Jürgen Kögler und die böhmisch-bayrische Equipe-Wanderung

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Vielleicht haben Sie vorige Woche unsere Ankündigung gehört. Am Samstag schließlich war es so weit: Im böhmisch-bayrischen Grenzgebiet ging zum 13. Mal die so genannte Equipe-Wanderung über die Bühne. Was hat es damit auf sich, und wie ist diese Tradition entstanden? Gerald Schubert unterhält sich mit Jürgen Kögler, dessen Vater an der Wiege dieser Idee stand:

Vier Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt liegt in Bayern das Städtchen Furth im Wald. Auf der anderen Seite der Grenze überragt ein Berg die Baumwipfel: Der Cerchov, zu Deutsch der Schwarzkopf. Wer heute von Furth auf den Cerchov wandern will, der kann das ohne größere Umstände tun. Das war aber freilich nicht immer so. Der Further Jürgen Kögler, heute 63 Jahre alt, erinnert sich:

"Als Kind habe ich immer auf den Cerchov hinübergeschaut und mir gedacht: Wenn ich nur einmal auf diesen Berg steigen könnte! Das wäre mein Traum! Dies war aber nicht möglich, weil sich dort eine große tschechische Militärstation befand. Betreten war strengstens verboten. Auch nach Lockerung der Einreisebestimmungen blieb dieses Gebiet gesperrt. Erst nach der Samtenen Revolution 1989 hatte ich dann die Möglichkeit, dort hinaufzusteigen."

Warum Jürgen Kögler bereits als kleiner Junge so sehnsüchtig auf den Cerchov blickte, das hat mit den Geschichten zu tun, die er in seiner Kindheit zu hören bekam:

"Mein Vater, der hier in Furth im Wald geboren ist, hat mir viel vom Cerchov erzählt. Darüber, dass er ein beliebter Ausflugsberg der Further Bevölkerung und auch der Bevölkerung von Domazlice (Taus) war. Er hat dort viele schöne Stunden und Feste verbracht. Es gab dort eine wunderbare Touristenherberge, natürlich mit gutem tschechischem Bier. Und nebenan stand ein Ausflugsturm, der Kurz-Turm, von dem aus man weit ins Land blicken konnte: Weit in die bayrische Seite und weit in die böhmische Seite hinein. Es war also eine Art Verbindungspunkt, wo sich beide Nationen getroffen und ausgetauscht haben."

Jürgen Kögler hat auch selbst tschechische Wurzeln: Seine Großmutter stammt aus der Nähe der westböhmischen Stadt Plzen (Pilsen). Und sein 1917 geborener Vater, so sagt er, hatte seit jeher eine besondere Neigung, sich dem Tschechischen zu öffnen:

"Mit 14 Jahren ist er nach Prag gekommen und hat dort vier Jahre lang bei Verwandten der Großmutter in einem Eisenwarengeschäft den Beruf des Einzelhandelskaufmanns gelernt."

Dabei perfektionierte er, der Vater, sein Tschechisch, und trat sogar dem tschechischen Turnverein Sokol bei.

"In dieser Zeit, das war 1931 bis 1935, hat er Freunde gefunden, mit denen er bis zu seinem Tod die Freundschaft gepflegt und die Verbindung aufrechterhalten hat."

Nach seiner Rückkehr nach Bayern widmete sich Jürgen Köglers Vater auf regionaler Ebene dem tschechisch-deutschen Miteinander:

"Unter anderem war er Mitglied im Tschechischen Touristenverein Domazlice. Er hat dort verschiedene Initiativen gefördert und mit ins Leben gerufen. Gegen Ende seines Lebens hat er die Bürgermedaille von Furth im Wald bekommen, und auch eine Ehrenmedaille der Stadt Domazlice. Meines Wissens die einzige, die einem Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg verliehen worden ist."

