Martin Dzingel über die "Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien"
Was haben der Deutsche Sprach- und Kulturverein Brünn, der Verband der Deutschen in der Region Reichenberg oder der Böhmerwaldverein Krummau gemeinsam? Sie alle sind, gemeinsam mit 20 anderen Verbänden, in der "Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien" integriert. Leiter dieser Dachorganisation ist Martin Dzingel. Am Rande einer Konferenz zu Minderheitenfragen, die jüngst in Prag über die Bühne ging, hat Gerald Schubert sich mit Dzingel unterhalten: Über die jüngste Geste des sozialdemokratischen Premierministers Jiri Paroubek, in der die Verdienste deutscher Antifaschisten für den Erhalt der demokratischen Tschechoslowakei gewürdigt wurden, über die lange Tradition der hiesigen Deutschen, die Dzingel in der Konferenz angesprochen hatte, und darüber, was eigentlich die konkreten Aufgabenbereiche der Landesversammlung in der Gegenwart sind.
"Die deutsche Minderheit hat natürlich eine Jahrhunderttradition - früher in den böhmischen und mährischen Ländern, dann in der Tschechoslowakei und jetzt in der Tschechischen Republik. Die Landesversammlung hat zurzeit ungefähr 5000 Mitglieder. Im Jahr 2001 haben sich bei der Volkszählung rund 38.000 tschechische Bürger zur deutschen Nationalität bekannt. Wir als Dachorganisation koordinieren 23 deutsche Verbände in der Tschechischen Republik und arbeiten vor allem auf den Gebieten Kultur, Bildung und politische Vertretung im Lande."
Gehen wir die drei Bereiche kurz durch: Worum geht es Ihnen in der Kulturarbeit?
"Der Kulturbereich gehört zu den wichtigsten Punkten unserer Arbeit. In unseren Statuten steht, dass wir das Kulturerbe der deutschen Minderheit in Tschechien pflegen möchten. Auf diesem kulturellen Gebiet bewegen sich vor allem die deutschen Verbände in den Regionen. Zum Beispiel gibt es die Kulturtage, die mittlerweile schon zur Tradition geworden sind. Außerdem organisiert die Landesversammlung jedes Jahr ein großes Kulturtreffen der deutschen Verbände."
Wie sieht es bei der Bildung aus? Welche Angebote gibt es hier?"Leider ist es so, dass die deutsche Minderheit in Tschechien sehr zersplittert ist. Das ist unser altes Problem. Wir konzentrieren uns sehr auf Sprachkurse in den einzelnen Regionen. Wie ich schon erwähnt habe, haben wir 23 Verbände, und außerdem haben wir 13 Begegnungszentren. Fast alle diese Zentren bieten auch Sprachkurse an und widmen sich auf diese Art der deutschen Sprache."
Und bei der politischen Vertretung? Worin bestehen da die größten Probleme, und was können Sie dagegen tun?
"Das größte Problem, das sich schon über Jahre hinzieht, ist eigentlich die so genannte humanitäre Geste des tschechischen Staates gegenüber der deutschen Minderheit. Auf dem Gebiet der Politik orientieren wir uns vor allem durch unseren Vertreter im Minderheitenrat der Regierung, wo die Probleme aller Minderheiten besprochen werden. Also auch unsere."
Neulich gab es aber doch eine Geste von Premierminister Paroubek. Haben Sie sich diese Geste anders vorgestellt?
"Wir begrüßen diese Geste von Herrn Paroubek natürlich. Nur leider ist es bei der Aussage in den Medien geblieben. Natürlich ist auch das ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir möchten auch eine Geste, die etwas bedeutet."Also in finanzieller Form?
"Natürlich beschäftigen wir uns auch mit dem finanziellen Aspekt. Aber es gibt auch andere Dinge, zum Beispiel Anerkennung von akademischen Titeln oder auch von Renten, die nach dem Zweiten Weltkrieg gestrichen oder gekürzt worden sind."
Als Vertreter der deutschen Minderheit haben Sie doch einen gewissen Sonderstatus. So unterscheiden sich die Probleme der deutschen Minderheit wahrscheinlich fundamental von denen der Roma-Minderheit. Stehen Sie untereinander alle in gutem Kontakt und koordinieren Sie sich? Oder sind die Unterschiede zwischen den Problemen der einzelnen Minderheiten doch zu groß?
"Bestimmt haben die Minderheiten auch unterschiedliche Probleme. Die eine hat etwa ein größeres soziales Problem, die andere ein historisches. Also sind einige Probleme identisch, andere wieder ganz unterschiedlich. Ich glaube, das ist normal. Es hängt auch davon ab, wie die Minderheit hier vertreten ist oder wie lange sie hier schon lebt."