Kein Feilen am eigenen Denkmal – Václav Havel zurück auf der Bühne

Haptdarsteller Jan Tříska und Zuzana Stivínová (Foto: Jaroslav Prokop)

Odcházení - Der Abgang. So heißt das neue Theaterstück von Václav Havel. Am vergangen Donnerstag hatte das Stück im Prager Theater Archa seine Weltpremiere - und das mit einem Erfolg, der die hochgesteckten Erwartungen noch übertroffen hat. Für den 71-Jährigen Ex-Präsidenten und Ex-Dissidenten Havel bedeutet es nach zwei Jahrzehnten die Rückkehr zur Bühne.

Václav Havel  (Foto: ČTK)
Melancholie liegt über der Bühne, die Melancholie des Abschieds. „Der Abgang“ erzählt von Auflösung und Verfall. Ein alternder Spitzenpolitiker muss seine Ämter niederlegen und aus der Regierungsvilla ausziehen. Mit dem Verlust der Macht löst sich nicht nur der Hofstaat aus Speicheleckern und Verrätern auf, sondern alle Sicherheiten gehen verloren; das Leben verliert seine Umrisse.

„Der Titel ´Der Abgang´, ist im weitesten Sinne des Wortes zu fassen. Die Zeit verfließt, was passiert ist, ist unumkehrbar vergangen, aber irgendwo muss es dennoch bewahrt sein, denn es kann auch nicht zurückgenommen werden. Ununterbrochen geht etwas von uns, anderes kommt und manches kehrt auch zurück. Und auch ich habe in den letzten Wochen das Gefühl einer Rückkehr.“

Es ist die Rückkehr zum Theater, Havels eigentlicher Heimat. Hier hat er die Befindlichkeit des modernen Menschen seziert, dem das Gegenüber genauso fremd ist wie er sich selbst. Seine absurden Stücke aus den sechziger bis achtziger Jahren haben ein weltweites Echo gefunden. Dann kamen die Wende und die Wahl in das höchste Staatsamt. Der Dramatiker Havel musste hinter dem Politiker Havel zurücktreten. 45 Jahre nach seinem Erstling „Das Gartenfest“ und zwanzig Jahre nach der letzten Premiere bringt „Der Abgang“ nun die Rückkehr Havels auf die Bühne.

„Mich hat vor allem die allgemeine, die existentielle Bedeutung der Dinge interessiert. Wie kann es sein, dass jemand Macht verliert und ihm damit zugleich auch der Sinn des Lebens abhanden kommt? Wie ist es möglich dass Macht für manche Menschen solch ein Charisma besitzt, dass mit ihrem Verlust für sie die Welt zusammenbricht?“

Der alternde Politiker, der seine Ämter niederlegen muss - nur vordergründig erzählt Havel hier die eigene Geschichte. Er habe das Stück zu großen Teilen bereits 1989 geschrieben, betont Havel, vor der Wende also und vor der eigenen Wahl ins höchste Staatsamt. Die eigenen Erfahrungen hätten dem Stoff allenfalls noch eine weitere Facette hinzugefügt.

Das Stück knüpft damit nicht zeitlich, aber auch thematisch an Havels Dramen aus den achtziger Jahren an. Auch wenn diese in Konfrontation mit dem realen Sozialismus entstanden sind - an Aktualität haben Havels Stücke auch durch den Wandel der Gesellschaft nichts eingebüßt, meint Theaterkritiker Vladimír Just.

„Havel schreibt über die allgemeine Beschaffenheit des Menschen, über die Promiskuität des Wortes, darüber, dass der Mensch in einer ganz anderen Welt lebt, als er glaubt. Das sind alles Themen, die für den Sozialismus genauso gelten wie für den Kapitalismus. Havel schreibt nicht über die reale Ausprägung der Welt, sondern über die surreale Existenz des Menschen. Und darin schließt das neue Stück, auch wenn einige moderne Ausdrücke darin vorkommen, praktisch nahtlos etwa an Havels ´Largo desolato´ aus dem Jahr 1984 an.“

Surreal geht es auch auf der Bühne zu. Der Realismus der Szene löst sich parallel zum Leben des Helden immer weiter auf, bis schließlich auch die letzten Kulissen und Requisiten in den Theaterorkus entschweben. Regie führt David Radok, der sich international vor allem mit Operninszenierungen einen Namen gemacht hat.

