Deutschland öffnet seinen Arbeitsmarkt für Akademiker aus neuen EU-Staaten

In unserem heutigen Schauplatz geht es um das Thema Arbeitsmarkt. Aber auch die tschechisch-deutschen Beziehungen spielen eine Rolle: Ab 1. Januar 2009 können Akademiker aus Tschechien und den anderen sieben Ländern, die 2004 der EU beigetreten sind, in Deutschland arbeiten - und dies gleichberechtigt mit den Bürgern aus den so genannten „alten“ EU-Ländern – den EU-15. Darauf hat sich die deutsche Bundesregierung Mitte Juli in ihrem Aktionsprogramm zum Arbeitsmarkt verständigt. Die genauen Bedingungen für diese Teil-Öffnung des Arbeitsmarktes waren zunächst aber unklar.

Die Meldung über eine mögliche Freigabe des Arbeitsmarktes in Deutschland war bereits Anfang Juli das erste Mal durch die Nachrichten-Agenturen und einige wenige Zeitungen verbreitet worden. Zu Beginn war auch über den Umfang der Öffnung des Arbeitsmarktes spekuliert worden. Schnell wurde klar, dass die Erleichterungen wohl nur höher qualifizierte Bewerber betreffen sollten. Doch in Deutschland konnte oder wollte zu diesem Zeitpunkt - wie gesagt, Anfang Juli - noch niemand derartige Absichten bestätigen. Dezidiert dementieren allerdings auch nicht. In den tschechischen Ämtern und Ministerien hieß es, man wisse auch nur das, was in einigen Zeitungen stehe und warte auf genauere Informationen. So verschwand das Thema zunächst wieder aus dem aktuellen Tagesgeschehen. Am 17. Juli kehrte es in die Agentur- und Pressemeldungen zurück, und auch erste Stellungnahmen waren zu bekommen. Heike Helfer, die stellvertretende Pressesprecherin des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bestätigte im Radio-Prag-Interview am 18. Juli die teilweise Öffnung des Arbeitsmarktes:

„Die Neuerungen bedeuten, dass jetzt voraussichtlich ab dem 1. Januar 2009 Akademiker und Akademikerinnen aus den EU-8-Staaten in Deutschland arbeiten können. Also dort wurde der Arbeitsmarkt vorzeitig geöffnet. Und das ist möglich eben für diese Gruppe der Hochqualifizierten.“

Zu einer vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes, wie sie zum 1.Juli dieses Jahres Frankreich vollzogen hatte, kommt es in Deutschland allerdings nicht.

Foto: Europäische Kommission
„Es ist so, dass diese ‚Änderungen nur für Hochqualifizierte, also für Universitäts- und Fachhochschul-Absolventen gelten. Für die anderen wird der Arbeitsmarkt aller Voraussicht nach noch nicht geöffnet.“, so Pressesprecherin Helfer weiter.

Im tschechischen Europaministerium nahm man in einer ersten Reaktion den Schritt Deutschlands positiv auf, kritisierte aber gleichzeitig, dass es sich dabei nur um eine teilweise Öffnung für bestimmte Gruppen von Arbeitssuchenden handelt.

„Wir begrüßen diesen Schritt natürlich, allerdings halten wir ihn für eine pragmatische Lösung, die vor allem Deutschland helfen soll, seine Interessen auf dem Arbeitsmarkt zu wahren und die Probleme dort zu lösen.“

Nicht klar war zunächst, ob auch für die von den Begünstigungen profitierenden Arbeitnehmer der die so genannte Vorrangprüfung aufrecht bleibt. Im Radio-Prag-Interview am 18.Juli stellte das Heike Helfer vom deutschen Arbeitsministerium noch so dar:

„Es ist allerdings so, dass dennoch, das was auch bisher gemacht wird, wenn Ausländer, die auf dem Arbeitsmarkt zugelassen sind, nach Deutschland kommen wollen: Es wird hier eine so genannte Vorrangprüfung vorgenommen. Es wird dann für die ganz konkrete Stelle überprüft, ob nicht ein Deutscher vorrangig beschäftigt werden kann.“

