Der lange Weg zum 28. Oktober: die Nationale Gedenkstätte auf dem Vítkov

Jedes Jahr erneut finden am 28. Oktober in Tschechien Feierlichkeiten statt und Kränze werden an verschiedenen Orten niedergelegt. Der 28. Oktober ist tschechischer Staatsfeiertag. Am 28. Oktober 1918 wurde die Erste Tschechoslowakische Republik gegründet. Einer der Orte, an dem der tschechische Präsident jedes Jahr an den Feierlichkeiten teilnimmt, ist die Nationale Gedenkstätte auf dem Vitkov-Hügel in Prag. Andreas Wiedemann macht Sie in unserem Geschichtskapitel mit Geschichte und Bedeutung der Nationalen Gedenkstätte bekannt.

Vítkov-Hügel
Wenn Sie schon einmal in Prag gewesen sind, dann haben Sie sie sicherlich schon einmal gesehen, zumindest aus der Ferne: die gewaltige Reiterstatue von Jan Zizka, die auf einem Hügel im Prager Stadtteil Zizkov steht. Seit 1950 sitzt der hussitische Heerführer auf seinem Ross an der Spitze des Vitkov-Hügels und schaut auf die Dächer der Goldenen Stadt herab. Hinter ihm steht das monströse Gebäude der Nationalen Gedenkstätte. Die Gedenkstätte oder das Denkmal der nationalen Befreiung, wie es auch genannt wurde, ist ein großes aus Granit bestehendes Gebäude, das innen mit Marmor ausgestattet ist. Der Hauptsaal, der Festsaal, ist 21 Meter hoch und hat eine Fläche von über 1200 Quadratmetern. Die Ideen zum Aufbau der Gedenkstätte und der Reiterstatue haben einen unterschiedlichen Ursprung, wurden aber in der Ersten Tschechoslowakischen Republik miteinander verbunden. Ich sprach mit Marek Junek, dem Kurator in der Abteilung für neue tschechische Geschichte im Nationalmuseum, über die Geschichte der Nationalen Gedenkstätte:

"Die Idee zum Aufbau einer Gedenkstätte auf dem Vitkov entstand nach 1918, nach der Gründung der Tschechoslowakei, als es nötig war, an Personen zu erinnern, die sich um die Entstehung der Republik verdient gemacht haben. Das waren die so genannten Legionäre, die an verschiedenen Orten Europas gekämpft haben."

Der Ort, an dem die Gedenkstätte entstehen sollte, war schnell gefunden. Der Vitkov-Hügel ist nach der Burg und dem Vysehrad eine der Prager Dominanten. Nach der Ausschreibung zum Bau einer nationalen Gedenkstätte, die der Architekt Jan Zazvorka gewann, wurde der Baubeginn symbolträchtig in Szene gesetzt, wie Junek erläutert:

"Das war ein symbolisches Datum. Der erste feierliche Spatenstich erfolgte am 28. Oktober 1928 und der Grundstein wurde am 8. November 1928 gelegt. Also einmal am Staatsgründungstag und einmal am Jahrestag der Schlacht am Weißen Berg."

Das Gebäude sollte auch als Grabstätte für Personen dienen, die sich um den Staat verdient gemacht hatten, wie z. B. die Legionäre. Staatspräsident Tomas Garrigue Masaryk sollte ebenfalls auf dem Vitkov bestattet werden. Doch das Staatsoberhaupt entschied sich letztlich anders wie Marek Junek erklärt:

Marek Junek
"Masaryk selbst wollte nicht in der Gedenkstätte beerdigt werden. Er sagte, der Ort sei zu offiziell und zu kühl. Masaryk wollte an einem stilleren Ort ruhen. In seinem Testament äußerte er den Wunsch, auf dem Friedhof in Lany beerdigt zu werden."

Der Rohbau der Nationalen Gedenkstätte war im Jahr 1932 fertig. Es fehlte aber noch die künstlerische Innenausstattung. Die Gedenkstätte sollte am 28. Oktober 1938 feierlich eröffnet werden. Dazu kam es aber nicht. So waren einige Teile immer noch nicht vollendet, aber vor allem bestand nach dem Münchner Abkommen und der damit verbundenen Abtretung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich kein Anlass zum Feiern. In der Ersten Republik wurde somit der 28. Oktober nie an der Gedenkstätte gefeiert. Im März 1939 besetzten die Deutschen die böhmischen Länder und Feiern zur Gründung der Tschechoslowakischen Republik gehörten der Vergangenheit an. Über den Prager Wenzelsplatz marschierte die deutsche Wehrmacht. Während der deutschen Besetzung wurde der Gedenkstätte zunächst keine neue Funktion zugetragen. Nach dem Attentat auf Heydrich 1942 diente sie dann militärischen Zwecken.

