Die Masaryks - Einblicke in das Privatleben einer Präsidentenfamilie
Tomas Garrigue Masaryk gehört wohl zu den bekanntesten Persönlichkeiten der tschechischen Geschichte. Er wurde 1850 im mährischen Hodonin / Göding geboren, noch zur Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Masaryk war Philosoph und Schriftsteller. Nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918 war er der erste Präsident der Tschechoslowakischen Republik. Im heutigen Geschichtskapitel präsentiert Andreas Wiedemann einige Geschichten aus dem Privat- und Familienleben von T.G. Masaryk, die er im Masaryk-Museum in Lany gehört hat.
Tomas Garrigue Masaryk. Häufig wird er einfach nur kurz T.G. Masaryk genannt. Aber woher stammt eigentlich der Doppelname des tschechoslowakischen Staatsgründers? Geboren wurde er im Jahr 1850 als Tomas Masaryk. Der vorangestellte Nachname Garrigue stammt von seiner Frau. Sie hieß Charlotte Garrigue und war Amerikanerin. Wie und wo sich die beiden kennen lernten, erzählt die Historikerin und stellvertretende Direktorin des Masaryk-Museums in Lany Magdalena Mikesova:
"Masaryk kam zum Studium nach Leipzig. Er wohnte bei der Familie Göring und traf dort im Haus Charlotte Garrigue. Masaryk verliebte sich in sie. Man kann wirklich sagen, dass es Liebe auf den ersten Blick war. Charlotte hat Masaryk sehr beeindruckt, weil sie eine unabhängige, emanzipierte und gebildete Frau war. Sie hatte eigene Ansichten über die Welt und die Dinge um sie herum. Beide verbrachten die Abende damit "Die Hörigkeit der Frau" von John Stuart Mill und ähnliche Publikationen zu lesen. Sie fühlten sich immer mehr zueinander hingezogen, aber Masaryk hatte immer noch nicht um ihre Hand angehalten."
Ein ungewöhnlicher Zwischenfall brachte Tomas Masaryk dann dazu, Charlotte seine Liebe zu gestehen und um ihre Hand anzuhalten. Magdalena Mikesova:
"Einmal machten Charlotte und Tomas Masaryk mit der Familie Göring eine Bootsfahrt auf dem Fluss. Als Frau Göring vom Boot steigen wollte, stellte sie sich etwas ungeschickt an und fiel ins Wasser. Masaryk zögerte nicht lange und sprang ins Wasser und versuchte Frau Göring ans Ufer zu holen.""Frau Göring war etwas korpulent, deshalb war das nicht so einfach und Masaryk ist fast ertrunken",
ergänzt der Historiker Frantisek Povolny. Masaryk hatte sich dem Tod sehr nahe gefühlt. Weil ihm das bewusst wurde, entschied er sich, nicht länger zu zögern und Charlotte seine Liebe zu gestehen und um ihre Hand anzuhalten. Das hat er dann auch gemacht. Charlotte war zunächst überrascht und antwortete nicht direkt, aber eine Woche später waren sie verlobt. Bevor aber die Hochzeitsglocken läuteten kam es zu weiteren Hindernissen.
"Charlotte musste kurz darauf nach Amerika. Beide vereinbarten, in einem halben Jahr zu heiraten. Als Tomas Masaryk etwas später an seiner Doktorarbeit saß, erhielt er eine überraschende Nachricht. Charlotte sei schwer verletzt und er müsse schnell nach Amerika kommen. Masaryk brach sofort auf und bestieg in Hamburg das Schiff "Herder". Die Fahrt wurde zu einer Abenteuerfahrt, weil das Schiff in einem schlechten Zustand war. Masaryk kam aber heil in Amerika an. Das Schiff sank auf der Rückfahrt. Masaryk fand Charlotte, sie war am Leben und gesund", sagt Mikesova.
