Ihr November auf Radio Prag: Sudeten, Litvínov und Gesundheitsgebühren
Wieder einmal ist es Zeit, dass Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, das Wort erhalten. In einer neuen Ausgabe des Hörerforums.
Ahoj und herzlich Willkommen zu unserem Hörerforum. Wieder sind zwei Wochen vergangen, in denen unser Briefkasten aus allen Nähten geplatzt ist. Vielen Dank für Ihre Post! Darunter war wie immer auch ein ganzer Stapel von Empfangsberichten! Diese Mal kamen die zum Beispiel von: Helmut Schafheitle aus Singen, Wolf-Lutz Kabisch aus Malschwitz, Heinz und Felicitas Haring aus Kapfenberg, Hans-Jürgen Peters aus Erfurt, Richard Wietek aus Geigant und Werner Baron aus Recklinghausen. Vielen Dank an Sie, stellvertretend für alle anderen, die uns Empfangsberichte gesendet haben.
Mit Riesenschritten rückt Weihnachten näher. Auch in Tschechien hat die Adventszeit begonnen. In Prag erstrahlt die Weihnachtsbeleuchtung und auf den Weihnachtsmärkten wärmen sich die Besucher mit heißem Glühwein auf. Bevor wir aber auch im Hörerforum die Weihnachtszeit einläuten können, gilt es aber erstmal den November Revue passieren zu lassen. In unseren Sendungen, gab es wieder einige Themen, die Sie zur Feder oder in Ihre Tastaturen greifen ließen. Zu einem traurigen Jahrestag hat uns Peter Vaegler aus Stralsund diese Zeilen geschrieben:
„Mit Interesse habe ich Ihre Sendungen über die antijüdischen Pogrome in den Sudetengebieten am 9. und 10. November 1938 gehört. Diese Ereignisse sind auch bei uns als „Reichskristallnacht“ bekannt und werden immer ein schwarzer Fleck in der Geschichte Deutschlands bleiben. Auf Radio Prag hörte ich nun zum ersten Mal, dass es auch in den Sudetengebieten solche Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung gab. So tragen die Sendungen von Radio Prag zur Wissensvermittlung und dem Geschichtsverständnis bei.“
Als Folge des Münchener Abkommens vom 30. September 1938 musste die damalige Tschechoslowakei die Sudetengebiete an Hitlerdeutschland abtreten. Übrigens unter großem Beifall großer Teile der deutschsprachigen Bevölkerung in diesen Gebieten. Als es dann am 9. November zu den Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung kam, gehörten die Sudetengebiete also nach dem Rechtsverständnis des Nazi-Regimes bereits zu Deutschland. Der tschechische Historiker Michael Frankl meint sogar, dass die Pogrome in den Sudetengebieten noch brutaler als anderswo abliefen. Die unmittelbaren Folgen für die jüdischen Gemeinden waren verheerend: Von den 25 000 bis 28 000 Juden, die vor 1938 in den Sudetengebieten lebten, blieben nach der „Reichskristallnacht“, wie man die Ereignisse oft noch beschönigend nennt, nur etwa 5000 in ihrer Heimat. Viele Juden wurden ermordet oder deportiert. Wer Glück hatte konnte fliehen. Nach dem 9. November 1938 hörten die meisten jüdischen Gemeinden im Sudetenland auf zu funktionieren, viele hörten also de facto auf überhaupt zu existieren.
