Im Kloster Gratzen wird für die Zukunft gearbeitet
Die Tschechen zählen zu den am wenigsten religiösen Völkern Europas, und die Kirchen sind hierzulande nur mäßig besucht. In dem Städtchen Nove Hrady/ Gratzen wird jedoch ein Ordensstift zum kulturellen Zentrum der Gegend.
Das Kloster der Servitenbrüder hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Es wurde 1677 in der Zeit der Rekatholisierung Böhmens gegründet. Die meisten Mönche waren Deutsche, die enge Verbindungen zu dem örtlichen herrschenden Geschlecht der Buquoy hielten. Den Mönchen wurde das nach dem Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis: 1945 mussten alle Ordensbrüder die Tschechoslowakei verlassen, und nur zwei Brüder tschechischer Nationalität durften bleiben. Ein weiterer schwerer Schlag kam 1950, als die Kommunisten die Klöster im Land überfielen und alle Mönche verhafteten. Das Gratzener Stift diente in dieser Zeit als Kaserne der Grenzwache. Die Armee zerstörte den ganzen Komplex und musste 1987 sogar in ein neues Objekt umziehen. Der Fall des Kommunismus war zum Glück schon nahe, erzählt Klosterverwalter Michal Navratil.
"1990 kehrte Pater Bonfilius Wagner nach Gratzen zurück, ein Sudetendeutscher, der dort geboren wurde und nach dem Krieg weggehen musste. Damals lebte noch der letzte tschechische Servitenbruder, Pater Kazimir Jindra, der die Erneuerung des Klosters beantragen konnte. Gemeinsam mit Pater Bonfilius und anderen Ordensbrüdern organisierte er die Renovierung der Gebäude. Binnen weniger Jahre verwandelte sich das Kloster in ein Begegnungshaus, das heute allen offen steht. Wir haben sowohl geistliche Veranstaltungen, als auch Konzerte und verschiedene Kurse im Programm. Ein Teil des Klosters dient Pilgern und Touristen, die Südböhmen zu bewundern kommen, als Herberge."
Vor kurzem wurde im Gratzener Kloster eine Keramikwerkstatt eröffnet. Finanziert wurde der Bau unter anderem von der Europäische Union und dem tschechischen Agrarministerium. In der Stadt gab es bisher keine Werkstatt dieser Art, obwohl viele Kinder und Eltern daran interessiert waren. Die Werkstatt heißt Kana - diesen Namen erklärt Ludmila Mackova, eine der Initiatoren der Werkstatt:
"Kana ist eine schöne Geschichte aus den Anfängen des Wirkens von Jesus. Auf einem Hochzeitsfest fehlt plötzlich Wein und die Jungfrau Maria bittet ihren Sohn um Hilfe. Jesus verwandelt sechs große Bottiche Wasser in den besten Wein. Der Gastgeber des Hochzeitsfestes sagt zu ihm: `Jeder bietet zunächst den guten Wein an, und dann bringt er den schlechteren. Aber du hast den besten Wein bis zum Ende aufbewahrt.` Ich finde da Parallelen zu unserer Werkstatt. Beim Töpfern wandelt sich nicht nur der Lehm, sondern auch der Mensch. Er lernt Geduld und Demut, denn das Ergebnis lässt sich niemals voraussagen. Und ähnlich wie Jesus in Kana stehen wir mit unserer Werkstatt am Anfang und möchten uns das Beste bis zum Ende aufbewahren."
Seit der Erneuerung des Klosters ist leider kein neues Mitglied in die Gemeinschaft eingetreten und mit dem herannahenden Tod des letzten Servitenbruders drohte das Stift unterzugehen. Aber Pater Bonfilius sorgte für die Fortsetzung seines Werkes: Im vorigen Jahr hat er eine andere Ordensgemeinschaft nach Gratzen eingeladen und ihnen das Kloster übereignet. Seit dem 1. Oktober 2006 gehört es nicht mehr den Serviten. Nun leben dort zwei Priester und vier Ordensfrauen aus der "Familie der Heiligen Jungfrau Maria". Die Ordensgemeinschaft aus der Slowakei trägt die Tradition in Gratzen weiter. Wer die "Familie der Jungfrau Maria" ist, erklärt Schwester Teresia:
"Unsere Gemeinschaft wurde 1970 in Innsbruck gegründet, wo Pater Bonfilius damals im Servitenkloster lebte. Er kannte die Mitglieder, sie haben alle bei ihm gebeichtet. Letztes Jahr besuchte er unseren Orden in der Slowakei und bat darum, ein paar Leute nach Gratzen zu schicken. Wir werden oft gefragt, wie sich die `Familie der Jungfrau Maria` von den alten, klassischen Orden unterscheidet. Wir gehören zu den neuen kirchlichen Gemeinschaften, die Papst Johannes Paul II. für die neue Evangelisation gegründet hat. Unsere Missions-Stationen findet man in der ganzen Welt - die am weitesten entfernte Station ist in Uruguay. Und ein sichtbarer Unterschied zu den klassischen Orden ist unsere Kleidung: Wir haben keinen Schleier, und als Habit dient uns ein modern geschnittenes, weißes Kleid. Außerdem tragen wir ein Kreuz und einen Ring, das symbolisiert unsere Gottgeweihtheit."
Das Gratzener Kloster beteiligt sich auch an der deutsch-tschechischen Verständigung. Jedes Jahr gibt es in einem nahen Wallfahrtsort ein Treffen der ursprünglichen Bewohner, die nach dem Krieg wegziehen mussten. Tschechische, deutsche und österreichische Künstler geben dort Konzerte. Großes Interesse hatte vor einiger Zeit auch eine Ausstellung über die Familie Buquoy geweckt, der die Stadt Gratzen früher gehörte.