Das Leugnen des Holocaust in Tschechien
Vergangenen Freitag wurde in vielen Ländern anlässlich des Jahrestages der Befreiung des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Januar 1945 der Holocaust-Gedenktag begangen. In Tschechien hatte der 27. Januar zum zweiten Mal den Charakter eines Gedenktages, an dem alle Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewürdigt wurden.
Wird auch in Tschechien der Holocaust relativiert? Wie geht die tschechische extreme Rechte mit diesem Thema um? Ist dieses Thema gesellschaftlich salonfähig? Gibt es im Land selber revisionistische Historiker und Publizisten, oder werden in Tschechien vor allem die Texte und Werke ausländischer Autoren verbreitet? Darüber unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Zdenek Zboril von der Prager Karlsuniversität, der einleitend meint:
"Es stimmt, dass es hierzulande eine Art latenten Antisemitismus gibt, der sich manchmal auch in der Leugnung des Holocaust äußert, aber das betrifft nur sehr wenige Fälle. Ich kenne persönlich nur einen Fall aus dem Jahr 1999, wo es zur Verurteilung eines Holocaust-Leugners gekommen ist. Dennoch hatte das zur Folge, dass dieses Urteil ein verstärktes öffentliches Interesse weckte, was letztlich dazu führte, dass im Jahr 2001 per Gesetz die Leugnung sowohl der Verbrechen der Nazis, wie auch der Kommunisten verboten wurde und mit einem Strafmaß zwischen zwei und fünf Jahren versehen wurde. Das fiel in eine Zeit, in der in Tschechien ein Buch des Revisionisten Rudolf Seidel mit dem Titel - Auschwitz: Fakten versus Fiktion verbreitet wurde, das ein klassisches Werk im Bereich des Leugnen des Holocausts darstellt. Es ist nicht uninteressant, dass dieses Buch im vergangenen Jahr wieder auftauchte und vor allem an Mittelschulen im ganzen Land mit relativ großem Erfolg verteilt wurde. Nur zum Vergleich: Das heute schon klassische Werk von Deborah Lipstadt über die Leugner des Holocaust, hatte zum Beispiel große Schwierigkeiten, einen Verleger in Tschechien zu finden und als es gedruckt war, verkaufte sich das Buch relativ schlecht. Man muss auch folgendes immer wieder bedenken. Je mehr sich die Zahl der Zeitzeugen verringert, desto wichtiger wird es, dass die neuen Generationen dieses Thema neu aufnehmen, verarbeiten. In der Gesellschaft lässt sich generell eine sehr geringe Toleranz feststellen und für junge Menschen ist es immer schwieriger sich in das Empfinden von jemand anderen zu versetzen. Es ist also ein Problem der Allgemeinbildung und auch einer mangelnden Reflexion der Ereignisse, die heute schon Geschichte sind, auch wenn sie noch so dramatisch waren."
Zdenek Zboril meint, dass allein schon durch den Umstand, dass für den Mord an den Juden die gängigen Begriffe Holocaust und Shoah verwendet werden, die wahre Dimension - nämlich dass es sich um einen Massenmord handelte - verwischt wird und eine Leugnung des Genozids leichter gemacht wird.
Besteht im Zusammenhang mit der jungen Generation nicht auch das Risiko, dass jene Literatur, die den Holocaust leugnet und etwa über das Internet verbreitet wird den Charakter der "verbotenen Frucht" haben und somit besonders attraktiv sein könnte? Dazu meint der Extremismusforscher Zboril:
"Ganz bestimmt. Ich glaube, dass die These von Deborah Lipstadt, wonach man mit den Leugnern des Holocaust nicht sprechen sollte, falsch ist. Dadurch wird nämlich erreicht, dass diese Debatte, die man nicht aufhalten kann und die schon seit Jahren läuft, unter Ausschluss von Experten abgehalten wird. Das Gefährlichste ist, wenn über eine historische Gegebenheit keine Klarheit besteht und man nur verschiedenen Vermutungen ausgesetzt ist. Ich habe schon eingangs erwähnt, dass sich zum Beispiel das Buch von Lipstadt in Tschechien sehr schlecht verkaufte. Bei den Werken der ganzen revisionistischen Historiker, beginnend mit David Irving, kann man jedoch davon ausgehen, dass sie beim Erscheinen immer schnell vergriffen sind und sie gerade für junge Leser den Charakter von etwas Verbotenem haben. Ich denke, dass es schon eine potentielle Gefahr darstellt, dass es keine kritische Diskussion über die Geschichte und deren Neuinterpretation gibt. Da kann dann bei den jungen Menschen leicht der Eindruck entstehen, dass ihnen etwas vorenthalten wird und sie werden dann diese Informationen auf einem unkultivierten Niveau aufsuchen."
