Tischtennis-EM: Boll ist König in Europa – Damen beklagen Flut aus China
Die 29. Tischtennis-Europameisterschaft, die neun Tage lang im mährisch-schlesischen Ostrava / Ostrau ausgetragen wurde, gehört seit Sonntag schon wieder der Vergangenheit an. Sie bot großen Sport mit dem kleinen Zelluloidball. Besonders in den Herren-Disziplinen, in denen die deutschen Spieler klar dominierten. Allen voran Timo Boll, der nach seinen drei Triumphen im Einzel, im Doppel und mit der Mannschaft nun mit 13 EM-Titeln der erfolgreichste Europäer aller Zeiten ist.
Timo, der heutige Titel war Ihr zwölfter in Europa. Sie sind damit nun alleiniger Rekordhalter unter den EM-Titelträgern. Ist der Rekord für Sie etwas Besonderes oder genießen Sie jeden einzelnen Titel so, wie er errungen wurde?
„Ich habe das ja schon oft gesagt, dass ich mich eher immer über den einzelnen Titel mehr freue als über die Statistik. Titel sind auch schnell wieder vergessen und nach ein paar Tagen geht schon wieder das Heimtraining los, und da hat man dieses Gefühl dann nicht mehr. Von daher ist die Statistik nicht ganz so wichtig, sondern gerade der Moment, den man jetzt hat.“Was sagen Sie zur EM-Konkurrenz hier in Ostrau? Waren die Gegner schwächer als erwartet oder waren Sie mit Ihrem Partner so gut drauf?
„Also so deutlich haben wir natürlich noch nie den Doppel-Titel gewonnen. Ich glaube, wir haben während des gesamten Wettbewerbs nur einen Satz abgegeben. Wir haben wirklich jedes Doppel dominiert und im Griff gehabt.“
Mit dem 4:1-Finalerfolg im Herren-Einzel über seinen deutschen Landsmann Patrick Baum machte Boll dann am Sonntag seinen Dreifach-Coup perfekt. Quasi im Vorbeigehen hat er damit das schwedische Tischtennis-Idol Jan-Ove Waldner als erfolgreichsten Spieler bei Europameisterschaften abgelöst. Der Schwede hat es in seiner Karriere auf elf EM-Titel gebracht, Timo Boll aber steht nun bei 13 – vier im Einzel, fünf im Doppel und vier mit dem Team. Und Waldner ist überzeugt, dass Boll seine Titelsammlung auf mindestens 20 Siegespokale in Europa wird ausbauen können.Die tschechischen Tischtennisspielerinnen und -spieler indes warten schon seit 24 Jahren auf einen weiteren EM-Gewinn. Da ist es schon erfreulich, wenn sie hin und wieder eine Medaille erobern. So wie in Ostrau, wo die tschechischen Männer die Bronzemedaille im Teamwettbewerb gewinnen konnten. Eine Medaille, die der 30-jährige Josef Šimončík jetzt zu seinen größten Erfolgen zählt:
„Der erste Erfolg für mich war die Medaille, die ich hier mit den Jungs gewonnen habe. Und was die Einzelkonkurrenz betrifft, auch da bin ich sehr zufrieden: Unter die besten Sechzehn in Europa gekommen zu sein, das ist ein Supererfolg.“
Mit dem Einzug in das Achtelfinale, in dem er dem jungen Franzosen Adrien Mattenet mit 1:4 Sätzen unterlag, war Šimončík in der Tat der beste Tscheche im Herren-Einzel. Dabei hätte nicht viel gefehlt, und er wäre schon in Runde zwei an Alexander Schibajew und dessen unangenehmer Spielweise gescheitert. Šimončík aber wehrte im sechsten Satz einen Matchball des jungen Russen ab:
„Mit Glück habe ich diesen Matchball abwehren können, und zum Glück habe ich auch das Duell noch zu meinen Gunsten gedreht. Im sechsten Satz habe ich zudem gespürt, dass ich Oberwasser bekomme, denn der Russe begann nervös zu werden.“Überzeugen konnte auch Petr Korbel. Der 39-jährige Altstar schied zwar schon eine Runde früher als Šimončík aus, dafür aber genossen er und die Zuschauer sein Duell gegen den nur ein Jahr jüngeren Ex-Weltmeister Werner Schlager aus Österreich:
„Für mich macht es immer Spaß, gegen den Werner zu spielen. Wir sind auch gute Freunde abseits der Tischtennisplatte. Wir verstehen uns wirklich gut, daher haben wir vor unserer Begegnung auch noch ein paar Späßchen an der Platte gemacht. Schade ist nur, dass ich ab dem fünften Satz vielleicht schon nicht mehr so richtig Paroli bieten konnte. Da war Werner schon ein bisschen besser.“Zur Hälfte der Begegnung lag Korbel mit 2:1 Sätzen in Führung, danach aber hatte er dem Österreicher fürwahr nichts mehr entgegenzusetzen. Werner Schlager, der am Ende eine Bronzemedaille gewann, war deshalb auch mehr als zufrieden mit dem Match:
„Gegen den Petr ist es immer schwer zu spielen, denn er hat sehr viel Routine. Gleichzeitig macht es aber sehr viel Spaß, gegen ihn zu spielen, weil man sich wirklich auf einem sehr hohen Level duellieren kann. Und so war es heute auch wieder. Heute hatte ich mit meinem Service und meiner Service-Annahme doch die bisschen besseren Waffen. Deswegen war es zwar kein einfaches Spiel für mich, aber dennoch ein sicheres Spiel für mich.“Šimončík und Korbel waren letztlich die einzigen beiden Tschechen, die sich im Einzelwettbewerb auffällig in Szene setzen konnten. Ein Fakt, der auch den tschechischen Herrentrainer Tomáš Demek nicht sonderlich begeisterte:
„Das war nicht viel, was wir geboten haben, um ehrlich zu sein. Sicher, wir hatten einige junge Spieler dabei, die zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft gespielt und somit erst Erfahrung gesammelt haben. Aber insgesamt schieden einfach zu viele Spieler schon in der zweiten Runde aus. Ich hatte erwartet, dass einige von ihnen noch weiter kommen würden.“Von den neun tschechischen Spielern schieden sieben nach der zweiten Runde aus, darunter auch Dimitrij Prokopcov, ein gebürtiger Ukrainer, der neben Korbel zu den größten Hoffnungsträgern zählte.
Bei den Damen war weit weniger erwartet worden, und das aus einem einfachen wie auch zweifelhaftem Grund: unter den Top Ten der europäischen Damen-Elite sind nicht weniger als acht Spielerinnen chinesischer Herkunft. Egal ob die Niederlande, Spanien, die Türkei, Polen, Österreich oder Deutschland – alle diese Länder haben inzwischen mehr oder minder starke Spielerinnen aus China, wo Tischtennis ein Nationalsport ist, unter ihre Flagge genommen. Und so spielen nun Jahr für Jahr fast nur noch die Li´s, Hu´s oder Wu´s um die Titel und Medaillen in den Damenkonkurrenzen. Eine bittere Wahrheit, die auch der besten tschechischen Spielerin, Iveta Vacenovská, nicht behagt:„So wie ich das sehe, ist das für alle europäischen Spielerinnen nicht gerade vorteilhaft, denn der Zustrom der Chinesinnen raubt besonders den jungen Spielerinnen die Chance, sich international zu zeigen und zu bewähren.“
Wäre es da nicht von Vorteil, wenn auch die tschechische Damen-Mannschaft ein, zwei Chinesinnen in ihren Reihen hätte, um auch konkurrenzfähig zu sein? Eine Frage, auf die Iveta Vacenovská nur eine Antwort hat:„Ich bin entschieden dagegen! Lieber werde ich im Mannschaftswettbewerb Letzter, aber nur mit Tschechinnen im Team.“
Mit ihrer Teamgefährtin Renáta Štrbíková war für Iveta Vacenovská in Ostrau eine Medaille zum Greifen nah. Im Damen-Doppel unterlag das tschechische Duo im Viertelfinale dem Paar Toth / Pota nach einer 3:1-Führung noch unglücklich mit 3:4, womit ihnen die Ungarinnen die Bronzeplakette regelrecht vor der Nase wegschnappten. Im Damen-Einzel gewann übrigens mit der Weißrussin Viktoria Pawlowitsch eine echte Europäerin die Goldmedaille. Im Finale schlug sie die „Österreicherin“ Jia Liu mit 4:3 nach Sätzen.