Dass es nötig ist an die schrecklichen Ereignisse vor 70 Jahren zu erinnern, wurde leider vor etwa zwei Wochen im nordböhmischen Litvínov deutlich: Bewaffnete Rechtsextremisten wollten es offenbar den Nazi-Schergen vor 70 Jahren gleichtun. Ihr Ziel war eine Siedlung der Roma-Minderheit in Litvínov. Mit den Polizisten, die dies verhindern wollten; lieferte sich der rechtsradikale Mob eine stundenlange Straßenschlacht, bei der 15 Menschen verletzt wurden. Hans Trampenau aus Lübeck hat unsere Beiträge darüber gehört und uns schockiert geschrieben:„Die Vorgänge in Nordböhmen haben mich erschrocken und zornig werden lassen. Was für Schwachköpfe! Aber schlimmer noch ist die klammheimliche, oder sogar ganz offene, Unterstützung von Teilen der Bevölkerung. Leider sind solche Abscheulichkeiten auch bei uns in Deutschland nicht unbekannt. Man muss sich solchen Leuten rechtzeitig widersetzen!“
Auch uns haben die Ereignisse in Litvínov schockiert. Und ebenso auch die überwiegende Mehrheit der Tschechinnen und Tschechen. Auf politischer Ebene wird in diesen Tagen diskutiert, in welcher Form man diesen rechtsradikalen Umtrieben und ihren Hintermännern begegnen soll. Im Gespräch ist dabei ein Verbot der rechtsradikalen Arbeiterpartei, die die Demonstration am 17. November angemeldet hat, auf der es zu der Eskalation gekommen ist. Ob das Verbotsverfahren erfolgreich sein wird, bleibt noch abzuwarten. Dass allein mit einem Parteiverbot die gesellschaftlichen Wurzeln des Übels bekämpft werden können, ist allerdings zu bezweifeln. Es muss wohl noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. In Litvínov wurden zunächst jedenfalls bis auf weiteres sämtliche Anträge der Rechtsradikalen abgelehnt, erneut aufzumarschieren.
Wir kommen zu einem anderen aktuellen Thema in Tschechien. Heftig umstritten ist hierzulande derzeit eine Gesundheitsreform, die die Regierung unter der Federführung von Gesundheitsminister Tomáš Julínek plant. Doch auch schon zu Beginn des Jahres kam es zu tief greifenden Veränderungen im tschechischen Gesundheitswesen. Ähnlich wie in Deutschland wurden Praxisgebühren eingeführt. Die sozialdemokratische Opposition kritisiert die Pflichtzuzahlungen heftig. Engelbert Borkner aus Hildesheim hat unsere Berichterstattung darüber verfolgt:
„In den Nachrichten brachten Sie die Meldung, dass die künftige sozialdemokratische Kreisregierung von Südmähren ihr Wahlversprechen halten will. Sie kündigte demnach an, die Zuzahlung bei Arztbesuchen und beim Aufenthalt in Kreiskrankenhäusern abschaffen. Kann denn eine Kreisregierung, die Praxisgebühren ohne weiteres abschaffen? Sind die Gebühren nicht landesweit durch den Beschluss der Regierung eingeführt worden, wie es bei uns in Deutschland der Fall ist? Auch hier kann ja die Praxisgebühr nur durch einen Regierungsbeschluss wieder aufgehoben werden.“
Dazu weiß mein Kollege Daniel Kortschak mehr. Der kennt sich in der Frage der Gesundheitsgebühren bestens aus:„Abschaffen kann die Kreisregierung die Gesundheitsgebühren in der Tat nicht. Sie wurden vom Parlament beschlossen. Eine Verordnung des Gesundheitsministeriums regelt zudem die Einzelheiten zur Einhebung. Was die Kreisregierung aber machen kann ist, die Praxisgebühren an Stelle der Patienten zu übernehmen. Und das geschieht in Südmähren ebenso wie in den meisten anderen Kreisen. Allerdings betrifft das nur die von den Landkreisen verwalteten Krankenhäuser. In Südmähren sind das acht, meistens in größeren Städten. Es hängt also davon ab, in welches Krankenhaus sie eingeliefert werden. In der Kreisklinik in Znojmo oder in Břeclav zum Beispiel zahlen sie in Zukunft keine Gesundheitsgebühren. Sind sie so schwer krank oder verletzt, dass sie in die Uni-Klinik nach Brno / Brünn oder ins dortige Unfallkrankenhaus müssen, dann haben sie Pech: Diese Spitäler sind nämlich staatlich. Und auch wenn sie den Bereitschaftsdienst des städtischen Krankenhauses in Hustopeče bei Brünn aufsuchen, dann werden 90 Kronen / 3,60 Euro fällig.“
Das war’s schon wieder für heute. In zwei Wochen gibt’s dann eine neue Ausgabe des Hörerforums. Ihre Post schicken Sie uns bitte weiterhin an die bekannten Adressen. Auf dem traditionellen Weg an Radio Prag – Deutschsprachige Redaktion, Vinohradská 12, 120 99 Praha 2, Tschechische Republik. Oder per Email an [email protected]. Machen Sie es gut und bis in zwei Wochen!