Vor einigen Wochen sorgte in Tschechien ein anderes, ebenfalls vergangenheitsbezogenes Thema, für Aufregung. Die rechtsextreme tschechische Nationalpartei schaffte es im Zusammenhang mit ihrem Vorgehen an der Roma-Gedenkstätte im südböhmischen Ort Lety große öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. In Lety gab es während des Zweiten Weltkriegs ein Konzentrationslager für Angehörige der Roma-Minderheit und die Rechtsextremisten wollten dort ursprünglich einen Gedenkstein enthüllen, mit dem dezidiert nur der so genannten "tschechischen Naziopfer", nicht aber der Roma, gedacht werden sollte. In diesem Zusammenhang drängt sich natürlich auch eine ganz grundsätzlich Frage auf: Ist eine Relativierung des Massenmords an einer anderen Volksgruppe, als den Juden, also zum Beispiel den Roma, nicht gleichzeitig auch ein Weg, wie man indirekt auch den Mord an den Juden in Frage stellen kann? Dazu sagt Zdenek Zboril:
"Ja, das ist wahr. Ich denke aber nicht, dass die Politik der Nationalpartei so raffiniert wäre. Diese Partei will natürlich bei den kommenden Wahlen punkten und versucht, so wie aber andere Parteien auch, mit Hilfe von drei Themen Wähler anzusprechen: mit einer harten Haltung gegenüber Deutschland, einer ablehnenden Position im Verhältnis zu den Vertriebenen Deutschen und einer negativen Haltung gegenüber den Roma. Letztere stellen das leichteste Ziel dar, weil es natürlich seit Jahrzehnten ungelöste Probleme im Zusammenleben von Tschechen und Roma gibt und das kann natürlich leicht instrumentalisiert werden. An der Politik der Nationalpartei ist bemerkenswert, dass deren Vertreter ganz genau aufpassen, dass es von ihrer Seite her zu keiner Leugnung des Genozids an den Roma kommt, sondern sie weisen formell immer wieder darauf hin, dass den Opfern unter den Roma ein weitaus größerer Stellenwert zugemessen wird, als den tschechischen Naziopfern. Das ist aber im Prinzip nichts anderes, als das die Opfer der einen Seite gegen die Opfer der anderen aufgerechnet werden. Jiri Grusa hat einmal gesagt - wenn man einmal mit dem Zählen der Leichen und dem gegenseitigen aufrechnen begonnen hat, dann führt das in die Hölle, denn das Leben jedes einzelnen Opfers hat einen nicht ermessbaren Wert."
Der Extremismusforscher Zdenek Zboril hat bereits erwähnt, dass die Nationalpartei im Bezug auf das Roma-Konzentrationslager in Lety sehr vorsichtig vorgegangen ist und auch geschickt das Interesse der Medien für ihre Zwecke nutzen konnte. So fanden sich etwa in allen überregionalen tschechischen Zeitungen ganze Seiten, die dem Thema gewidmet waren und wo auch Vertreter der Nationalpartei interviewt wurden. Die Chefin der Partei schaffte es sogar, vergangenen Sonntag vom öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen in eine politische Diskussionssendung eingeladen zu werden.
Welche Rolle sollten die seriösen Medien in Bezug auf die Verbreitung von extremistischen Positionen und Gedanken spielen? Sollen sie die Vertreter dieser politischen Richtungen ignorieren, oder ihnen eine Tribüne gewähren? Hören Sie dazu abschließend noch einmal die Meinung des Extremismusforschers Zdenek Zboril von der Prager Karlsuniversität:
"Ich denke, dass man vergessen hat, dass auch jene Medien, die am stärksten kommerziell ausgerichtet sind, auch irgendeinen Ethos haben sollten. Der große tschechische Journalist Ferdinand Peroutka sagte einmal, dass zum Journalisten-Beruf drei Voraussetzungen gehören: ein bisschen Bildung, ein wenig Intelligenz und ein bisschen Charakter. Das hört sich zwar schön an, lässt sich aber nicht verordnen. Diese Debatten müssen natürlich öffentlich, das heißt auch in den Medien geführt werden, aber es sollte sich um qualifizierte Foren handeln, also in entsprechenden Sendungen oder Rubriken. Leider ist es so, dass ein großer Teil der Massenmedien beim Versuch, die größtmögliche Zahl von Lesern oder Zuschauern anzusprechen, das Niveau und auch die ethischen Standards nach unten drückt. Das ist nicht nur eine Frage, ob Neonazis ins Fernsehen dürfen, sondern das geschieht oft weitaus spontaner, auch bei weniger heiklen Themen, ohne dass sich die Medien der Tragweite voll bewusst wären."