Das Absolutum oder die Gottesfabrik – Karel Čapeks Albtraum vom befreiten Schöpfer
Er war wohl der bedeutendste tschechische Schriftsteller der Zwischenkriegszeit: Karel Čapek – Journalist, enger Vertrauter des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk, Autor von zahlreichen Romanen, Theaterstücken und Kinderbüchern. Wir widmen uns heute einem Buch, das im deutschsprachigen Raum zu den weniger bekannten Werken Karel Čapeks zählt. Einer albtraumhaften, fiebrigen Vision von der Spaltung der Atome und der Entfesselung Gottes. Gerald Schubert hat das Buch ausgewählt, Jitka Mládková hat mit ihm darüber gesprochen.
„Genau, und zwar von einem der bekanntesten tschechischen Autoren überhaupt. Das Buch heißt ‚Das Absolutum oder Die Gottesfabrik’, geschrieben hat es niemand geringerer als Karel Čapek.“
Karel Čapek hat von 1890 bis 1938 gelebt. Es handelt sich also nicht gerade um eine Neuerscheinung.
„So ist es. Der Roman wurde 1922 veröffentlicht, und das sollte man auch sehr genau wissen, wenn man ihn liest. Die Handlung beginnt nämlich am Neujahrstag des Jahres 1943 in Prag. Nationalsozialistische Besatzer oder einen Weltkrieg gibt es in dem Buch zu diesem Zeitpunkt aber nicht. Es wurde eben mehr als 20 Jahre zuvor geschrieben. Auch inhaltlich kann man das Werk in gewissem Sinne als Science-Fiction-Roman bezeichnen. Meine Ausgabe stammt von SF Utopia, das war in den achtziger Jahren die Science-Fiction-Reihe des DDR-Verlags Das Neue Berlin. Vermutlich habe ich das Buch in Wien auf irgendeinem Flohmarkt gekauft, ich kann mich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall habe ich es sicher nie bereut, und ich weiß noch, dass das Buch damals ganz allgemein mein Interesse an Tschechien – respektive der Tschechoslowakei – geweckt hat.“
Was hat dich denn daran fasziniert?„Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Erfindung, eine Maschine namens Karburator. Sie erzeugt Energie, und zwar durch die völlige Zerschlagung der Materie, wie es heißt. Der Erfinder vergleicht die kleinsten Bausteine der Materie mit Pferden, die in entgegengesetzter Richtung an einem Strick ziehen. Wenn man den Strick durchschneidet, sagt er, dann werden ungeheure Energien frei. Der Karburator ist also gewissermaßen ein kleines Atomkraftwerk. Karel Čapek hat ihn 1922 ‚erfunden’, als die Kernforschung noch in den Kinderschuhen steckte. Das Faszinierende an der Geschichte ist nun, dass die ganze Sache einen sehr gefährlichen Haken hat. Allerdings besteht diese Gefahr nicht in der radioaktiven Strahlung, wie wir sie heute kennen, sondern in einem völlig anderem Phänomen: Čapek geht sozusagen vom Gedanken des Pantheismus aus, der ja besagt, dass Gott überall ist, also auch in der Materie. Wenn man die Materie nun zerschlägt, dann wird nicht nur Energie frei, sondern auch Gott. Und mit diesem frei gewordenen, ungebundenen Gott, der keinen menschlichen Regeln gehorchen will, haben die Leute dann so ihre liebe Not. Ich finde, das ist ein großartiger Gedanke, der viel Raum gibt für allerlei philosophische und gesellschaftspolitische Überlegungen.“
Und diese Überlegungen hat Karel Čapek bestimmt auch angestellt, oder?„Genau. Die Erzählung beginnt in einem kleinen Keller im Prager Stadtteil Břevnov, wo der erste Karburator steht, und mündet in eine globale Katastrophe. Dazwischen gibt es jede Menge Geschichten von religiösem Wahn, Streit um die richtige Interpretation der göttlichen Phänomene, philosophische Erklärungsmodelle, Päpste und Gegenpäpste, politische Verwicklungen, brutale Kämpfe, und natürlich das wirtschaftliche Bestreben, mit den Karburatoren möglichst viel Geld zu verdienen. Einige Werke von Karel Čapek sind heute bekannter, zum Beispiel der Roman ‚Der Krieg mit den Molchen’, oder das Theaterstück ‚R.U.R.’, in dem er auch den Begriff ‚Roboter’ erfunden hat. Alle diese Texte haben aber gemeinsam, dass der Mensch etwas schafft, das sich dann seiner Kontrolle entzieht und ihm über den Kopf wächst. Und das ist ja ein uraltes Thema der Prager Literatur – man denke nur an den Golem.“
Du kannst also ‚Das Absolutum oder die Gottesfabrik’ unseren Hören empfehlen?
„Absolut.“
Übrigens: Wie bereits erwähnt, zählt ‚Das Absolutum oder die Gottesfabrik’ nicht zu den bekanntesten Büchern Karel Čapeks. Sollten Sie jetzt neugierig geworden sein: Bei Lieferschwierigkeiten berät Sie Ihr Buchhändler gerne bei der Anschaffung eines Exemplars aus den heute übers Internet gut vernetzten Antiquariaten.