Domazlice, zu Deutsch Taus, ist heute die Partnerstadt von Furth im Wald. Die Region lebt, über die tschechisch-deutsche Grenze hinweg, auch historisch und literarisch von einem dichten Geflecht an Beziehungen. So war Jürgen Köglers Vater etwa ein Bewunderer des Schriftstellers Jindrich Simon Baar aus dem nahe gelegenen Klenci, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts lebte und eine Vielzahl von volkstümlichen Romanen schrieb:

"In einem dieser Bücher, es heißt Lusy, steht eine Geschichte von einem jungen Ehepaar namens Kral aus Klenci, das sich sehnlich einen Sohn wünschte. Das Ehepaar hat dafür einen Bittgang von Klenci nach Furth im Wald unternommen, in die Kirche Zum Heiland zur Rast, um dort für einen Sohn zu bitten. Diese Strecke, die das Ehepaar gewandert ist, hat Baar perfekt beschrieben: Die Wege durch den Wald, jeden Felsen, die Wiesen, die Blumen. Das hat meinen Vater so begeistert, dass er gesagt hat: Wir führen diese Wanderung ebenfalls durch! Auf diesen Spuren!"

Mit zwei alten Freunden aus dem Turnverein Sokol hat er diese Spuren ausfindig gemacht. 1992 war das. Im Jahr darauf wurden dazu weitere Freunde und Bekannte eingeladen. Und die Sache zog immer weitere Kreise:

"Inzwischen findet diese Wanderung von Klenci nach Furth im Wald zum 13. Mal statt. Es nehmen immer zirka 200 bis 300 Personen teil. Eine Hälfte sind Tschechen, die andere Hälfte Deutsche. Auf diesen Wanderungen kann man sich viel erzählen. Man kommt sich näher und findet sehr schöne Berührungspunkte."

Auf dem Weg befindet sich unter anderem die Kapelle des Heiligen Prokop, erzählt Jürgen Kögler:

"In der Gründungsurkunde dieser Kapelle, die übrigens ein architektonisches Kleinod ist und viele Besucher aus nah und fern hat, steht ein bemerkenswerter Satz über Deutsche und Tschechen. Sinngemäß: Wenn einem Deutschen ein Wagenrad bricht, dann helfen wir Tschechen ihm, und wenn uns ein Rad bricht, dann helfen die Deutschen uns. So sind wir freundschaftlich miteinander verbunden."

Die Organisation der jährlichen Wanderung teilt sich der Further Jürgen Kögler mittlerweile mit dem Klub der Tschechischen Touristen in Domazlice (Taus). Doch gibt es zwischen den Partnerstädten auch andere Berührungspunkte:

"Hervorzuheben wären die Feuerwehren. Sie bestehen ja meistens aus einfachen Bürgern, und die kommen seit Jahren in freundschaftlicher, kameradschaftlicher Atmosphäre zusammen. Das hat schon in der kommunistischen Zeit begonnen. Es gibt dazu auch einen tollen historischen Hintergrund: 1863 hatten wir einen riesigen Brand in Furth im Wald, bei dem drei Viertel der Stadt abgebrannt sind. Und die erste auswärtige Feuerwehr, die bei uns eingetroffen ist, war die Feuerwehr aus Taus. Das ist unvergessen und heute noch ein Symbol für die beiderseitige Kameradschaft und den Zusammenhalt."

Der Vater von Jürgen Kögler ist voriges Jahr verstorben. Sein Sohn hat die Organisation der jährlichen Equipe-Wanderung gerne übernommen. Denn sie bedeutet für ihn nicht nur eine Erinnerung an die Erzählungen aus seiner Kindheit, sondern vor allem einen Ausdruck der Freude über die wieder geöffnete Grenze:

"Das ist etwas Wunderbares! Wir lagen so lange Zeit buchstäblich am Eisernen Vorhang. Es bestand damals eine unheimliche Furcht. Und jetzt haben wir auf der tschechischen Seite beste Freunde gefunden, die so denken wie wir. Das erfüllt mich mit Zuversicht für die Zukunft. Für unsere Kinder und Kindeskinder bin ich sehr glücklich und froh, dass sich die Entwicklung so ergeben hat."