Doch im von der Bundesregierung am 16. Juli verabschiedeten “Aktionsprogramm der Bundesregierung – Beitrag der Arbeitsmigration zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland.“ das Radio Prag vorliegt, steht unter Punkt 1 zu lesen „Öffnung des Arbeitsmarktes für Akademiker und Akademikerinnen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten durch Verzicht auf Vorrangprüfung.“ Auf Nachfrage bestätigte Pressesprecherin Helfer: „Für Bewerber und Bewerberinnen aus der Tschechischen Republik wird es also keine Vorrangprüfung geben, das haben Sie dem Aktionsprogramm richtig entnommen.“

Foto: Europäische Kommission
Im tschechischen Ministerium für Arbeit und Soziale Angelegenheiten zeigte man sich auch verwundert über die verschiedenen Versionen in der Frage „Vorrangprüfung Ja oder nein“. Und außerdem

„Was die Öffnung des Arbeitsmarktes für Hochschulabsolventen aus Tschechien betrifft, die die deutsche Bundesregierung vorbereitet, muss ich betonen, dass das Ministerium für Arbeit und Soziale Angelegenheiten zur Zeit über keine offizielle Version des Regierungsprogramms zur Arbeitsmigration in Deutschland verfügt und auch keine Rückmeldung darüber, ob dieses Konzept beschlossen wurde und ob dieser Entwurf eine sichere Sache ist, die mit 1.Januar 2009 in Kraft tritt.“, so die Leiterin der Abteilung für Auslands-Beschäftigung, Věra Kolmerová. Wie letzte Woche aus dem Ministerium zu erfahren war, ist das Papier inzwischen in Prag eingetroffen. Doch obwohl die offiziellen Unterlagen aus Deutschland dem tschechischen Arbeits- und Sozialministerium bis vor kurzem noch fehlten, fiel die Reaktion auf die Pläne der deutschen Bundesregierung in Sachen Arbeitsmarkt-Öffnung für die neuen EU-Mitgliedsländer nicht gerade erfreut aus. Věra Kolmerová:

„Was die Öffnung des Arbeitsmarktes für Hochschulabsolventen aus Tschechien betrifft, die die deutsche Bundesregierung vorbereitet: Das ist wieder so eine halbe Öffnung des Arbeitsmarktes. Außerdem ist das ein wenig ein Schritt zur Abwanderung der Intelligenz aus Tschechien nach Deutschland, als ob man das Beste aus dem Arbeitsmarkt eines anderen Staates herauspicken wollte. Ich denke, das ist keine glückliche Lösung.“

Auch für Akademiker aus Drittstaaten, also Staaten, die nicht der EU angehören, soll es in Zukunft leichter werden, Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erhalten - etwa durch die Senkung der Mindest-Einkommensgrenze, ab der man als so genannte Schlüsselarbeitskraft gilt, von derzeit rund 86.000 auf knapp 64.000 Euro. Für Bewerber aus den Drittstaaten soll aber die Vorrangprüfung aufrecht bleiben. Und nicht nur Deutsche haben dabei Vorrang vor den Bewerbern aus Nicht-EU-Ländern. erläutert Heike Helfer vom Bundesarbeitsministerium in Berlin:

Foto: Europäische Kommission
„Es wird überprüft, ob ein anderer, den Deutschen gleichgestellter Arbeitnehmer beschäftigt werden kann. Das heißt natürlich, dass EU-Bürger da auch noch bevorrechtigt sind.“

Trotz der Öffnung des Arbeitsmarktes für Hochschulabsolventen aus den acht im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetretenen Staaten hat sich die deutsche Bundesregierung aber auch entschlossen, die Zugangsbeschränkungen für alle übrigen Arbeitnehmer aus diesen Staaten noch bis April 2011 aufrecht zu erhalten - für Bürger aus Rumänien und Bulgarien, sogar noch bis Ende des Jahres 2011.

„Zurzeit ist die Einschätzung hier so, dass der Bedarf von qualifizierten Fachkräften unterhalb dieser Ebene der Hochqualifizierten, der Hochschulabsolventen, als nicht so groß angesehen wird. Und deswegen will man da zunächst, um einheimische Arbeitskräfte quasi zu schützen, den Arbeitsmarkt noch nicht komplett öffnen. Da ist die Vorstellung die, dass man noch ein Potenzial hat in Deutschland, so dass man hier noch den Fachkräftebedarf decken kann.“, so Heike Helfer.

