Europäisches Satellitensystem Galileo: Das große Geschäft im All

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Dienstleistungen für Polizei- und Rettungsdienste, vor allem aber eine breite Angebotspalette für kommerzielle und private Nutzer. All das soll das neue Satellitensystem Galileo bringen. Finanziert wird es aus dem Budget der Europäischen Union. Zwei Satelliten sind bereits in der Erdumlaufbahn, im Jahr 2013 soll das System einsatzfähig sein. Auch in Tschechien beobachten Fachleute, Politiker und nicht zuletzt Unternehmen die Entwicklung des Megaprojekts sehr genau. Und Prag hofft sogar, schon bald Sitz der Kontrollagentur GSA zu werden, die das System verwalten wird.

Vor etwas mehr als 50 Jahren versetzte ein eintöniges Piepsen die westlichen Demokratien in Aufregung und die kommunistischen Staaten in Verzückung. Grund dafür war weniger das Piepsen selbst, sondern der Ort, von dem es kam: der sowjetische Satellit Sputnik, der erste künstliche Erdtrabant. Heute kreisen ganze Geschwader von Satelliten um die Erde. Telekommunikation, Navigationssysteme und nicht zuletzt Militärspionage sind ohne sie längst nicht mehr vorstellbar.

Eine der bekanntesten Anwendungen ist das GPS, das Global Positioning System des US-Verteidigungsministeriums, das heute immer mehr im zivilen Bereich eingesetzt wird. Ein ähnliches System hat mit GLONASS auch Russland. Nun errichtet die Europäische Union Galileo: Ab 2013 sollen 30 Satelliten permanent um die Erde kreisen und ein neues Zeitalter der Navigation und der Telekommunikation einläuten. Karel Dobeš ist Galileo-Regierungsbeauftragter in Tschechien:

„Das europäische System Galileo ist ein ziviles System. Das heißt, es wird nicht von irgendwelchen Generälen oder vom Verteidigungsministerium kontrolliert, sondern von der Europäischen Union. Diese muss auf ziviler Basis Entscheidungen treffen, die in den USA oder in Russland von der Armee getroffen werden. Das hat unter anderem zur Folge, dass der Nutzer bei Galileo immer weiß, ob das Signal, das er gerade empfängt, korrekt ist oder nicht. Bei GPS ist das nicht der Fall. Die Amerikaner können, etwa im Konfliktfall, das System jederzeit beeinflussen oder seine Genauigkeit ändern, ohne das dem Nutzer zu sagen. Irgendwann bemerkt dieser dann, dass das System nicht funktioniert. Bei Galileo hingegen hat der Nutzer die Sicherheit, dass er innerhalb von wenigen Sekunden benachrichtigt wird, wenn das System nicht zuverlässig arbeitet.“

Ein weiterer Unterschied zu GPS oder auch GLONASS besteht darin, dass diese Systeme lediglich Signale aussenden, erklärt Dobeš. Galileo aber wird Dienstleistungen anbieten. Bereits jetzt werden jene Anwendungen vorbereitet, die zum Einsatz kommen sollen, wenn Galileo in etwa fünf Jahren seinen Betrieb aufnehmen wird: Positionsbestimmung, Routenberechnung, Verkehrssicherheit, Notrufsysteme, Beobachtung von Pflanzen und Tieren, von Abfall oder von Schadstoffen in der Luft: Galileo soll in einer Vielzahl von kommerziellen Bereichen eingesetzt werden. Für Tschechien ist das Neuland, meint Regierungsbeauftragter Dobeš:

„Bei uns wurde die Raumfahrt leider immer nur von der wissenschaftlichen Seite betrachtet. Wenn jemand Raumfahrt sagt, dann haben sofort alle Vladimír Remek vor Augen, wir er ins Weltall fliegt. In Wirklichkeit aber handelt es sich zu 80 oder 90 Prozent um Business, und nur der Rest ist Wissenschaft. Daran müssen wir uns erst gewöhnen.“

Vladimír Remek, das war der erste Tscheche und der erste Europäer im All. Dreißig Jahre ist das her, das Gesicht der Raumfahrt hat sich inzwischen verändert. Früher zählten Pionierleistungen im Kalten Krieg, heute winkt das große Geschäft. Tomáš Přibyl von der Tschechischen Raumfahrtagentur rechnet vor:

