"Wie im Himmel." Kurstadt Marienbad steht nun auch deutschen Kassenpatienten offen
Am 1. Mai 2004 sind zehn neue Staaten, darunter auch Tschechien, der Europäischen Union beigetreten. Das Datum gilt gewissermaßen als endgültiger Schlussstrich hinter die jahrzehntelange Teilung Europas. Trotz politischer Krisen ist seither viel die Rede von verschwundenen Grenzen und neuer Gemeinsamkeit. Wie aber sieht es in der Praxis aus? Zahlreiche Länder, darunter Deutschland und Österreich, verschließen ihren Arbeitsmarkt immer noch vor den neuen EU-Bürgern aus dem Osten, an den Grenzübergängen gibt es nach wie vor Personenkontrollen, die politische Integration ist ins Stocken geraten. Dennoch: Viele Bereiche haben auf die neuen Chancen in der EU rasch reagiert. Zum Beispiel das Gesundheitswesen. Bereits mehrere deutsche Krankenkassen finanzieren ihren Klienten mittlerweile Kuraufenthalte jenseits der Grenze, wie etwa im westböhmischen Marianske Lazne, zu Deutsch Marienbad. Gerald Schubert hat sich dort umgehört:
"Wir haben die Kooperation mit deutschen Krankenkassen erst vor kurzer Zeit begonnen. Voriges Jahr haben wir einige Verträge abgeschlossen, also sind wir erst am Anfang. Aber wir hoffen, dass sich diese Kooperation gut entwickelt, und dass künftig noch mehr Gäste über die deutschen Krankenkassen zu uns kommen."
Einer der ersten Vertragspartner war die Hanseatische Krankenkasse, mittlerweile arbeiten die "Marienbad Kur und Spa Hotels" mit verschiedenen Kassen zusammen. Und das mit gutem Grund, sagt Patricie Irlvekova:"Die Produkte, die die deutschen Krankenkassen den Gästen anbieten, sind sehr unterschiedlich. Einige bezahlen nur Vorsorgemaßnahmen, einige gewähren einen Zuschuss für die Wellness- oder Kurangebote, andere wiederum bieten Rehabilitation oder stationäre Programme an."
Aus medizinischer Perspektive gibt es dabei in Marienbad einen recht eindeutigen Schwerpunkt, erklärt Dr. Pavel Knara, Chefarzt im Kurhotel Nove Lazne:
"Ungefähr 85 bis 90 Prozent der Patienten, die zu uns kommen, haben Schwierigkeiten mit dem Bewegungsapparat - also chronische Schmerzen in der Nacken- oder Lendenpartie, in Knien, Hüfte oder Schulter. Die zweite Gruppe sind Patienten mit Nieren- und Harnwegsproblemen, und die dritte Gruppe hat Schwierigkeiten mit den Atemwegen."
Im Unterschied zu den heißen Quellen anderer Kurorte sind die Quellen in Marienbad kalt - dafür enthalten sie umso mehr Kohlendioxid. Angewandt wird dieses in Form von gashaltigen Mineralbädern, trockenen Gasbädern und so genannten Gasspritzen. Chefarzt Knara führt uns durch die einzelnen Stationen im Kurbereich seines Hotels:"Dieses Kurhaus wurde am 1. Juni 1896 eröffnet. Schon im Jahre 1897 war der englische König Edward VII. bei uns auf Kur. Das was damals die mächtigste Person der Welt, so wie jetzt zum Beispiel Bush", sagt Knara nicht ganz ohne Stolz. "Ich zeige Ihnen jetzt die Königskabine, wo er gebadet hat. Das ist die schönste Sehenswürdigkeit in Marienbad!"
Die Königskabine: Ein Baderaum in gedämpftem Halbdunkel, Kacheln aus der Zeit des Jugendstils, in einer Ecke brennen ein paar Kerzen. Dr. Knara erläutert die Einrichtung:
"Hier können Sie die Sesselwaage sehen, auf der König Edward VII. immer gewogen wurde. Und hier drüben ist die Wanne."
