Radio Freies Europa zieht aus dem Stadtzentrum, Nationalmuseum bekommt neues Gebäude
Wer durch die engen Gassen der Prager Altstadt spaziert oder über die Kleinseite hinauf zur Burg wandert, der erlebt Geschichte zum Anfassen. Vergangene Jahrhunderte erscheinen hier zum Greifen nahe. Geschichtsträchtige Orte gibt es aber auch anderswo, an Plätzen, an denen man vielleicht weniger gerne verweilt. An einen solchen Platz wollen wir uns nun begeben und dabei gleich auch eine Brücke in die Zukunft schlagen: Das Gebäude des ehemaligen föderalen Parlaments, in dem derzeit noch der US-Sender Radio Freies Europa untergebracht ist, soll künftig nämlich dem Nationalmuseum angegliedert werden. Einst ein Zentrum der kommunistischen Macht und dann Knotenpunkt der amerikanischen Informationspolitik im Ausland ist das Haus mittlerweile selbst zum beredten Zeugen seiner Zeit geworden. In wenigen Jahren soll es die museale Funktion auch offiziell erfüllen.
Gleich links vom Museum, an derselben Kreuzung, steht eine bereits etwas in die Jahre gekommene Glas- und Stahlkonstruktion: das Gebäude des ehemaligen föderalen Parlaments der Tschechoslowakei. Mit der Teilung des Landes Anfang 1993 löste sich die gemeinsame tschechoslowakische Nationalversammlung auf, heute dient das Haus als Sitz von Radio Freies Europa.
"Erbaut wurde es Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre. Es errang vor allem aufgrund seiner interessanten Konstruktionsweise einiges Ansehen und war für die damalige Zeit, was die Bauart betrifft, ein durchaus interessantes Werk. Aber in urbanistischer Hinsicht fügt es sich sehr unglücklich in den Raum zwischen Nationalmuseum und Staatsoper ein. Vom städtebaulichem Blickwinkel aus betrachtet ist es also bestimmt ein eher schlechtes Bauwerk", sagt der Architekturhistoriker Zdenek Lukes.
In der Tat: Nationalmuseum, Parlament, Staatsoper und nicht zuletzt der nahe gelegene, einst prunkvolle Hauptbahnhof könnten der weltberühmten Prager Innenstadt einen würdigen äußeren Rahmen verleihen. Doch die weitgehend unsensible Kombination von Baustilen auf engstem Raum und vor allem die zwei Hauptverkehrsadern, die die genannten Gebäude von beiden Seiten umklammern, schaffen hier in erster Linie urbane Tristesse. Verstärkt wird dieser Eindruck noch von den zahlreichen Betonabsperrungen, die aus Angst vor Terroranschlägen auf den Sitz des US-Senders Radio Freies Europa zusätzliche Verwirrung in den ohnehin unübersichtlichen Kreuzungsbereich bringen.
Nun aber könnte dieser urbane Brennpunkt eine Chance auf Neugestaltung und Revitalisierung bekommen: Radio Freies Europa nämlich zieht weg aus dem Zentrum, in den zehnten Prager Stadtbezirk, und das Gebäude des ehemaligen Parlaments fällt dem Nationalmuseum zu. Am Freitag hat Premierminister Mirek Topolanek Museumsdirektor Michal Lukes feierlich den entsprechenden Regierungsbeschluss überreicht. Und Lukes gerät natürlich ins Schwärmen, wenn er darüber nachdenkt, was mit den künftig zwei Häusern alles möglich sein wird:
"Im Hauptgebäude, also dem alten Haus, möchten wir vor allem heimische Dinge, Bohemika, unterbringen. So etwas passt einfach gut in dieses Interieur. Das neue Haus, in dem jetzt noch Radio Freies Europa seinen Sitz hat, möchten wir hingegen als eine Art Fenster zur Welt nutzen. Wir könnten hier etwa unsere außereuropäischen Antikesammlungen ausstellen. Die großen ehemaligen Sitzungssäle des Parlaments, in denen es viel Licht gibt, sind für antike Statuen und dergleichen sehr gut geeignet. Die beiden Gebäude sollen jedenfalls miteinander in Kommunikation treten - in eine Kommunikation des Alten mit dem Modernen. Auf diese Art würden wir am oberen Ende des Wenzelsplatzes ein Museumszentrum schaffen, in dem Tradition und Moderne einander die Hand reichen. Wenn es der Stadt dann noch gelänge, innerhalb von sieben, acht Jahren die Stadtautobahn von hier wegzubringen und damit den Wenzelsplatz wieder mit diesem Areal zu verbinden, dann würde hier ein herrliches Kulturzentrum entstehen, ein Ort zum Innehalten, ein Ort der Künste. Ich glaube, Prag würde sich dadurch weltweit oder zumindest europaweit unter die zehn, fünfzehn Top-Museumsmetropolen katapultieren."In den Jahren 2007 bis 2014 steht aber zunächst einmal die teilweise Renovierung des alten Gebäudes auf dem Programm. Erst danach kann sich das Museum ganz der Nutzung des neuen Hauses widmen. Dennoch wird man bereits in der ersten Phase an die Möglichkeiten denken, die der willkommene Neuzugang auf der anderen Straßenseite einmal bieten wird. Michal Lukes:
"Das alte Gebäude wurde im Jahr 1891 errichtet, und neuere Technologien - etwa im Bereich der Sicherheit, oder für Restaurants, Museumsshops und moderne Ausstellungskonzepte - lassen sich dort nur sehr schwer implementieren. Das Gebäude von Radio Freies Europa hingegen ist großzügig und entsprechend modern gebaut."
Vieles von dem, was zu einem zeitgemäßen Museumszentrum gehört, würde Michal Lukes also gerne im neuen Gebäude unterbringen, das alte könnte gleichzeitig seinen ursprünglichen Charme bewahren. Um beide Häuser für die Besucher miteinander zu verbinden, könnte ein Tunnel errichtet werden, heißt es. Derzeit aber lässt sich nur sehr schwer einschätzen, ob dieser Plan realistisch ist. An der betreffenden Stelle nämlich kreuzen sich zwei U-Bahnlinien, darüber hinaus gibt es hier jede Menge unterirdische Kabel- und Rohrleitungsnetze.
Der Architekturhistoriker Zdenek Lukes ist jedoch, was den Plan eines Zwillingsmuseums betrifft, aus ganz anderen Gründen skeptischer als sein Namensvetter Michal Lukes. Das Gebäude des ehemaligen föderalen Parlaments, sagt er, sei für einen völlig anderen Zweck errichtet worden und nicht so leicht adaptierbar:
"Meiner Meinung nach kann es, pragmatisch betrachtet, hervorragend als Depositar dienen, während das alte Gebäude renoviert wird. Ob es aber danach ebenfalls Ausstellungsräume des Nationalmuseums beherbergen kann, das ist die große Frage. Ich glaube, da müsste wohl erst einmal ein grundlegender Umbau vorgenommen werden. Aber möglich ist es natürlich schon, und wenn man diesen Auftrag einem wirklichen Spitzenarchitekten anvertraut, dann könnte hier vielleicht tatsächlich einmal etwas ganz Neues entstehen."