„In die Entwicklung von Galileo sollen dreieinhalb Milliarden Euro investiert werden. Diese Summe wirkt auf den ersten Blick vielleicht Schwindel erregend. Aber vergleichen wir sie mit anderen Zahlen! Statistiken gehen davon aus, dass sich bereits im Jahr 2020 das Geschäftsvolumen für Satellitennavigations-Hardware auf 25 Milliarden Euro jährlich belaufen wird. Das heißt, der Verkauf von entsprechenden Geräten wird die Anfangsinvestitionen für Galileo um ein Vielfaches übersteigen.“

Und das betrifft wie gesagt nur die Hardware. Bei diversen Dienstleistungen, die auf Satellitensysteme angewiesen sind, sieht die Prognose sogar noch verlockender aus: 50 Milliarden Euro jährlich sollen ab 2020 in der Branche weltweit umgesetzt werden, sagt Přibyl.

„Da stellt sich natürlich die Frage: Wollen wir dabei sein, wenn dieser Kuchen aufgeteilt wird, oder wollen wir außen vor bleiben? Ich glaube, im System Galileo liegt eine große Zukunftschance. Und nicht nur dort, sondern in der Raumfahrt überhaupt. Meiner Meinung nach wäre es sehr schade, wenn wir im Abseits stehen und traurig mit ansehen würden, wie sich andere um diesen Kuchen balgen.“

Tschechische Firmen balgen sich also mit und sind dabei sogar besonders guter Hoffnung. Grund: Das Land hat sich als Sitz der Galileo-Kontrollagentur GSA beworben, der Aufsichtsbehörde, bei der alle administrativen Fäden zusammenlaufen sollen. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, meint Tomáš Přibyl von der Tschechischen Raumfahrtagentur:

Foto: Europäische Kommission
„In der Welt der Spitzentechnologie des 21. Jahrhunderts ist es technisch gesehen nicht mehr so wichtig, wo die Behörde ihren Sitz hat. Aber natürlich sollte sie nicht unbedingt irgendwo an der Peripherie liegen, sondern für alle gut erreichbar sein. Ich glaube also, dass Prag in geographischer Hinsicht ein interessanter Standort sein könnte. Dazu kommt, dass die neuen EU-Mitglieder, also auch Tschechien, auf die Zuteilung von solchen Agenturen warten, und besonders viele Gelegenheiten gibt es dazu nicht. Die Europäische Union ist ja schon älter, und die wichtigen Einrichtungen wurden längst vergeben. Deshalb glaube ich, dass Prag ziemlich gute Chancen hat, diesmal den Zuschlag zu bekommen.“

Auch auf EU-Ebene meinen viele, dass die GSA in einem der neuen Mitgliedsländer untergebracht werden soll. Prag hätte dann wohl tatsächlich gute Aussichten. Doch eine Entscheidung ist erst 2009 fällig, und die Konkurrenz ist groß. Beworben haben sich 11 Städte – darunter auch München. Der tschechische Galileo-Regierungsbeauftragter Karel Dobeš:

„München ist natürlich eine Konkurrenz für uns – aber eine so große dann auch wieder nicht. München hat bereits ein technisches Kontrollzentrum. Die Bayern haben nun gesagt: Gut, wir versuchen es! Gleichzeitig aber gibt es bestimmte Abmachungen mit uns und die Bereitschaft zum Kompromiss. Sollte sich zeigen, dass Prag größere Chancen hat, dann wollen die Bayern letztlich uns unterstützen. Und wenn umgekehrt wir sicher wären, dass Prag keine Chance mehr hat, dann wäre es für uns vorteilhafter, die Agentur in München zu haben, und nicht irgendwo weit weg. Rund um so eine Agentur entstehen Beratungsfirmen und technische Betriebe, und das bringt wieder weitere Impulse. Die Agentur selbst beschäftigt 100 oder 150 Menschen. Aber die Infrastruktur rundherum, die bringt den wirklichen Beitrag für die heimische Industrie!“

Wenn die Tschechische Republik die Aufsichtsagentur ins Land holen will, dann muss sie vorher noch Mitglied der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA werden. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, Ende 2008 oder Anfang 2009 soll es soweit sein. Doch selbst wenn die GSA ihre Zelte am Ende nicht in Prag und auch nicht in München aufschlagen sollte: 40 Prozent der Aufträge rund um Galileo sollen in die neuen Mitgliedstaaten gehen. Auch in Tschechien gibt es wohl mit Sicherheit Kuchen.