Kinderprostitution in Tschechien - zwischen Realität und Medienmythos
Wer mit dem Auto von Deutschland nach Tschechien fährt, kennt die Bilder: Hinter der Grenze drängen sich billige Restaurants und die fliegenden Märkte mit Zigaretten und zweifelhaften Markenprodukten, dazwischen blüht in grell beleuchteten Auslagen oder auf der Straße die Prostitution. Hier könnten die vornehmlich ausländischen Freier auch Sex mit Kindern kaufen, heißt es vor allem in deutschen Medien immer wieder. Kinderprostitution - ein heikles Thema, in Tschechien wie überall. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums hat kürzlich eine Expertenrunde aus Vertreter von Ärzten, Sozialarbeitern und der Polizei in Prag über den kommerziellen Kindesmissbrauch in Tschechien und mögliche Maßnahmen dagegen beraten - und dabei vor allem gezeigt, wie schwierig das Thema zu fassen ist.
Schon die Abgrenzung des Gebietes, das zur Diskussion steht, ist problematisch, betont die Organisatorin der Konferenz, Eva Vanickova von der 3. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität. Kommerzieller sexueller Missbrauch von Kindern umfasst nach der Definition Kinderprostitution, Kinderpornografie und den Handel mit Kindern. Im Einzelnen kann dies jedoch ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen, so Vanickova:
"Man muss sich bewusst machen, dass das allein schon das Phänomen Kinderprostitution eine Vielzahl von Formen umfasst, bis hin zu einmaligen vielleicht sogar freiwilligen Handlungen der Minderjährigen. Trotzdem fällt das unter die Definition, wenn man den Begriff so weit fasst. Aber dabei geht es dann natürlich nicht nur um regelrechte Prostituierte auf der Straße oder in Bordellen."
Kindesmissbrauch, noch dazu vor kommerziellem Hintergrund, ist einer der am stärksten tabuisierten Straftaten. Einzelne aufgeklärte Fällen stehen einer großen Dunkelziffer gegenüber. Wie die Tschechische Republik im europäischen Kontext dasteht, will daher nicht einmal Martin Kloubek von der tschechischen Polizeiakademie abschätzen:
"Solche Vergleiche sind schwer zu ziehen, das wäre sehr vermessen. Sie kennen das selbst: Solche Fälle werden publik, wenn eine Affäre auffliegt, wie etwa der Fall Dutroux in Belgien. Aber das sagt natürlich nichts darüber aus, wie es wirklich aussieht."
Nach Berichten der UNICEF werden weltweit jährlich etwa eine Million Kinder Opfer von kommerziellem Missbrauch. Allerdings: jede Quantifizierung ist eine reine Schätzung. Auch für Tschechien kann Eva Vanickova nur auf Spekulationen verweisen:
Fazit: Kinderprostitution und kommerzieller Kindesmissbrauch ist nicht nur ein Phänomen in Thailand und Bangkok, sondern auch in Europa und Tschechien anzutreffen. Die Szene überzeugend abzustecken, ist aber auch der Expertenrunde nicht gelungen; die Diskussion ging schnell zu allgemeiner Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch ohne kommerziellen Hintergrund über.
Wenn über Kinderprostitution in Tschechien diskutiert wird, dann geschieht das nicht zuletzt mit Blick auf die Grenzgebiete. Das Wohlstandsgefälle an der Grenze zu Deutschland und Österreich hat dort einen besonderen Nährboden für die Prostitution geschaffen. Auch Fälle von Kinderprostitution sind belegt. Den Ruf als Land der sexuell unbegrenzten Möglichkeiten hat sich die Tschechische Republik aber durch einen Bericht der deutschen Sozialarbeiterin Cathrin Schauer eingetragen. Mit der Organisation KARO arbeitet sie seit 1996 in einem Sozialprojekt für Straßenprostituierte in der westböhmischen Grenzstadt Cheb / Eger. 2003 veröffentlichte sie das Buch "Kinder auf dem Strich - Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze". Dort wurden 500 Fälle dokumentiert, auf die Schauer bei Nachforschungen gestoßen sein will. Berichtet wird von Zehn- oder Zwölfjährigen, die sich teils nur für Süßigkeiten prostituieren, von Zeichen in den Fenstern, die Sextouristen den Weg weisen und gar von Säuglingen, die für den Missbrauch angeboten werden.
