Langes Warten aufs Stadion: erstes Eishockeyspiel auf Kunst-Eis in Prag vor 80 Jahren

Eishockeymatch in 1931 im Eisstadion „Štvanice“

Trotz schneefreier Pausen in diesem Winter zeigt uns Frau Holle immer wieder ihr Potential und die Skiläufer sind begeistert. Wenn es obendrein auch noch ausreichend friert, freuen sich wiederum die Schlittschuhläufer auf den Freilufteisbahnen. Auf den Natureisflächen werden aber traditionsgemäß auch Eishockeyturniere von Jung und Alt ausgetragen. Bei Tauwetter, oder wenn der Winter vorbei ist, kann man auf eine Kunsteisbahn übersatteln, die es fast in jeder größeren tschechischen Stadt gibt. Was heutzutage als Selbstverständlichkeit gilt, war aber bis 1930 landesweit nicht möglich. Ein Eishockeymatch auf Kunst-Eis konnte hierzulande erst vor 80 Jahren zum allerersten Mal gespielt werden - im Prager Eisstadion „Štvanice“. Genau am 17. Januar 1931.

Eishockeymatch in 1931 im Eisstadion „Štvanice“
Es war ein langer Weg. Viele Jahre mussten die bereits erfolgreichen tschechischen Eishockeyspieler auf das erste Kunsteisstadion warten. Dabei war Böhmen schon im November 1908, also noch zur Zeit der Habsburger Monarchie, Mitglied der im Mai desselben Jahres gegründeten Internationalen Eishockeyliga (LIHG) geworden – also dem Vorläufer der heutigen Internationalen Eishockey Föderation (IIHF). Das war noch bevor Österreich-Ungarn als Ganzes Mitglied wurde. Der böhmische Eishockey-Verband hingegen konstituierte sich paradoxerweise erst nach dem Beitritt zur Internationalen Eishockeyliga: im Dezember 1908 bei einem Treffen von Vertretern einiger Prager Eishockeyklubs. Dieses Kuriosum ist auf die Initiative von Emil Procházka zurückzuführen, der treibenden Kraft beim Verein SK Slavia. Seinen damaligen „frommen Betrug“ würde man in der heutigen Fachterminologie eher als „Sportdiplomatie“ bezeichnen.

David Soeldner  (Foto: Jan Beneš)
Begeben wir uns nun auf die Moldau-Insel Štvanice, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Ausflugsziel war: zunächst mit einigen Restaurants, später auch mit Sport- und Tennisplätzen und einem Frei- und Sonnenbad. Erst 1900 verband eine Brücke beide Moldauufer, und damit wurde die Insel auch zu Fuß erreichbar. Danach dauerte es über 30 Jahre, bis hier eine Eishalle, die erste in der Tschechoslowakei, gebaut wurde. Wie war das möglich? Eine Frage an den Sportpublizisten David Soeldner:

„Das war europaweit eine Seltenheit. Während die Schlittschuhklubs in den Nachbarländern das Eishockey schon längst auf Kunsteisbahnen spielen konnten, musste man sich hierzulande weiter auf das Wetter verlassen. Trainieren konnte man also nur auf zugefrorenen Teichen und ähnlichen Natureisfeldern oder mit Wasser bespritzten Flächen. Dies war natürlich nur in ausreichend kalten Wintern möglich. Wenn aber das Tauwetter kam, mussten unsere Eishockeyspieler ins Ausland fahren – am häufigsten nach Davos, Berlin, Wien oder eventuell auch in etwas weit entfernte Städte wie London, Antwerpen oder Paris.“

Die erste Einladung zu einem internationalen Turnier erhielten die tschechischen Spieler 1909 – und zwar nach Chamonix. Gerade dieser Besuch in Frankreich wird allgemein für den Wendepunkt des tschechischen Eishockeys gehalten. In dem Wintersportort am Fuße des Mont Blanc kam es nämlich zum historisch ersten Kontakt der Tschechen mit dem Eishockey, wie es aus Übersee nach Europa gebracht wurde. Es wurde mit einem Puck und einem auf der Spielseite flachen Schläger gespielt. Die Tschechen kauften sich vor Ort diese so genannten kanadischen Schläger, die ihnen bis dahin nur aus deutschen Katalogen bekannt waren. Die tschechische Nationalmannschaft, die als Team Böhmen antrat, verlor aber alle vier Begegnungen in der Schweiz.

Prager Eisstadion „Štvanice“
Doch die ersten Erfolge ließen nicht lange auf sich waren. 1911 gewann das Team Böhmen zum ersten Mal die Europameisterschaf. 1913 erkämpfte die böhmische Auswahl den zweiten Platz, auf dem ersten landete Belgien. 1914 bestieg sie wieder das höchste Podest bei der EM. Regelmäßige internationale Erfolge des Eishockeysports hierzulande auch nach der Entstehung der Tschechoslowakei 1918 trugen letztlich dazu bei, dass in Prag ein Eisstadion mit Kunsteisbahn entstehen konnte. Erst Ende der 1920er Jahre entwarf aber die Firma „Prager Mustermessen“ einen Bau, zuvor hatte der Prager Stadtrat ein Grundstück auf der Moldauinsel Štvanice dafür zur Verfügung gestellt. Das Projekt wurde von Problemen begleitet. David Soeldner:

