Parteienverbot, Stasiakten und Sportler im Wahlkampfgulasch
Hauptthema der tschechischen Zeitungskommentatoren war in dieser Woche das Verbot der rechtsextremen Arbeiterpartei. Außerdem wurde viel geschrieben über Institut zum Studium totalitärer Regime. Das bekommt nämlich einen neuen Leiter. Und auch die Olympischen Spiele haben den tschechischen Blätterwald durcheinander gewirbelt.
Patrick Gschwend: Sehr skeptisch, muss man in den meisten Fällen sagen. Einig sind sich zwar alle, dass die Einschätzung der Arbeiterpartei, die du gerade beschrieben hast, richtig ist. Viele fragten sich aber, ob das ein Verbot der Partei rechtfertigt. Zum Beispiel Jiří Leschtina in der Hospodářské Noviny:
„Stellt die Arbeiterpartei wirklich ein so großes Risiko für die Demokratie dar, dass ihre Auflösung nötig ist, auch um den Preis einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit?“
Moderator: Seine rhetorische Frage beantwortet Leschtina also mit: „Nein“?
P.G.: Genau. Leschtina hält die Arbeiterpartei nicht für so gefährlich, wie sie dargestellt wird. Sie bekomme kaum Wählerstimmen und auch die Teilnehmerzahlen an Neonazi-Märschen gingen nicht in die Tausende sondern „nur“ in die Hunderte. Leschtina wirft den Richtern außerdem vor, mit zweierlei Maß zu messen. So habe das Gericht 2006 die Auflösung des Kommunistischen Jugendverbandes abgelehnt, obwohl der offen zur Abschaffung von Privateigentum aufruft. Das sei ein vergleichbarer Angriff auf die demokratischen Werte. Die Gefahr drohe ohnehin von anderer Seite, meint Leschtina:
„Die wahre Bedrohung unserer Demokratie sind nicht die Extremisten, sondern die heutigen Parlamentsparteien, vor allem ihre Habgier, die das Misstrauen in das Parlament und in die Politik allgemein erhöht. Die Auflösung der Arbeiterpartei kann man auch als Zeichen der Schwäche des Staates deuten, der von verunsicherten Politikern regiert wird.“
Moderator: Hast du noch einen weiteren Kommentar zum Verbot der Arbeiterpartei?P.G.: Klar. Zunächst wäre da Martin Komárek in der Mladá Fronta Dnes. Auch er glaubt nicht an die Gefährlichkeit der Arbeiterpartei. Die Begründung des Gerichts für ihr Verbot hält Komárek sogar für „verdächtig“, und er fragt:
„Die Urteilsbegründung dauerte mehr als zwei Stunden. Reden nicht gerade die Leute so lange, die entweder in Wirklichkeit gar nichts zu sagen haben, oder die unsicher sind?“
Gleichzeitig findet Komárek aber, 99 Prozent der Urteilsbegründung seien gut und richtig. Es sei klar geworden, dass die Arbeiterpartei chauvinistisch, rassistisch und mit illegalen Neonazigruppen eng verbunden ist. In einem Punkt habe das Gericht laut Komárek aber versagt, nämlich zu zeigen, dass die Partei tatsächlich die Demokratie und die Menschenrechte bedroht, und warum der Eingriff in die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit nötig war, der mit dem Verbot einhergehe.
Moderator: Nun wurden ja im Gerichtsurteil die Vorfälle aus dem November 2008 erwähnt. Die Arbeiterpartei hat damals einen Marsch im nordböhmischen Litvínov organisiert. Dabei kam es zu stundenlangen Straßenschlachten von Neonazis mit der Polizei. Die Rechten sind damals durch eine überwiegend von Roma bewohnte Siedlung marschiert, und haben sich als Beschützer der so genannten „weißen Tschechen“ dargestellt.
P.G.: Ja, und sie wurden übrigens von vielen dieser „weißen“ Tschechen begeistert begrüßt. Das greift auch Komárek auf. Aber der Fall reicht seiner Meinung nach nicht aus:„Wesentlich größere Demonstrationen und Straßenschlachten fanden am Rande des friedlichen Klimagipfels im friedliebenden Dänemark statt. Muss deswegen Greenpeace aufgelöst werden, das die Proteste organisiert hatte? Ich denke nicht. Das Gericht hat die Arbeiterpartei aufgelöst. Es hat Rassisten und Dummköpfen eine Lektion erteilt. Nebenbei aber auch der Freiheit aller anderen. War es das wert?“
Moderator: Gab es denn keine rein positive Reaktion auf das Parteienverbot?