Während der Bericht international für Aufsehen sorgte, wurde er von tschechischer Seite teils scharf kritisiert. Der Vorwurf: Die Autorin bleibe konkrete Belege schuldig, die Umstände der Beobachtungen würden nicht offen gelegt und die Angaben seien nicht zu kontrollieren. Auch der deutsche Journalist und Tschechien-Kenner Hans-Jörg Schmidt, der unter anderem für die Tageszeitung "Die Welt" seit mehr als 15 Jahren aus Prag berichtet, hält die Vorwürfe für unseriös:"Also wenn dort allen Ernstes behauptet wurde, dass man hier in Tschechien Babys zu irgendwelchen deutschen Kunden durchs Autofenster reicht, dann muss ich sagen: Das ist wirklich ein starkes Stück! Solche Vorwürfe lassen sich in keiner Weise belegen! Auf diese Weise geht die ganze Kompliziertheit des Themas unter und man macht sich unglaubwürdig, wenn man einfach solche Geschichten in die Welt setzt. Interessant ist dabei ja, dass die tschechische Polizei KARO ja mehrfach um konkrete Informationen gebeten hat, aber was Karo an die tschechischen Behörden geliefert hat, hat sich dann als nicht stichhaltig erwiesen."
Nach dem medialen Ansturm, den ihr Bericht ausgelöst hatte, gab Schauer selbst an, dass die Kinderprostitution nun wesentlich versteckter ablaufe: Nun werde man vermutlich gar nichts mehr nachweisen können, sagte sie in einem Interview mit dem tschechischen Wochenmagazin Tyden. Kritiker werfen Schauer allerdings vor, dass sie in dem Bericht die Lage gezielt dramatisiert habe, um der Hilfsorganisation KARO weitere Unterstützung zu sichern. Darauf weist auch Hans-Jörg Schmidt hin:
"Das ist ein seltsamer zeitlicher Zufall, dass dieses Buch zu einem Zeitpunkt herauskam, wo fraglich war, ob KARO weitere Gelder vom Freistaat Sachsen bekommen wird. Das ganze bekommt einen schlechten Geschmack: Man veröffentlicht ein Buch, um zu zeigen: hier ist ein riesiges Problem, und wir brauchen weitere Gelder."
Der Bericht "Kinder auf dem Strich" war vor allem in den deutschen Medien der Startpunkt für eine ganze Reihe von Reportagen aus dem tschechischen Grenzgebieten. Selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien wurde dabei nicht immer sauber gearbeitet, wenn es darum ging, Belege für das vorgebliche Kindersexparadies Tschechien zu finden, erinnert sich der Tschechien-Experte Hans-Jörg Schmidt:
"Dass diese Vorwürfe so nicht stimmen, hat ein Fall bewiesen, der in Tschechien für erhebliche Schlagzeilen gesorgt hat - ein Bericht, den der bayrische Rundfunk für das ARD-Magazin Panorama gemacht hat. Ein Reporter hat in Eger mit versteckter Kamera gefragt, ob er nicht Kinder zum Sex bekommen könnte. Das wurde ihm vorgeblich angeboten, er ist mit in eine Wohnung gegangen und wurde dort von kräftigen Burschen bestohlen: Er ist um sein Handy und eine erhebliche Menge Geld gekommen. Die Kinder waren dabei nichts anderes als Lockvögel. Nur dass dieser Teil des Berichtes den Zuschauern, der auch mit versteckter Kamera aufgenommen worden war, nicht gezeigt wurde. Gezeigt wurde lediglich, dass angeblich die Bereitschaft da war, Kinder für Sex zur Verfügung zu stellen. Und das ist nicht nur unsaubere Arbeit, das ist journalistisch eine bodenlose Frechheit, so etwas zu zeigen und damit den Eindruck zu erwecken, Kinderprostitution sei in Tschechien eine gängige Sache."
Nachdem die tschechischen Grenzgebiete ihren Ruf als Reiseziel für Pädophile erworben haben, hat sich auch der Markt auf seine Weise darauf eingestellt. Das bestätigt auch Martin Kloubek von der tschechischen Akademie der Polizei:
"Nach allem, was wir dazu wissen, besteht in den Grenzgebieten sehr wohl Nachfrage nach Kinderprostitution, vor allem aus dem Ausland. Das, was dort passiert, ist aber letztlich meist keine Kinderprostitution. Die Kinder werden vielmehr nur als Lockvögel benutzt, und dann kommt es zu Raubüberfällen oder Erpressung. Die Prostitution ist dabei zumeist nur vorgeschoben, was natürlich nicht heißt, dass es sie nicht gibt."
Fazit: Kinderprostitution und kommerzieller sexueller Missbrach ist ein Problem, in Tschechien wie in Europa. Aber eines, das in Tschechien andere Formen hat, als es in deutschen Medien oft dargestellt wird.