"Die Gedenkstätte auf dem Vitkov kam unter die Verwaltung der deutschen Armee, unter die Verwaltung der Wehrmacht und es wurde hier ein Militärdepo eingerichtet", sagt Junek.

Nach dem Krieg musste die Gedenkstätte erst einmal wieder hergerichtet werden. Große Teile der Innenausstattung waren auf verschiedene Orte verteilt, wertvolle Gegenstände eingeschmolzen worden. Feiern zum Staatsgründungstag, also am 28. Oktober, fanden aber wieder nicht statt, wie Junek erläutert:

"An offiziellen Veranstaltungen, die nach 1945 in der Gedenkstätte abgehalten wurden, kann man eigentlich nur die Trauerfeierlichkeiten für Edvard Benes nennen, der nach seinem Tod im Sommer 1948 hier drei Tage lang aufgebahrt war."

Nach der Machtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 fanden jedes Jahr am 28. Oktober zwar wieder Festlichkeiten statt, aber mit einer anderen Ausrichtung:

"In den fünfziger Jahren wurde der 28. Oktober nicht mehr als Tag der Tschechoslowakischen Staatsgründung gefeiert, sondern als so genannter Tag der Verstaatlichung." Das sagt Marek Junek.

Die Kommunisten änderten nicht nur die Feiertage, sondern auch die Funktion der gesamten Gedenkstätte. In Zukunft sollte sie nicht mehr an die tschechoslowakische Staatsgründung erinnern, sondern an den Sieg des Sozialismus. Eine Idee aus der Ersten Republik wurde aber übernommen und realisiert: die Einrichtung eines Mausoleums. Den Gedanken, in der Gedenkstätte Menschen zu beerdigen, belebten die Kommunisten wieder. Als der kommunistische Präsident Klement Gottwald im Jahr 1953 starb, entschied das Zentralkomitee der kommunistischen Partei, die Leiche Gottwalds zu mumifizieren und einen Teil der Gedenkstätte zu seinem Mausoleum umzubauen.

Mausoleum Klement Gottwalds
"Gottwalds Mumie und das Mausoleum waren für die Öffentlichkeit zugänglich und in jedem Jahr kamen ungefähr 300.000 bis 400.000 Menschen", erläutert Junek.

Gottwalds Leiche wurde 1962 eingeäschert. Erstens weil sie zunehmend verfiel und zweitens weil durch den Prozess der Entstalinisierung die Gottwald-Verehrung abnahm. Es wurden noch weitere Kommunisten wie Vaclav Kopecky oder der ehemalige Staatspräsident Ludvik Svoboda in der Gedenkstätte bestattet.

"Nach 1989 wurden alle sterblichen Überreste von hier entfernt und den Familienangehörigen übergeben. Wenn diese kein Interesse hatten, richtete die kommunistische Partei ein Sammelgrab auf dem Wolschaner Friedhof ein. Dort liegen ca. 25 Leute aus der Gedenkstätte, u.a. auch Klement Gottwald und seine Frau, weil ihre Kinder sie nicht wollten", sagt Junek.

Erst nach der Samtenen Revolution von 1989 konnte am Vitkov zum ersten Mal der 28. Oktober als Staatsgründungstag gefeiert werden, über 60 Jahre nach der Grundsteinlegung für die Nationale Gedenkstätte. Die Gedenkstätte befindet sich heute in der Verwaltung des Nationalmuseums. Nach einem Umbau wird sie im Jahr 2009 für die Öffentlichkeit wieder zugänglich sein, aber mit einer neuen Zielsetzung: In Zukunft soll es auf dem Vitkov weniger eine Gedenkstätte und eher ein Kulturzentrum geben, das viele Menschen besuchen. Auf dem Dach der Gedenkstätte soll ein Kaffee entstehen, das einen herrlichen Blick auf die Stadt bieten wird. Ein Problem begleitet die Gedenkstätte auch heute noch, wie Marek Junek verdeutlicht:

"Alle betrachten sie als Mausoleum Gottwalds, als etwas, das erst in den fünfziger Jahren entstanden ist. Wir können immer nur schwer erklären, dass ihre Geschichte in der Ersten Republik beginnt und ihre Wurzeln andere sind. Und das hoffen wir durch die Rekonstruktion und die zukünftigen Aktionen zu ändern."

Foto: Autor