P.G.: Doch, von Petr Uhl in der Právo. Er hat das Urteil ausdrücklich begrüßt, auch – und gerade – in juristischer Hinsicht. Er schreibt, auch bei der Lösung der Probleme, auf die die Arbeiterpartei hinweist, und die sie für ihre Zwecke missbraucht, müssten die Grundrechte und die Freiheit des Einzelnen respektiert werden. Und die respektiert eben die Arbeiterpartei nicht. Uhl sprach im Zusammenhang mit dem Urteil von einem „Sieg des Rechts über das Gefühl“.
Moderator: Kommen wir zu einem weiteren Thema, Patrick. Das Institut zum Studium totalitärer Regime bekommt einen neuen Leiter. Der alte Chef, Pavel Žáček, stand schon lange in der Kritik, wegen seiner Amtsführung, vor allem aber wegen seines Umgangs mit den Akten der kommunistischen Geheimdienste, die in der Obhut des Instituts lagern.
P.G.: Unter Žáčeks Führung wurden vom Institut für das Studium totalitärer Regime einige Skandale losgetreten, die mit der angeblichen oder tatsächlichen Stasitätigkeit einiger auch berühmter Personen zu tun hatten.
Moderator: Beispiel: der Schriftsteller Milan Kundera.
P.G.: Ja, zum Beispiel. Der mittlerweile 80-jährige Kundera soll noch als Student in den 50er Jahren einen Kommilitonen angeschwärzt haben, der daraufhin mehrere Jahre im Gefängnis verbringen musste. Der wahre Hintergrund der Vorwürfe ist in diesem, und auch in anderen Fällen, immer noch nicht genau geklärt. Es wurde oft kritisiert, Žáček habe die Angaben in den Geheimdienstakten vor ihrer Veröffentlichung durch das Institut für das Studium totalitärer Regime nicht ausreichend geprüft. Er habe sich beim Lostreten solcher Skandale vielmehr von politischen Motiven leiten lassen, sprich einem strammen Antikommunismus. Daniel Kaiser schrieb dazu in der Lidové Noviny:
„Politisiert wurde das Institut für das Studium totalitärer Regime vielleicht nur in dem Sinn, dass es gegen den Widerstand der Linken entstand und damit schon von Beginn an von einer bestimmten politischen Konstellation abhängig war. Žáček oder Nicht-Žáček, nach dem anzunehmenden Sieg der Linken in den kommenden Wahlen erwartet das Institut wahrscheinlich eine allmähliche Unterdrückung. Über verschiedene Unzulänglichkeiten in seinem Betrieb wird man nicht mehr reden, weil man es vergessen wird.“
Moderator: Kaiser glaubt, das Institut geht schweren Zeiten entgegen. Keine guten Aussichten also für den neuen Chef Jiří Pernes…
P.G.: Wir werden sehen. Pernes arbeitet schon länger im Wissenschaftsrat des Instituts und er übernimmt die Leitung im April. Luděk Navara in der Mladá Fronta Dnes glaubt auch, Pernes übernimmt einen schweren Job. Aber deshalb, weil die Auseinandersetzung mit den kommunistischen Verbrechen an sich schon kompliziert sei. Und daher kämen eben die harten Auseinandersetzungen um die Art seiner Leitung, schreibt Navara:„Alleine das Auswahlverfahren für den Chefposten, in dem sich erfahrene Historiker gestritten haben, ist ein Beweis dafür, dass Žáček eine funktionierende Institution aufgebaut hat. Dass er nicht mehr ihr Chef sein wird, ändert daran nichts.“
Moderator: Noch ein letztes Thema, Patrick: Olympia!
P.G.: Gerne. Aber damit begeben wir uns trotzdem wieder in die Niederungen der tschechischen Politik. Petr Honzejk hat in der Hospodářské Noviny Aussagen von Ex-Premier Mirek Topolánek aufgegriffen. Der hatte den tschechischen Olympioniken vor ihrer Abreise nach Vancouver mit auf den Weg gegeben, sie sollten in Kanada das Image Tschechiens aufpolieren, das von „einigen Politikern“ beschädigt worden sei. Und Honzejk dazu:„Nicht, dass der Missbrauch des olympischen Gedankens zu politischen Zwecken keine Tradition hätte. Probe aufs Exempel: Josef Goebbels 1936, Leonid Breschnew 1980, Wen Jiabao 2008. Aber die sportlichen Repräsentanten des Staates ins Wahlkampfgulasch zu geben ist doch nur eins: … tschechisch. Und außerdem: Was sagen dazu wohl die Sportler, die Fans von [Sozialdemokratenchef] Jiří Paroubek sind, und die glauben, dass dem Land am meisten die Nacktfotos von [Bürgerdemokrat] Topolánek in Silvio Berlusconis Villa geschadet haben? Diesen Fauxpas wieder gut zu machen: Mensch, das wird eine Motivation sein!“
Moderator: Patrick, vielen Dank für den Presseüberblick!