Tomas und "Charlie", wie er sie nannte, heirateten 1878 in den Vereinigten Staaten. Tomas Masaryk stellte den Mädchennamen seiner Frau nach amerikanischem Brauch dem eigenen Nachnamen voran. Von nun an hieß er Tomas Garrigue Masaryk. Das frisch gebackene Ehepaar zog um, und zwar nach Wien. 1879 habilitierte sich Masaryk als Privatdozent für Philosophie an der Universität Wien mit der Arbeit "Der Selbstmord als soziale Massenerscheinung der Gegenwart". 1882 verließen die Masaryks Wien und gingen nach Prag, wo T.G. Masaryk Professor für Philosophie wurde. Tomas und Charlotte hatten drei Kinder Jan, Herbert und Alice. Regelmäßige Familienzusammenkünfte waren bei den Masaryks besonders wichtig, wie Magdalena Mikesova erläutert:
"Familie Masaryk lebte in den Jahren 1896 und 1897 in der Turnovstraße in Prag. In der Familie herrschte eine Sitte, dass sich die ganze Familie abends an einen Tisch setzte, auf dem ein singender, pfeifender Samovar stand, den T.G. Masaryk aus Russland mitgebracht hatte. Vor allem Charlotte achtete darauf, dass sich die Familie traf und dass alle ordentlich angezogen waren. Einmal kam Herbert, der Sohn, und ihm fehlten der Hemdkragen und die Manschetten. Der Vater forderte ihn auf, sich sofort umzuziehen und das zu korrigieren. Herbert machte sich einen Spaß daraus und kam zurück, nur mit dem Kragen und den Manschetten bekleidet. Letztendlich mussten alle darüber lachen."
1918 wurde Masaryk der erste Präsident des neugegründeten tschechoslowakischen Staates. Unmittelbar darauf begann die Suche nach einem geeigneten Sommersitz für die Familie Masaryk. Im Jahr 1921 wurde man im mittelböhmischen Lany fündig. Das dortige Schoss wurde zum Sommersitz des Präsidenten, seiner Frau und seiner drei Kinder. Wie sah ein normaler Tag von T.G. Masaryk in Lany aus, wollte ich von Magdalena Mikesova wissen?
"Ganz genau wissen wir das nicht. Auf jeden Fall unterlag alles einem bestimmten Regime. Jeden Morgan lass Masaryk die Zeitung. Danach arbeitete an seinen verschiedenen Werken. Dann erledigte er die Staatsgeschäfte. Niemals durften die regelmäßigen Ausritte auf dem Pferd und sportliche Übungen fehlen. Alle seine Kinder waren übrigens im Sokol, dem tschechischen nationalen Turnerverband, aktiv. Am Abend folgten dann wieder Staatsgeschäfte. In seiner Freizeit sah Masaryk gerne Filme. Er war ein echter Cineast. Auf dem Schloss in Lany wurde deshalb dreimal pro Woche Filme gezeigt. Den Erinnerungen seiner Sekretärin nach, hat Masaryk die Filme nicht ausgewählt, sondern alles geschaut, ob die Filme ihm gefielen oder nicht."
Masaryks Sohn Jan war seit 1919 im diplomatischen Dienst, seit 1940 Außenminister der tschechoslowakischen Exilregierung und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Außenminister der Tschechoslowakei. Jan Masaryk war ein beliebter Mann. Auch bei Diplomaten, besonders in England. Der Historiker Frantisek Povolny erzählt eine Geschichte aus dem diplomatischen Leben Jan Masaryks:
"In der Nachkriegszeit wurde Jan Masaryk bei den Vereinten Nationen gefragt, auf welcher Seite er kämpfen würde. Es sah nämlich für kurze Zeit so aus, als käme es vielleicht zu einem Konflikt zwischen der Sowjetunion, Westeuropa und den USA. Und Jan Masaryk sagte: Selbstverständlich auf der sowjetischen Seite. Sie waren erschüttert und er wurde noch einmal gefragt und Jan Masaryk antwortete: Selbstverständlich auf der sowjetischen Seite. Können Sie sich eine Gefangenschaft in Sibirien vorstellen? In Amerika wäre die sicher entschieden besser."
Zum Schluss hören wir, was Jan Masaryk selbst über das Familienleben im Haus Masaryk sagte. Die Archivaufnahme stammt aus dem Jahr 1947.
"Das Familienleben bei den Masaryks war wunderschön. Wir haben viel gesungen und ich muss sagen, dass wir gut gesungen haben. Mein Vater hatte ein gutes Gehör und eine gute Stimme. Bei uns wurde beim Mittag- und Abendessen viel diskutiert, über alles und sehr frei. Bei uns Kindern war das manchmal eher etwas dumm. Aber unsere Eltern haben unsere Meinungen respektiert, soweit sie auf richtigen Annahmen basierten. Wenn wir uns aber in irgendeine Diskussion reinritten, dann sagte der Vater kurz: 'So nicht' und weiter: 'Jan, bring mir die Enzyklopädie, Alice hol das Meyer-Lexikon, Herbert, bring mir das Buch über die Kunstgeschichte. Da könnt Ihr herausfinden, wie es wirklich war oder ist. Dann könnt Ihr weiter streiten'."