Chefarzt Knara lässt das Wasser aus der Leitung plätschern und wendet sich einstweilen einem kleinen Kessel zu, der gleich daneben steht:
"Aus diesem Gerät hier kommt Dampf. Es handelt sich um ein Heizungssystem. Denn wie ich schon gesagt habe: Das Mineralwasser ist kalt, es hat nur etwa 10 Grad, und wir müssen es auf die Badetemperatur von 34 Grad erwärmen. Alle Geräte hier sind historische Originale aus dem Jahr 1896. Die Atmosphäre ist großartig. Wenn Sie sich hier entspannen, dann meinen Sie, Sie sind im Himmel."Eigentlich ist der Himmel gerade besetzt. Aber die Frau aus Deutschland, die in Tücher gehüllt auf einem Ruhebett liegt, hat nichts dagegen, dass wir uns ein wenig umsehen. Sie zählt bereits zu den Stammgästen:
"Ich komme seit vier Jahren nach Marienbad", sagt sie. "Wir sind eine Gruppe von 40 Frauen, und wir fühlen uns hier immer sehr wohl."
Ihren Aufenthalt finanziert sie zwar selbst, doch weiß sie, dass auch ihre Krankenkasse mittlerweile Kuren in Marienbad anbietet:"Ja, seit 1. Juli letzten Jahres. Wir bleiben aber immer nur eine Woche hier, und das wird nicht bezuschusst. Einen Zuschuss gibt es erst bei zwei Wochen Aufenthalt."
Wir verlassen die Kapellenatmosphäre der Königskabine und begleiten Dr. Knara in einen hellen Raum, der ausnahmsweise an ein ganz normales Ordinationszimmer erinnert. Aber der erste Eindruck täuscht. Denn gerade hier stoßen wir auf eine besondere Marienbader Spezialität: Das Gasbad.
"Ungefähr 200 Meter von hier ist die Marienquelle, eine Gasquelle. Das Gas wird bis hierher geleitet. Die Patienten kommen in einen Sack, der unter der Brust zugeschnürt wird, und dann kommt Naturheilgas hinein."
Knara demonstriert, wie der Sack sich aufbläht wie ein Ball.
"Das Kohlendioxidgas geht durch die Haut und bewirkt eine intensive Erweiterung des Gefäßsystems. Es geht mehr Blut zum Gehirn, zum Herz und in die Beine, die Nieren können besser arbeiten, und wir haben auch Erfolge bei der Potenzschwäche."
Nicht ganz so angenehm klingt es, wenn Chefarzt Knara erklärt, was es mit den Gasinjektionen auf sich hat:
"Hier in diesem Behälter ist Naturkohlendioxidgas. Mit einer Nadel applizieren wir es subkutan durch die Haut, zum Beispiel beim Knie, bei der Nacken- und Lendenpartie oder bei der Hüfte. Das wirkt gegen degenerative Erkrankungen. Man kann sagen, dass es sich bei den Gasspritzen um eine Methode aus der Gruppe der Reflextherapie handelt. Sie haben einen ähnlichen Effekt wie zum Beispiel die Akupunktur."
Fast ehrfürchtig wird die Stimme von Chefarzt Knara, als wir die Römerbadabteilung betreten. Mehrere Säulen tragen das mit Mosaiken verzierte Gewölbe, im Hintergrund spielt leise Musik, die Becken sind um die Mittagszeit fast menschenleer. Gleich nebenan befinden sich die Abteilungen für Massagen und Moorpackungen sowie die so genannten Schottischen Duschen.
"Und jetzt werden wir noch ins Wellness-Zentrum gehen. Dort haben wir Sauna, Sanarium, Dampfbäder und Kneipp-Sälchen", sagt Knara.
Auf dem Weg hinaus aus dem Römerbad kommen wir an Krystina vorbei. Die junge Dame ist kein Kurgast, sie ist beruflich hier. Die Annehmlichkeiten, von denen sie Tag für Tag umgeben ist, scheinen aber auch auf sie bereits abzufärben:
"Ich arbeite hier im Eingangsbereich des Römerbades. Hier kümmere ich mich um die Gäste und sorge mich darum, dass sie sich wohl fühlen. Ich bin schon seit über einem halben Jahr hier. Aber auch heute noch sehe ich mich jeden Tag um und genieße die prächtige Atmosphäre. Es ist ein wirklich schöner Arbeitsplatz, über den ich sehr glücklich bin."Ihren Arbeitsplatz verdankt Krystina nicht zuletzt auch den ausländischen Gästen, die mit dazu beitragen, dass die alte europäische Kurstadt längst wieder in neuem Glanz erstrahlt. Und wer sich in Marienbad ein wenig an die Atmosphäre auf Thomas Manns "Zauberberg" erinnert fühlt, der kann das auch auf das internationale Flair des Ortes zurückführen, das nun, nach der großen EU-Erweiterung, auch für Kassenpatienten aus dem Nachbarland offen steht.
Fotos: Linda Pölz |