Eisstadion „Štvanice“ in 1931  (Quelle: Tschechisches Eishockey 1909-2003)
„Der Bau nahm leider mehr Zeit in Anspruch als geplant. Das erste Match konnte daher erst im Januar 1931 stattfinden. Das Stadion war aber noch nicht fertig. Der Architekt Josef Fuchs hatte es zu großzügig projektiert. Die Arena sollte zum Beispiel bewegliche Tribünen oder überdachte Logen für die Prominenz haben und dementsprechend hoch lagen auch die Kosten. Der Verlauf der Bauarbeiten wurde zudem auch durch bestimmte Konflikte zwischen den beteiligten Parteien und nicht zuletzt auch durch die beginnende Weltwirtschaftskrise gebremst.“

Es drohte eine internationale Blamage. Bis zum letzten Moment war nicht sicher, dass die für den Januar 1931 geplanten Spiele überhaupt zustande kommen. Dabei war auch noch Pech im Spiel: Einen Tag vor der ersten Begegnung fegte ein heftiger Sturm über Prag und das Eisstadion - und noch kurz vor Spielbeginn musste ein Scheinwerfer repariert werden. Die erste Begegnung konnte dann aber trotzdem wie geplant im Eisstadion Štvanice stattfinden. David Soeldner:

„Am Samstag, den 17. Januar 1931, wurde im noch nicht vollendeten Eisstadion das erste Spiel ausgetragen. Der Gegner des damals besten Klubs der Stadt, des LTC Prag, war Manitoba University. Im Beisein von 7000 Zuschauern gewann das kanadische Team mit 2:0. Am nächsten Tag spielte es gegen die tschechoslowakische Nationalmannschaft, und das war wieder ein historischer Tag. Die Tschechen und Slowaken verloren damals zum ersten Mal nicht gegen Kanada! Das Spiel ging 0:0 unentschieden aus. Es war auch das erste Mal, dass der Tschechoslowakische Rundfunk ein Eishockeyspiel in einer Live-Übertragung ausstrahlte.“

„Wir sind die Weltmeister“ - WM-Titel in 1947 für die Tschechoslowakei
Ein Jahr später sollte das Prager Eisstadion eigentlich zum Schauplatz der Europa-Meisterschaft werden. Die Tschechoslowakei musste aber auf diese Veranstaltung verzichten, weil das Stadion immer noch nicht fertig war.

Zweieinhalb Jahre nach dem ersten Spiel auf Štvanice war es endlich so weit. Am 6. November 1932 wurde das Eisstadion unter den Klängen der Oper Libussa von Bedřich Smetana offiziell eröffnet. Ein Vierteljahr später erkämpfte sich die tschechische Nationalmannschaft hier einen weiteren EM-Titel. Am selben Ort in Prag erlebte sie 1947 eine weitere Sternstunde mit dem ersten WM-Titel für die Tschechoslowakei.

„Auf Štvanice fand damals zum dritten Mal eine Weltmeisterschaft statt. Wegen eines Streits mit dem Internationalen Eishockeyverband hatte Kanada die Teilnahme an der WM abgelehnt, die in London stattfinden sollte. London sagte ab, und die WM wurde nach Prag verlegt. Aus Übersee kamen aber nur die Amerikaner. Das Interesse der Sportfans war dennoch riesig. Einigen Spielen wohnten auch Staatspräsident Edvard Beneš und Außenminister Jan Masaryk bei. Für die Mannschaft der ČSR hatte die vorletzte Begegnung entscheidende Bedeutung, man spielte gegen Schweden. Und es kam zum Desaster. Die Stadionarbeiter, die für die Eiszubereitung zuständig waren und in ihrem Fach angesehen waren, hatten ausgerechnet an dem Tag Probleme. Außerdem begann es zu regnen, so dass die Eisfläche nicht glatt war. In der Begegnungen machten dann unsere Spieler auch noch von Anfang an Fehler, so dass am Ende auf sie eine Niederlage wartete. Für die Tschechen und Slowaken war es eine nationale Katastrophe. Kaum jemand glaubte, dass sich das Blatt noch einmal zum Besseren wenden konnte.“

Eisstadion „Štvanice“ heute
Aber es passierte so etwas wie ein „Wunder“: Die Österreicher schlugen die Schweden. Und damit hatte die Tschechoslowakei wieder die Chance auf den WM-Titel. Glückliche Zuschauer aus dem Publikum trugen damals voller Dankbarkeit die Sieger auf den Schultern von der Eisfläche. Und im letzten und entscheidenden WM-Spiel gewann die Tschechoslowakei dann gegen die USA.

Die Popularität des Eishockeys hat hierzulande kontinuierlich zugenommen und damit auch die Zahl der registrierten Eishockeyspieler. 1931 wurde die „Tschechoslowakische Liga des kanadischen Hockeys“ (ČSLKH) gegründet. Nur sieben Jahre später war sie bereits die größte Liga in Europa mit 381 Mitgliedsvereinen. Nach der Eröffnung des ersten Kunsteisstadions in Prag, das erst 1956 überdacht wurde, konnten auf seiner anfangs zweigeteilten Gesamtfläche von 94 mal 32 Metern viele Stars des tschechischen Eishockeys, aber auch des Eiskunstlaufs heranwachsen.

Das Eisstadion auf der Moldauinsel Štvanice hat insgesamt vier Weltmeisterschaften erlebt, die letzte im Jahr 1959. Zur Jahrtausendwende wurde das Stadion zum Kulturdenkmal erklärt. Doch vor Kurzem, am 11. Januar 2011, wurde das Stadion wegen Einsturzgefahr geschlossen. Niemand weiß bisher, wie die Schäden am Gebäude behoben werden können.