Tschechische Schüler auf den Spuren der Roma-Vergangenheit
Die Geschichte der Sinti und Roma - für viele Menschen in Europa immer noch eine große Unbekannte. Dass dem Holocaust nicht nur Millionen Juden, sondern auch unzählige Sinti und Roma zum Opfer gefallen sind, ist etwa in Deutschland erst seit wenigen Jahren einer breiteren Bevölkerungsschicht bekannt. Daran erinnerte unlängst der deutsche Botschafter in Prag, Helmut Elfenkämper, bei der Eröffnung der Ausstellung "Roma-Holocaust" im Prager Messepalast. Einer Ausstellung, die in den letzten Wochen auch von zahlreichen Schulklassen aus ganz Tschechien besichtigt wurde. Silja Schultheis hat zwei neunte Klassen bei ihrem Rundgang durch die Ausstellung begleitet.
80 Ausstellungstafeln dokumentieren gegenwärtig im Prager Messepalast das Leben und Leiden der Sinti und Roma. Neben Dokumenten zur Rassenideologie der Nazis und historischen Karten mit den Standorten ihrer so genannten "Zigeunerlager" bilden sie vor allem die individuellen Schicksale einzelner Familien ab. Die Schüler des Jan Palach Gymnasiums aus dem nordböhmischen Melnik blicken bei ihrem Rundgang durch die Ausstellung auf Fotos von Jugendlichen in ihrem Alter, deren Eltern und Geschwistern. Ilona Nemcova und Dagmar Dvorakova, Lehrerinnen für Geschichte und Gesellschaftskunde, sind mit ihren Schülern eigens nach Prag gereist, um sich die Ausstellung anzusehen. Sie sei sehr dankbar für die anschauliche Vertiefung des Stoffs, den sie gerade im Unterricht behandle, sagt Ilona Nemcova:
"Die Schüler sind auf diese Ausstellung vorbereitet, denn in der 9. Klasse werden im Geschichtsunterricht der Zweite Weltkrieg und der Holocaust durchgenommen. Und natürlich nicht nur der Holocaust an den Juden, sondern auch der Holocaust an den Roma."
Ein Selbstverständnis, das unter tschechischen Lehrern bislang eher die Ausnahme ist. Viele Kinder hören während ihrer gesamten Schulzeit kein Wort über den Zweiten Weltkrieg im Unterricht. Schuld daran sei vor allem die geringe Zahl an Geschichtsstunden, die sie zur radikalen Auslassung ganzer historischer Epochen zwinge, argumentieren viele Pädagogen. Auch Ilona Nemcova und ihre Kollegin kennen das Problem:
"Natürlich ist die Zeit für Geschichtsunterricht im Lehrplan sehr knapp bemessen. Aber uns ist einfach klar, dass die Geschichte des 20. Jahrhunderts das Wichtigste ist, was die Schüler erfahren müssen. Und deshalb bemühen wir uns, mit dem Stoff so weit wie möglich in die Gegenwart zu kommen. Also, den Zweiten Weltkrieg schaffen wir auf jeden Fall immer im Unterricht."
Nicht nur die Geschichte der Sinti und Roma ist Gegenstand der Ausstellung, sondern auch ihre gegenwärtige Situation in Europa, die vielerorts von alltäglichem Rassismus geprägt ist. Am Jan Palach Gymnasium sei dieses Problem im Unterschied etwa zu mancher deutschen Schule noch nicht akut, sagt Dagmar Dvorakova:
"Zum Glück haben wir diese Probleme bislang noch nicht - das mag auch daran liegen, dass wir ein Gymnasium sind. Und dass wir in einer Kleinstadt wohnen. Aber ich hatte zum Beispiel in einer Klasse schon einmal Skinheads, auf die muss man dann natürlich besonders eingehen. Früher oder später werden wir mit diesem Problem wohl noch mehr konfrontiert werden."
Petra Pejchova und Katka Hokejsova, Schülerinnen der neunten Klasse am Jan Palach Gymnasium, stehen gemeinsam vor einer der Tafeln. Sie fühlen sich von der Ausstellung angesprochen:
"Wir haben in der Schule schon etwas über den Holocaust gelernt, aber vor allem über die Juden. Also, diese Ausstellung sagt uns etwas über die Roma und ihre Meinungen."
Frage: "Es gibt auch einen aktuellen Teil in der Ausstellung, in dem zum Beispiel der Bau einer Mauer zwischen Roma und Tschechen in Usti nad Labem/Aussig vor einigen Jahren dargestellt wird. Wusstet ihr vorher etwas darüber?"
"Ja, ich weiß dass die Roma in unserer Gesellschaft nicht beliebt sind und es ist manchmal schade, weil sie nicht so schlecht sind, wie wir über sie sprechen. Also, diese Ausstellung ist auch in dieser Beziehung sehr wichtig."
"Ich glaube, dass die Mauer dieses Problem nicht löst, weil sie zuerst miteinander sprechen müssen, die Kinder müssen etwas wissen über dieses Problem und da sehe ich die Lösung des Problems. Nur unsere Generation kann mit diesem Problem etwas machen, also wir müssen dieses Problem verstehen. Und diese Ausstellung gibt uns viele Informationen"
Frage: "Sprecht ihr auch zuhause mit euern Eltern über dieses Thema?"
"Nicht so oft, aber meine Eltern meinen auch, wie alle Tschechen, dass die Roma nicht arbeiten wollen und nur Sozialleistungen beziehen wollen. Sie wissen zu wenig. Ich meine, ich spreche mit ihnen über diese Ausstellung und ich glaube, das kann ihnen helfen."
Ähnlich wie Petra Pejchova und Katka Hokejsova meint auch ihre Mitschülerin Andrea Ticha, dass mehr Wissen über die Roma zu mehr Verständnis für die zahlenmäßig größte Minderheit in Tschechien führt:
"Ich meine, wenn junge Leute heute erfahren, wie mit den Roma in der Vergangenheit umgegangen wurde, dann werden sie doch so etwas nicht wieder zulassen."
Milan Benes, ein weiterer Schüler des Jan Palach Gymnasiums, beurteilt das von vielen Tschechen als problematisch charakterisierte Zusammenleben mit den Roma ganz optimistisch:
"Ich denke, bei uns in Melnik ist das schon ganz okay. Für mich sind die Roma ganz normal, und ich denke, die meisten anderen Leute haben sich auch schon damit abgefunden, dass sie hier leben. Das sind einfach Menschen wie wir, die einfach anders denken und andere Gewohnheiten haben."
Die Ausstellung "Roma-Holocaust" ist noch bis zum 16. Juli im Prager Messepalast zu besichtigen.