Věra Kolmerová vom tschechischen Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten sieht die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt hingegen anders:

„Das löst nicht die Probleme der deutschen Arbeitgeber, die vor allem Facharbeiter benötigen. Die Meldungen über den Bedarf an solchen Arbeitskräften bekommen wir vor allem aus dem Grenzgebiet, wo es ein starkes Interesse deutscher Arbeitgeber an qualifizierten Leuten gibt. Vor allem in Handwerksberufen wie etwa Schneider oder Installateure aber natürlich auch in weiteren Berufen, etwa im Baugewerbe.“

Soweit Kolmerová weiß, müsse die deutsche Bundesregierung bis April 2009 begründen, warum sie ihren Arbeitsmarkt für Bürger aus den so genannten neuen EU-Mitgliedsländern weiterhin verschlossen hält. Sie müsse auch begründete Beweise dafür vorlegen, dass Bewerber aus diesen Ländern den deutschen Arbeitsmarkt überfluten.

„Mich würde wirklich interessieren, welche Studie die Bundesregierung dazu vorlegen will. Denn gerade Tschechen sind bei der Suche nach Arbeit nicht sehr mobil. Wir verzeichnen eine sehr geringe Arbeitsmigration.“

Und diejenigen, die es dennoch zum Arbeiten ins Ausland gezogen habe, seien längst weg: In Irland etwa oder in Großbritannien. Aber auch in allen anderen EU-Staaten, die ihre Arbeitsmärkte frühzeitig geöffnet haben. Insgesamt arbeiten zur Zeit 80 bis 100.000 Tschechen im Ausland, die meisten davon in Großbritannien.

Selbst wenn Deutschland keine Barrieren auf dem Zugang zu seinem seinen Arbeitsmarkt errichtet hätte, wäre das große Nachbarland für die meisten Tschechen wohl nicht das bevorzugte Ziel.

„Tschechische Arbeitnehmer haben gar kein so großes Interesse daran, in Deutschland zu arbeiten. Es wurde eine Studie gemacht und das Ergebnis ist, dass für Leute mit Hochschuldiplom eine Übersiedlung nach Deutschland nur dann interessant ist, wenn das Einkommen zwei- bis dreimal höher liegt als in Tschechien. Außerdem muss man natürlich berücksichtigen, dass der Kurs der Tschechischen Krone steigt und es sich für viele Leute nicht mehr lohnt, zum Arbeiten nach Deutschland zu gehen.“ Gerade wegen des steigenden Lebensstandards in Tschechien und der starken Krone kehren seit einigen Monaten auch vermehrt Tschechen, die bisher im Ausland gearbeitet haben, nach Hause zurück.

Ein weiterer Grund dafür, warum es für die Mehrheit der Tschechen nicht besonders attraktiv ist, in Deutschland zu arbeiten, sind mangelnde Sprachkenntnisse. Věra Kolmerová:

„Die Mehrheit der jungen Tschechen spricht englisch oder französisch. Deutsch kommt erst an dritter Stelle.“

Die Regierungskoalition aus rechtsliberalen Bürgerdemokraten, Grünen und Christdemokraten hat bereits wiederholt gefordert die Übergangsbestimmungen aufzuheben, die es den so genannten alten EU-Mitgliedsstaaten ermöglichen, ihren Arbeitsmarkt für Bewerber aus den neuen Mitgliedsländern abzuschirmen. Neben Deutschland gibt es diese Einschränkungen nur noch Österreich und Belgien. Tschechien hingegen verweist auf die EU-Grundfreiheiten und fordert eine Gleichbehandlung aller Länder innerhalb der Union. Immerhin habe auch Tschechien keinerlei Beschränkungen auf seinem Arbeitsmarkt eingeführt, auch nicht für die EU-Neulinge Rumänien und Bulgarien. Anzunehmen ist, dass Premierminister Mirek Topolánek und seine Minister diese Frage auch während der EU-Ratspräsidentschaft des Landes im ersten Halbjahr 2009 zum Thema machen werden.