Der Jazzvirtuose, den die Kommunisten vergessen machen wollten
Musik ist nicht unbedingt ein Thema für unsere Sendereihe Geschichtskapitel. Doch am Saxophonisten und Bandleader Karel Krautgartner, der den tschechischen Jazz sehr beeinflusst hat, ist auch sein Schicksal interessant: Er weigerte sich mehrfach, mit dem kommunistischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten und im Schicksalsjahr 1968 emigrierte er dann schließlich nach Wien. In der folgenden Zeit war er sowohl in Österreich, als auch später in Deutschland aktiv. An einen der größten tschechischen Jazz-Virtuosen erinnern wir anlässlich des Doppeljubiläums, das dieses Jahr begangen wird: der 85. Geburtstag von Karel Krautgartner und sein 25. Todestag.
"Er war bereits 1945, also gleich nach dem Krieg, ein Star. Er war aus Brünn nach Prag gegangen und arbeitete dort bei Karel Vlach als Leiter des Saxophonsatzes. Schon damals als sehr junger Jazzmusiker hat er eine sehr wichtige Position gehabt, die Anerkennung durch seine Kollegen war sehr hoch", sagt der Musikpublizist Vojtech Hueber.
Einer von Krautgartners Kollegen war der Schlagzeuger Pavel Polansky, der später als Paul Polansky Musikchef des Österreichischen Rundfunkprogramms Ö3 wurde. Bewundernd sagt er noch heute:
"Das Orchester von Karel Vlach hat durch den Einstieg von Karel Krautgartner eine völlig neue Dimension bekommen. Für uns Musiker war es schockierend, dass ein einziger Mensch plötzlich solch einen Einfluss auf ein Orchester haben konnte. Er war immer ein Vorreiter, er war immer etwas mehr als alle anderen um ihn herum. Er war ein ganz fantastischer Musiker und später dann ein absolut hervorragender Arrangeur und Komponist."
1956 stellte Krautgartner seine eigene Band zusammen. Bis es dazu kommen konnte, musste er wie alle anderen Jazzer in der kommunistischen Tschechoslowakei eine lange Leidenszeit durchleben. Ihre Musik war bei den Parteibossen verpönt, weil sie westlich war.
"Wir waren sicher nicht die Beliebtesten. Aber nur so lange, bis die Partei feststellte, dass man mit dem Jazz die jungen Leute ansprechen kann und ihnen gleich auch ein bisschen Ideologie einflößen könnte", berichtet Paul Polansky.
Als Karel Krautgartner erstmals mit seinen eigenen Musikern auftrat, war dies ein durchschlagender Erfolg. Krautgartners Hausbühne war das Cafe Vltava in der Prager Revolucni-Straße; immer wieder neue Musiker tauchten in den Formationen auf.
"Dort fing die Karriere von Karel Gott an. Ich kann mich daran noch erinnern. Es war eine Kampagne ´Man sucht junge Künstler´ und Gott ging aufs Podium, stellte sich vor und Karel Krautgartner begleitete ihn", so Polansky.
Doch für einen Menschen wie Karel Krautgartner, den Polansky als leidenschaftlich unabhängig charakterisiert, war die Zeit dennoch schwierig. Mit seiner eigenen Band durfte Krautgartner nur in Ausnahmefällen zu Konzerten ins Ausland reisen. Laut einem Bericht des Magazins "Reflex" versuchte der kommunistische Geheimdienst mehrfach den Musiker anzuwerben. Empört habe er aber abgelehnt. Darauf zog der Geheimdienst laut dem Blatt die Schrauben an. Als der Bandleader und sein Ensemble eines Tages zu einer Auslandsreise aufbrechen wollten, warteten sie vergeblich in den Hallen des Prager Flughafens auf ihre Pässe, die immer erst im letzten Moment ausgehändigt wurden. Noch am darauf folgenden Tag soll Krautgartner seine Band aufgelöst haben - praktisch auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
Dem kommunistischen Regime war es eindeutig genehmer, den aufsässigen Jazzmusiker einzubinden. 1961 wurde ihm die Leitung des neu geschaffenen Tanzorchesters des Tschechoslowakischen Rundfunks angeboten, die er auch übernahm. Es war eine hohe Position und er formte das Orchester nach seinen Wünschen, das dann Jazz bis in die Grenzbereiche zur E-Musik spielte. Der Ruf des Tanzorchesters, das ab 1963 dann Jazzorchester hieß, reichte schon bald über die Grenzen der Tschechoslowakei hinaus. Die Aufnahmen fanden sogar beim Klassenfeind Beachtung, auf das Stück "Mesto v mlze" wurde man zum Beispiel sogar in Amerika aufmerksam.
