gedruckten Büchern nicht gefährden können. Das ist natürlich nicht das Beste für die Förderung der sich anbahnenden Märkte.“

Jiří Pechoč wie auch sein Kollege Josef Borovička können sich allerdings die künftige Entwicklung des E-Buchmarktes nur für zwei bis drei Jahre vorstellen:

„Vieles ist immer noch unsicher und nebulös – die Wahrnehmung des Phänomens E-Reading sowohl durch die Buchautoren als auch die Verleger, aber auch viele Rechtsfragen.“

Martin Lipert  (Foto: David Vaughan)
Die Fans des digitalen Lesens bleiben aber optimistisch und viele sehen es sogar kurz vor dem Durchbruch. Dazu abschließend ein Zitat. Martin Lipert, engagierter E-Buch-Freak und Mitbegründer des bekannten Internetportals „eReading.cz“ sagte kürzlich in einem Presseinterview:

„Das Buch ist nur eine Hülle für Worte. Es kann eine beliebige Hülle sein - auch eine elektronische. Wichtig sind die Worte, nicht das Papier. Mir ist klar, dass es für viele Leser und Verleger ketzerisch klingt: In fünf Jahren werde ich aber gerne an diese Worte erinnern.“