Putin in Prag
Nach dreizehn Jahren war in der vergangenen Woche zum ersten Mal wieder ein russischer Präsident zu Besuch in Prag. Ein Ereignis, das in Tschechien noch eine Woche später für Schlagzeilen sorgte, weil es zu einer weiteren Eskalation des persönlichen Machtkampfs zwischen Premierminister Jiri Paroubek und Staatspräsident Klaus führte. Der oberflächliche Streit beider Politiker um Planung und Ablauf des Putin-Besuchs überschattete in den vergangenen Tagen leider eine - wie uns scheint - wesentlich interessantere Frage, die von einigen tschechischen Medien reflektiert wurde: wie es eigentlich 16 Jahre nach dem Zerfall des Ostblocks und sechs Jahre nach dem Ende der Jelzin-Ära um das (politische) Verhältnis der Tschechen zum einstigen "großen Bruder" bestellt ist.
"Der Verlauf des Besuchs hat bewiesen, dass Tschechien momentan nicht in der Lage ist, eine ausgewogene Position gegen Russland und den steigenden russischen Einfluss in der Tschechischen Republik einzunehmen. Das hat sich in einer Reihe von außerordentlich zuvorkommenden Gesten gezeigt, zum Beispiel darin, dass Präsident Klaus mit Putin Russisch gesprochen hat - entgegen jeglicher diplomatischer Gepflogenheiten. Immerhin ist Russland heute kein völlig demokratischer Staat und da hätte es eine solche Vielzahl von entgegenkommenden Gesten nicht geben dürfen."
Dass der tschechische Präsident die Verhandlungen mit Putin auf eigene Initiative in russischer Sprache geführt hat, löste in den tschechischen Medien ein starkes, überwiegend negatives Echo aus. Eine solche Anbiederung sei vor allem auch deshalb fehl am Platze gewesen, weil Russland unter Putin eine knallharte Interessenpolitik gegenüber seinen früheren Vasallenstaaten in Mitteleuropa verfolge. Sie biete wenn überhaupt Anlass zur Besorgnis und nicht zu besonderem Entgegenkommen, meint Pavel Masa:
"Nachdem die russische Regierung darüber hinweggekommen war, dass sich die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten nach Europa integrieren, ist ihr bewusst geworden, dass sie eigentlich davon profitieren kann. Und deshalb besteht die Intention Russlands jetzt darin, aus diesen Staaten, darunter auch Tschechien, eine Art nicht direkt Trojanisches Pferd, aber doch eine Plattform zu machen, um die Politik der Europäischen Union von innen heraus beeinflussen zu können. Vor allem dadurch, den russischen Einfluss auf Entscheidungen etwa der tschechischen Regierungen zu verstärken. Und ich beobachte mit einer gewissen Beunruhigung, dass es Russland bislang gelingt, diesen Plan zu realisieren."
Konkretes Beispiel: die Tschetschenien-Frage. Hier habe sich die tschechische Regierung bislang auffallend passiv verhalten, so Masa, und das sei der russischen Regierung natürlich nicht entgangen:
"Dass Putin hierher gekommen ist, war auch ein Zeichen der Anerkennung dafür, dass wir uns im Unterschied zu anderen europäischen Staaten nicht zu sehr einmischen, etwa in die Frage nach den Menschenrechten. Man muss allerdings dazu sagen, dass die konservative Opposition in Tschechien, die ODS, hier einen anderen Standpunkt vertritt und es ist, denke ich, zu erwarten, dass im Falle eines Regierungswechsels sich die ODS in ihrer Haltung zu Russland eher an der Realpolitik Großbritanniens orientieren würde."
Das mit Abstand größte Echo in den tschechischen Medien fand während des Putin-Besuchs eine Äußerung des russischen Präsidenten, in der er Russland eine moralische Verantwortung für die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei im August 1968 zuschrieb. Ob die Tschechen diese Äußerung als Entschuldigung werten sollten oder nicht - darüber herrschten in den Medien unterschiedliche Meinungen: Einige Kommentatoren meinten, de facto kämen Putins Worte einer Entschuldigung gleich, andere betonten, dass das geschehene Unrecht auf diese Weise nicht wieder gut zu machen sei - zumal Putin ganz offenkundig nicht mit der Absicht nach Prag gekommen war, sich zu entschuldigen, sondern erst auf die Frage eines Journalisten zu den Ereignissen von 1968 Stellung bezog. Nach Meinung von Pavel Masa wollte der russische Präsident mit seiner Äußerung eine klare politische Botschaft transportieren:"Der konkrete Sinn dieser Entschuldigung war es zu beweisen, dass befreundete Staaten wie Tschechien oder Ungarn mit entgegenkommenden Gesten wie der jetzigen Entschuldigung rechnen können. Wohingegen Länder, die die Ziele der russischen Außenpolitik komplizieren wie Polen oder die baltischen Staaten, statt Entschuldigungen eher Drohungen hören. Die Entschuldigung für die Okkupation der Tschechoslowakei im Jahr 1968 werte ich eher als einen Fingerzeig für diese Staaten, also für Polen und die baltischen Länder."
Die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei im August 1968 unter Führung der Sowjetunion hatte nicht nur einen Wechsel in der politischen Führung der Tschechoslowakei zur Folge. Er bedeutete vor allem für breite Teile der tschechoslowakischen Gesellschaft einen tiefen Einschnitt. Viele sahen sich nach der Niederschlagung der Reformbewegung des "Prager Frühlings" zur Emigration gezwungen und begannen im Ausland ein neues Leben. Die Gesellschaft in der Tschechoslowakei erlebte in den nachfolgenden zwanzig Jahren der so genannten "Normalisierung" eine Rückkehr zu stalinistischen Methoden und Schauprozessen und eine absolute Stagnation aller Reformbewegungen. Welches Verhältnis hat vor diesem Hintergrund heute, fast 38 Jahre später, die tschechische Gesellschaft zum Russland Vladimir Putins?"Ich würde sagen, dass hier zwar immer noch die Meinung überwiegt, dass gegenüber dem russischen Staat Vorsicht geboten ist. Zugleich aber ist seit der Okkupation der Tschechoslowakei im Jahr 1968 inzwischen viel Zeit und die Verhältnisse in Russland haben sich geändert. Aufrufe zu einer gewissen Härte gegenüber Russland und Appelle an die Wahrung der Menschenrechte verlieren für die Menschen hier an Dringlichkeit. Das lässt sich ganz gut an der Einstellung zu Vaclav Havels Russland-Kritik illustrieren. Seine starke Gereiztheit gegenüber Russland stieß hier unmittelbar nach 1989 sicherlich auf größere Unterstützung als jetzt, wo Havel gemeinsam mit anderen unmittelbar vor Putins Prag-Besuch in einem Brief auf die Lage der Menschenrechte in Russland und das Tschetschenien-Problem aufmerksam machte. Solche Initiativen gehen heute eher unter. Für die meisten Tschechen stellt Russland heute keine unmittelbare Bedrohung für unsere Interessen mehr dar."