Trotzdem zögerte Karel Krautgartner keinen Moment, als am 21. August 1968 die Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten den Prager Frühling überrollten, und emigrierte noch am selben Tag mit samt seiner Familie.
"Das waren ganz offensichtlich politische Gründe. Er war ziemlich aktiv während des Prager Frühlings. Und auch vorher schon signierte er die so genannten 2000 Worte; das war so eine Art Manifest gegen die kommunistische Diktatur. Es zwang ihn quasi dazu, sich so zu entscheiden", weiß Vojtech Hueber.
Auch sein Freund und früherer Mitspieler Paul Polansky emigrierte einige Tage später. Er ging nach Wien, wo ihm schon bald der Posten des Ö3-Musikchefs angeboten wurde:
"Fünf oder sechs Tage nachdem ich meine Stelle angetreten hatte, bin ich zu Fuß von mir aus dem dritten Stock hinuntergegangen. Als ich zur Portierloge kam, sah ich einen Menschen mit einem Hut, der mir sehr bekannt vorkam, und bin langsam auf ihn zugegangen. Ich sagte: Ist er das oder nicht? Je näher ich kam, sagte ich: Das ist er. Ich hab ihn von hinten angesprochen und sagte: Servus Karel. Er hat sich umgedreht und wir sind uns in die Arme gefallen. Ich sagte, das gibt´s doch nicht, was machst du da. Und er sagte: Was machst du da..."
Als ihn Paul Polansky im Rundfunkgebäude traf, war Krautgartner gerade der Posten als Leiter des Rundfunk-Unterhaltungsorchesters angeboten worden. Krautgartner hatte bei einem Abendspaziergang den damaligen Leiter des Österreichischen Rundfunks kennen gelernt. Die Karriere des in der Tschechoslowakei höchst angesehenen Jazzmusikers fand so eine unmittelbare Fortsetzung in der Emigration. Aus dem Unterhaltungsorchester, das am Anfang sogar den Namen des neuen Chefs trug, wurde im Laufe der Jahre die ORF Big Band. Allerdings entschied sich der Bandleader noch zu einem weiteren Schritt: Er ging gegen Mitte der 70er Jahre weiter nach Köln, wo er trotz seiner erschöpfenden Musikerkarriere und trotz beginnender Gesundheitsprobleme eine komplette akademische Karriere absolvierte. In derselben Zeit versuchten die neuen Machthaber in der Tschechoslowakei Karel Krautgartner vergessen zu machen. Vojtech Hueber:
"Die damalige kommunistische Leitung des tschechoslowakischen Rundfunks hat sogar seine Aufnahmen im Archiv liquidiert. Keine Aufnahme von ihm erschien mehr."
Die Folgen sind bis heute zu spüren.
"Man darf sich deswegen nicht wundern, dass die junge Generation, leider Gottes auch die jungen Musiker, nicht mehr wissen, wer Karel Krautgartner war. Das würde ich als eine Schande bezeichnen. Das ist, als ob man in Amerika nicht wissen würde, wer Duke Ellington oder Count Basie war. Er war in der Tschechoslowakei genau dieselbe Gründerfigur wie die beiden Amerikaner bei sich."
Karel Krautgartner starb am 20. September 1982 in Köln.