Neue Anleitung für Lehrer zur Hilfe von vernachlässigten Kindern
Eine „Karte zur Identifikation eines gefährdeten Kindes“ soll den Pädagogen in Tschechien künftig dabei helfen, Fälle von Kindesvernachlässigung oder -missbrauch zu erkennen. Das Bildungsministerium will dieses Dokument noch im August an die Schulen verschicken, damit es den Lehrern zum Schuljahresbeginn am 1. September zur Verfügung steht.
Nach Auffassung von Experten aus dem Bereich der Sozialhilfe werden sich nach den Ferien die Folgen dessen bemerkbar machen, dass viele Kinder den Corona-Lockdown unter schwierigen familiären Bedingungen verbringen mussten. Marie Vodičková, Gründerin des Fonds zum Schutz gefährdeter Kinder, beschreibt ein konkretes Beispiel:
„Eine Mutter war psychisch krank und ging nicht mehr zu den regelmäßigen ärztlichen Kontrollen. Daraufhin ist ihr Kind fast verhungert.“
Dies ist nur einer von vielen Fällen, mit denen Vodičková in den langen Jahren ihrer Tätigkeit zu tun hatte. Am häufigsten werden häusliche Probleme von Kindern in Schulen sichtbar. Dies belegen Daten des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Marie Vodičková kann darum nur begrüßen, dass es für Lehrer eine klare Handreichung geben soll, wie sie ein vernachlässigtes Kind erkennen können. Es würden nämlich im letzten Jahrzehnt auch die Todesfälle durch Kindesmissbrauch zunehmen, so die Sozialarbeiterin:
„Vor 2009 kam es jährlich zu zwei bis drei gewaltsamen Todesfällen in Familien. 2013 waren es sogar 13 Kinder. Im vergangenen Jahr sind fünf Kinder gestorben, im Jahr davor sechs. Dies liegt daran, dass man die Kinder momentan sehr lange in absolut inakzeptablen Verhältnissen belässt, damit sie nicht in ein Heim müssen. Dies hat dann aber eben solche Folgen.“
Die Zahl der aufgedeckten Fälle von Kindesvernachlässigung oder -missbrauch hat sich laut Angaben des Sozialministeriums seit 2009 verdoppelt. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 7500 Ermittlungen geführt. Die neue „Karte zur Identifikation eines gefährdeten Kindes“ könnte zur Aufdeckung weiterer Fälle beitragen. An ihrem Entwurf arbeitet auch die Tschechische Fachgesellschaft für inklusive Bildung mit. Nach Ansichten der Vorsitzenden Klára Laurenčíková hat der Corona-Lockdown die Lage bedrohter Kinder zusätzlich verschlimmert. In den Schulen gäbe es dazu bisher keine klare Vorgehensweise, und die Lehrer wüssten nicht, worauf sie besonders achten sollten, so Laurenčíková:
„Es muss dem vorgebeugt werden, dass die seelischen Probleme, die das Kind durch ein problematisches Verhalten äußert, auch noch mit bestimmten Strafen belegt werden. Wir wollen die Mitarbeiter in Schulen und Beratungsstellen dafür sensibilisieren, dass ein auffälliges Verhalten bei Kindern unterschiedliche Gründe haben kann. Dies können schwierige Lebensumstände sein, wie etwa häusliche Gewalt oder Suchtverhalten.“
Die „Karte zur Identifikation eines gefährdeten Kindes“ wird noch in der Ferienzeit an die Schulen verteilt. Die Lehrer müssten sich dann allerdings erst einmal genauer auf diese neue Aufgabe vorbereiten, bemerkt der Chef der Vereinigung der Grundschuldirektoren, Luboš Zajíc:
„Damit haben wir bisher keine Erfahrungen. Es geht allein darum, ein Problem zu erkennen und zur Überprüfung weiterzugeben. Die Schule an sich wird sicher nicht als Detektei agieren und den Fällen selbst nachgehen.“
Die Autoren des neuen Leitfadens werden seine Anwendbarkeit nach Beginn des neuen Schuljahres mit verschiedenen Einrichtungen in der nordböhmischen Stadt Most / Brüx bewerten. Mit den Erfahrungen und Anmerkungen aus der Praxis soll das Dokument dann noch aktualisiert werden.