Lohndumping, Sparkurs und der Umgang mit der tschechisch-deutschen Geschichte
Dieses Mal sind unsere Themen ziemlich tschechisch-deutsch. Zum einen wurde in der tschechischen Presse anlässlich der Aushebung des Massengrabs mutmaßlicher deutscher Zivilisten sehr kontrovers diskutiert. Dabei ging es vor allem um die Frage nach Tätern und Opfern vor dem Hintergrund von sieben Jahren Nazi-Diktatur und nachfolgender Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Zudem haben sich die tschechischen Kommentatoren über das angebliche Lohndumping in Deutschland Gedanken gemacht. Und last but not least auch ein rein tschechisches Thema: der Sparkurs der Regierung Nečas.
Moderator: Bei uns ist es genauso ein Thema gewesen wie in den tschechischsprachigen Medien: das Massengrab, das in Dobronín / Dobrenz bei Jihlava / Iglau gefunden wurde. Die Opfer dort könnten deutsche Zivilisten sein, die unmittelbar nach dem Krieg von betrunkenen Revolutionsgardisten massakriert sein sollen. Das berichten zumindest Zeitzeugen. Und die tschechische Polizei hat 65 Jahre nach dem Ereignis Ermittlungen eingeleitet. Nun machen sich die tschechischen Kommentatoren Gedanken über den Umgang mit der Geschichte in ihrem Land…
T. Janzer: Genau so ist es. Aber es sind nicht nur die Kommentatoren. Auch Politiker und Historiker sind ziemlich deutlich geworden. Der bürgerdemokratische Europaabgeordnete Jan Zahradil schrieb in einem Blog: „Die prosudetendeutschen Aktivisten spielen wieder ihr abscheuliches Spiel mit diesem deutschen Grab in Dobronín. Von dieser tschechischen Buckelei und Selbstbesudelung ist mir zum Kotzen.“So also die Worte von Zahradil. Und auf solche Äußerungen im Internet, die in ähnlicher Schärfe auch von der breiten Masse kommen, bezieht sich Daniel Kaiser in seinem ausführlichen Kommentar in der Lidové noviny. Er stellt die Frage: Warum reagieren so viele Tschechen allergisch auf die Erinnerung an Verbrechen gegen Deutsche? Er sagt, es sei die Art, wie in den letzten 20 Jahren hierzulande über die moderne tschechisch-deutsche Geschichte geredet und geschrieben werde:
„Die selbstkritische Version des tschechisch-deutschen Konflikts bildet einen festen Teil des hiesigen intellektuellen Mainstreams. Für seine Teilhaber ist dies heute die vielleicht sicherste Art, ein Gefühl der Unerschrockenheit zu erlangen. Einige dieser Erwecker leitet sicher die ehrliche Überzeugung, es sei immer noch notwendig, ein Informationsmanko auszugleichen, nachdem die Kommunisten die Verbrechen an den Deutschen 40 Jahre lang totgeschwiegen haben. Nur dauert dieser Ausgleich nun schon beinahe 20 Jahre. In weiteren 20 Jahren wächst eine neue Generation heran. Und es ist wahrscheinlich, dass diejenigen der heute 20-Jährigen, die sich an den Medien und diesem intellektuellen Mainstream orientieren, von dem Thema eine Vorstellung haben werden, der auf dem Niveau von Propagandabroschüre der Sudetendeutschen Landsmannschaft liegt.“
Moderator: Nimmt man die Worte von Daniel Kaiser, dann müsste es aber auch Kommentatoren mit anderer Meinung geben…
T. Janzer: Es sind wohl die, die Kaiser als „Erwecker“ bezeichnet. Einer von ihnen wäre damit der Rundfunk-Redakteur Adam Drda. Er hat für Rádio Česko auf die Äußerungen des bürgerdemokratischen Europaabgeordneten Zahradil reagiert, die ich eingangs bereits zitiert hatte. Und er reagiert auch auf den Historiker Eduard Stehlík. Stehlík verurteilt zwar die Nachkriegsmorde, aber er hat auch geschrieben: „Diese Dinge wären nicht geschehen, wenn die Sudetendeutschen nicht die Erste Republik zerstört und sieben Jahre lang systematisch am tschechischen Volk gemordet hätten.“
Adam Drda schreibt:„Die Meinungen von Zahradil und Stehlík erwecken den Eindruck, dass die Tschechen nach dem Krieg keine Wahl gehabt hätten: Während der Besatzung hätten uns jahrelang die Deutschen massakriert, danach haben eben wir die Deutschen massakriert. (…) Die Hitlerbarbarei rechtfertigt aber in keiner Weise die Tatsache, dass sich einige unserer Vorfahren nach dem Krieg wie Tiere benommen haben. Diese Morde geschahen nicht aus einem Widerstandskampf heraus, sie geschahen bereits nach der Niederlage Deutschlands. Und aus der Tatsache heraus, dass die Angehörigen irgendeines Volkes meine Mitbürger gefoltert und tyrannisiert haben, geht auf keinen Fall hervor, dass ich mir das Recht herausnehmen darf, Angehörige dieses Volkes mit einem Spaten zu erschlagen. Ein zivilisiertes Land erkennt man daran, dass in ihm über Schuld und Unschuld ein Gericht entscheidet und nicht irgendwelche wild gewordenen Pseudopartisanen. Mehrere Jahrzehnte nach Ende des Krieges könnte das vielleicht auch mal tschechischen Politikern und Historikern klar werden.“
Moderator: Wir sind mitten drin im Medienspiegel mit Till Janzer. Bisher ging es um die tschechisch-deutsche Geschichte. Aber du hast ja noch ein Thema mit deutschem Bezug, Till…
T. Janzer: Und das ist eigentlich nicht so ganz frisch, aber auch noch nicht abgestanden oder etwa ausgestanden. Vor zwei Wochen schon hat Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Premier und Vorsitzender der Gruppe der Euro-Finanzminister, Deutschland vorgeworfen, sich mit Sozialdumping aus der Krise zu ziehen. Mittlerweile ist das auch bis Tschechien durchgedrungen, am Dienstag waren dazu Kommentare in den tschechischen Tageszeitungen zu lesen.Moderator: Und was schreiben die Kommentatoren?
