Bozena Nemcova unter den Rock zu schauen

Die Regisseurin Dagmar Knöpfel hat in Tschechien einen Film über die letzten Tage von Bozena Nemcova gemacht. Die Schriftstellerin wurde nach ihrem Tod in 1862 von Tschechen als Heldin verehrt. Eine Biografie wurde aber nach der Wende noch nicht gedreht. Am 20. Januar 2006 hatte der Film in Prag seine tschechische Premiere. Jan Patera weißt dazu mehr:

Seit November läuft in deutschen Kinos ein Film über die wohl berühmteste tschechische Schriftstellerin Bozena Nemcova. Sein Name: "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern". "Es ist keine Biografie", machte die Regisseurin Dagmar Knöpfel vor der Premiere in Regensburg deutlich. Umso anspruchsvoller ist der Film natürlich für das Publikum in Deutschland, wo die meisten Menschen nicht wissen, wer diese "Bozena Nemcova" eigentlich war. In Tschechien ist Nemcova als Autorin des malerischen Werks "Die Großmutter" ("Babicka") und als Heldin der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts bekannt. Als Zuschauer hat man hier erstmals die Möglichkeit, ihr auch bildlich zu begegnen, und zwar sehr persönlich. Wir sehen sie am Ende ihres Lebens, wo sie sehr leidet, aber zugleich voller Hoffnung ist.

"Sie kämpft darum, schreiben zu dürfen, das ist das wichtigste. Darum flieht sie auch von zuhause, um endlich wieder schreiben zu können, Ruhe zu haben. Sie will aber auch ihre Kinder nicht vernachlässigen. Ich sehe sie einfach als Mensch. Die Situation in einem Zimmer, sie ist krank, hat wenig zu essen, und trotzdem die Kraft zu schreiben und zu arbeiten und es noch besser zu machen und schöner zu machen. Da fühle ich mich als Filmemacherin natürlich verwandt", sagt die Regisseurin Dagmar Knöpfel.

Innerhalb eines Tages im November 1861 schriebt Bozena Nemcova insgesamt drei Briefe, die nie abschickt wurden. Einen dringlicheren Beleg ihrer Einsamkeit kann es wohl nicht geben. Ihrem besten Freund, dem Ethnologen Vojta Naprstek beschreibt sie darin, wie sie von ihrem Mann geprügelt wurde. Sie beschwert sich über ständige Blutungen und darüber, dass sie wenig Kraft für Ihre Arbeit hat. Dann fängt sie aber den Brief nochmals von vorne an und versucht, ihr Unglück anders zu sehen und das Schmerzhafte zu verdrängen. Dagmar Knöpfel verfolgt in der Verfilmung die Briefe ganz wörtlich.

"Ich habe mich an die Briefe gehalten. Das sind die letzten Texte ihres Lebens. Ich kannte Bozena zunächst gar nicht. Ich habe da eine Frau vor mir gesehen, die versucht, ihrem Leben durch Literatur etwas Gutes abzugewinnen. Die Literatur sieht sie als Rettungsanker in einer Welt, in der sie sonst keine Hoffnung hat. Der Älteste Sohn ist gestorben, und um diesen Schmerz überleben zu können, hat sie sich selbst als Trost die Babicka geschrieben. Es ist etwas Ähnliches wie bei den Briefen. Sie versucht, in der Literatur dem schrecklichen zu entfliehen."

Aus dem ersten Brief: "Als ich aus Prag wegfuhr, war ich entschlossen, nie mehr zu meinem Mann zurückzukehren, denn ich habe im letzten Monat so viel von ihm erdulden müssen, und nicht nur ich, auch die Kinder, dass es nicht mehr zum Aushalten war. Kaum war er morgens aufgestanden, fing er an zu fluchen, und er fluchte und zeterte, bis er wegging. (...) Niemand, nicht einmal der vulgärste Knecht, könnte sich solche Flüche ausdenken. (...) Wenn er in der Administration gefragt wurde, warum ich nichts schreibe, sagte er, die wird ihr Lebtag nichts mehr schreiben, sie ist blöd, gehört ins Irrenhaus. Wenn er abends nach Hause kam und mich schreiben sah, löschte er mir die Lampe, es sei nicht meine..."