„Das Stück enthält keine Lösung – es werden hier wirklich die existentiellen Fragen gestellt, über die Relativität der Werte, darüber was einen Wert hat im Leben und was nicht. Das sind Fragen, auf die noch niemand eine befriedigende Antwort gefunden hat. Es ist eine Betrachtung über die Relativität der Zeit und der Werte.“

Der Weg des neuen Havel-Stückes auf die Bühne war nicht ganz einfach, und das nicht nur wegen der knapp zwanzigjährigen Verzögerung. Mehrfach wurde die Premierenbühne gewechselt. Havels Ehefrau, die Schauspielerin Dagmar Havlová hatte ursprünglich die weibliche Hauptrolle übernehmen sollen. Vor drei Wochen hatte sie aber mitten in den Proben wegen Krankheit absagen müssen. Nicht zuletzt fällt die Premiere in eine Zeit großer Unsicherheit für die kleinen Prager Theater. Zu Jahresbeginn hat der ODS-geführte Magistrat die Bedingungen für die Kulturförderung neu geordnet. Ein bedeutender Teil der Zuschüsse richtet sich seitdem nach der Anzahl der verkauften Eintrittskarten. Ergebnis: gefördert werden Kommerz-Projekte, kleine, ambitionierte Häuser stehen vor dem Aus. So auch das Theater Archa. Direktor Ondřej Hrab hat trotzdem nicht gezögert, als es darum ging, das neue Stück von Václav Havel auf die Bühne zu bringen.

Direktor Ondřej Hrab  (Foto: ČTK)
„In einer Zeit, als wir wirklich nicht eine einzige Krone hatten, haben wir uns gesagt, es wäre eine Schande, wenn dieses Stück nicht an einem Prager Theater seine Premiere hat. Wir haben uns daher entschieden, selbst das Geld zusammenzubringen, und es ist uns gelungen, Sponsoren zu finden. In der Inszenierung steckt nicht eine Krone aus öffentlichen Geldern. Das ist einerseits vielleicht prima, aber auf der anderen Seite würde man sich in wohl jedem europäischen Land schämen, zu einem solchen Stück keinen Beitrag zu geben.“

Gegen Kulturstadtrat Milan Richter und die Förderpolitik des Magistrats erhebt sich inzwischen landesweit Protest, und das nicht nur in Theaterkreisen. Auch Václav Havel selbst stellt sich hinter seine Bühnenkollegen. Als Dissident und Autor hat er selbst erlebt, welche Rolle das Theater in einer Gesellschaft in entscheidenden Augenblicken einnehmen kann:

„Nie wissen wir, welche Investition sich auf welche Weise zu Gunsten einer Mehrheit auswirkt, Ich habe das in den sechziger Jahren erlebt – damals waren drei, vier kleine Theater die Brutstätte für das Erwachen der Gesellschaft. Heute hat eine einzige Fernsehshow mehr Zuschauer als diese Theater zusammen im ganzen Jahr – aber das sagt doch nichts darüber aus, welchen Einfluss diese Theater auf die Geschichte unseres Landes gehabt haben.“

Regisseur David Radok mit Václav Havel nach der Premiere  (Foto: ČTK)
Für Archa-Direktor Ondřej Hrab hat sich das eingegangene Risiko gelohnt. In nur sechs Monaten ist die Inszenierung aus dem Nichts entstanden. Nach der Premiere gab es einhelligen und lang anhaltenden Beifall von Publikum und Kritikern:

„Ich habe den Applaus nicht gemessen – aber vielleicht hat ja jemand das Poltern des Steines gemessen, der mir vom Herzen gefallen ist, als der Vorhang zuging und das Publikum die Leistung mit stehenden Ovationen gefeiert hat. Das ist mir schon nahe gegangen, denn das war der Beweis, dass sechs Monate Arbeit nicht umsonst waren.“

Nach der Premiere im Prager Archa-Theater bereiten bereits weitere tschechische Theater ihre Inszenierungen des neuen Havel-Stücks vor. Die Auslands-Premiere ist für den September in London geplant; New York und Washington sollen folgen. Viele Kritiker halten „Odcházení“ für eines der besten Dramen Václav Havels.

„Auch wenn das Stück ´Odcházení´ heißt, also ´Der Abgang´, so markiert es dennoch die Rückkehr eines großen Dramatikers.“

so der Publizist und Kritiker Jan Rejžek. Und auch Kritikerkollege Vladimír Just glaubt, dass „Der Abgang“ nicht auch Václav Havels Abgang aus dem öffentlichen Leben ist:

„Ich hoffe fest darauf, dass nicht es nicht so wird, wie es in dem Stück selbst heißt: ´Er arbeitet nur an seinem eigenen Denkmal.´ Das passt eher zu anderen Politikern, und ich hoffe, Havel wird solche Bestrebungen weiter glossieren – sei es als Dramatiker, als Schriftsteller oder als Essayist. Ich glaube daran und hoffe darauf!“