T. Janzer: Zbyněk Petráček meint beispielsweise in der Lidové noviny, dass die Deutschen nun aus dem Westen hören würden, was sie selbst immer dem Osten vorgeworfen haben:
„Woher kennen wir denn diese Worte? Genau, aus Deutschland an unsere eigene Adresse. Wenn dasselbe nun aus dem Westen an Berlin gerichtet wird, dann heißt das, dass der traditionelle Monsun sich umgekehrt hat. Für diesen Klimawandel in Europa ist das Haushaltstrauma verantwortlich.“
Sein Kollege Pavel Páral ist in der Mladá fronta Dnes noch etwas deutlicher. Unter dem Titel „Warum die Deutschen keine Siesta halten“ schreibt er:
„Zweifellos ist es kein Fehler Deutschlands, dass es sich rechtzeitig um seine Konkurrenzfähigkeit Sorgen gemacht hat und zu Beginn des Jahrzehnts Reformen unternommen hat, die seinerzeit als unzureichend kritisiert wurden, aber letztlich zum erhofften Ziel geführt haben. Währenddessen haben die meisten Länder in Europa, vor allem die mit lateinischen Wurzeln, in der Überzeugung verharrt, dass die Welt mit der Siesta einfach unsterblich sei. Ja natürlich sind die Reallöhne in Deutschland im Vergleich zu denen in Luxemburg oder Frankreich gefallen und die deutschen Firmen haben sich auch deswegen auf den europäischen Märkten durchgesetzt wie nie zuvor. Doch muss man sich vor Augen halten, dass diese Erfolge nicht im Wettbewerb mit französischen oder italienischen Firmen erzielt wurden, die schon lange nicht mehr konkurrenzfähig sind, sondern im Wettbewerb mit den Koreanern, Taiwanesen, Indern oder Brasilianern.“Moderator: Bei den tschechischen Kommentatoren herrscht also Verständnis für die deutsche Lohnpolitik – ganz im Gegensatz zur innerdeutschen Diskussion über Billiglöhne und Hartz 4. Wir haben noch ein kleines bisschen Zeit für ein weiteres Thema. Was gab es denn noch in den Kommentarspalten der tschechischen Zeitungen?
T. Janzer: Natürlich wurde die ganze Woche auch weiter über den Sparkurs der Regierung debattiert. Als erster legte dabei Innenminister Radek John von der Partei der öffentlichen Angelegenheiten einen detaillierten Plan für Kürzungen in seinem Ressort vor. Petr Honzejk meint in der Hospodářské noviny, dass John dabei vor allem dafür gedankt werden muss, dass sein Plan Einblick gewährt, wie der tschechische Staat all die Jahre über seine Verhältnisse gelebt hat. Er schreibt:„Beim Geschluchze über die notwendigen Entlassungen von Polizisten haben wir zum Beispiel erfahren, dass Tschechien die höchste Zahl an Ordnungshütern in Europa hat. Einer für 210 Bürger. (…) Die Polizei war bisher durch nichts gezwungen, sich rational zu verhalten. John will zum Beispiel überzählige Angehörige der Ausländerpolizei auf die Straße schicken. Warum sind sie dort nicht schon längst? Seit 2008 gehört Tschechien dem Schengenraum an. Wenn jetzt eine solche Umschichtung möglich ist, dann heißt das, dass wir fast drei Jahre lang überzählige Polizisten ernährt haben. (…) Johns Kürzungsrezepte beweisen, dass der Staat viel zu teure Tätigkeiten ausübt – und seinen Angestellten allen möglichen Unsinn bezahlt. (…) Das verlangt nun ein Umdenken. Wir müssen den Staat als Dienstleister verstehen, aber dürfen ihn nicht als Fonds betrachten für die Befriedigung der Bedürfnisse seiner Bediensteten.“