Der Film ist eine ganz subjektive, unvollständige Darstellung von Bozena Nemcova, ähnlich wie die Briefe. Ihre Sternstunden in den literarischen Salons von Prag wurden nur kurz zitiert. Die Tausenden Menschen, die bei ihrem Begräbnis waren, sehen wir auch nicht. Ihre Liebesaffären wurden nicht ausführlich verfolgt. "Man sieht sie mit zwei Männern. Ich dachte mir, das reicht für eine verheiratete Frau im 19. Jahrhundert", meinte die Regisseurin. Ihren Ehemann Josef Nemec (Bolek Polivka) sehen wir als geldgierigeren Mann ohne Verständnis für Kunst. Er hat aber zugleich seine Frau tatsächlich in die tschechische Gesellschaft eingeführt und wurde selbst während der nationalen Wiedergeburt von der österreichischen Obrigkeit als Patriot verfolgt. Obwohl Bozena mit ihm angeblich nie zufrieden war, neigt man dazu, sich in seinem Fall eine etwa positivere Darstellung zu wünschen. Die Regisseurin gibt darauf eine Antwort.

"Er ist in den drei Briefen subjektiv sehr negativ beschrieben. Aber er ist am Schluss, wo er sie abholt, durchaus nicht negativ, und auch im ersten Teil des Films, der nicht die Briefe behandelt, ist er nicht negativ dargestellt. Ich finde, selbst in den heftigen Szenen, selbst im gröbsten Schlagen, schimmert durch die großartige Darstellungskraft von Bolek Polivka eine gewisse Empfindlichkeit dieses Mannes durch."

Der Film wurde in Tschechien gedreht, außer Corinna Harfouch als Bozena Nemcova sind alle Hauptdarsteller tschechische Schauspieler.

"Es war sehr schön und interessant, in Prag mit den wunderbaren tschechischen Schauspielern zu arbeiten. Auch im Team waren alles Tschechen, vom Kameramann bis zum Komponisten. Wir leben in Europa und es ist wunderbar, dass man solche Projekte machen kann. Vor zwanzig Jahren wäre das nicht möglich gewesen."

Am 20. Januar 2006 hat der Film "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" auch in Prag seine tschechische Premiere, allerdings nur in der deutschen Tonfassung.

"Wenn wir einen Kinoverleiher finden, wird der Film tschechische Untertitel oder eine Synchronisation haben. Wir haben auch tschechische Originaltöne. Also ich würde mich sehr freuen, wenn der Film dann auf Tschechisch läuft. Jetzt können wir das noch nicht machen, weil die deutschen Produzenten keine tschechische Version herstellen können."

Banknote mit Bozena Nemcova
Der Film ist keine Biografie, trotzdem fügt er eine wesentliche Lücke in der tschechischen Kultur. Es wurden bis heute zahlreiche Märchen von Bozena Nemcova verfilmt, selbst die Großmutter tauchte mehrmals auf der Leinwand- zum letzten Mal im Jahre 1971. Nach der Wende gab es aber noch keinen biografischen Film über Bozena Nemcova. Das empfand auch die Schauspielerin Corrina Harfouch bei den Dreharbeiten als Herausforderung.

"Die Tschechen haben noch keinen biographischen Film über Bozena Nemcova zustande gebracht, in der ganzen Zeit, obwohl es eine Ikone ist! Z.B. die Schauspieler, die da mitgemacht haben, haben es sehr begrüßt, dass es endlich passiert. Sie haben es ihren eigenen Leuten fast gegönnt, dass das jetzt von außen kommt, wenn sie es schon die ganze Zeit nicht selber hinkriegen. Dass war sehr spannend, du hast tausend Geschichten gehört, darüber wann das wer schon mal versucht hat, unter welchen Umständen es gescheitert ist, unter welchen Umständen jemand kurz davor war, das zu machen. Es war irgendwie aufgeladen, das ganze Ding."

Dagmar Knöpfel hat sich hier um eine gewisse Anregung gesorgt. Sie sieht ihre Bozena jenseits von ideologischen Prägungen. Sie hat einen Film gemacht, der dass tschechische Publikum ansprechen kann. Obwohl sich die Tschechen vielleicht zunächst schwer damit tun werden, dieser Ikone unter den Rock zu schauen.

Autor: Jan Patera
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