Verschuldung von Haushalten und Staat in Tschechien liegt unter EU-Durchschnitt
Schulden. Jemandem den Respekt, die Ehrerbietung schulden, das ist in der Regel eine höchst persönliche Sache. Bei diesem Zustand können es die betroffenen Personen möglicherweise auch belassen. Aber Schulden haben bei einer Bank, einer Leasingfirma oder gegenüber anderen Personen, das zieht über kurz oder lang Konsequenzen nach sich. Und wenn ein Staat in Relation zu anderen Ländern im Übermaß verschuldet ist, dann spiegelt sich das zumeist im Lebensstil seiner Bürger wider. Wie es hinsichtlich der finanziellen Schulden zurzeit in Tschechien aussieht, mit diesem Thema befasst sich Lothar Martin im nun folgenden Wirtschaftsmagazin.
Die Tschechen glauben an ihre Zukunft und haben keine Angst, sich zu verschulden. Die hiesigen Haushalte schuldeten den einheimischen Banken bis Ende Juni dieses Jahres insgesamt über 350 Milliarden Kronen (knapp 10,2 Milliarden Euro). Gegenüber dem gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres ist das ein Anstieg von 86 Milliarden Kronen. Diese Zahlen verdeutlichen bereits: Das war nicht immer so. Erst durch die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre durchgeführte Privatisierung der großen tschechischen Banken kam endlich Schwung in das Finanzgeschäft, da die allesamt aus den älteren EU-Ländern stammenden neuen Besitzer dieser Kreditinstitute nun auch das Flair und die Produkte westeuropäischer Prägung im Umlauf brachten. Das bestätigte Radio Prag gegenüber auch der Analytiker der Tschechischen Sparkasse (Ceska sporitelna), Petr Zahradnik:
"Bis zu dieser Zeit verhielt sich die tschechische Gesellschaft sehr abneigend gegenüber einer Verschuldung. Man zog die Ausgabe von Bargeld vor, nur in einem sehr geringen Maße nutzte man Verbraucherkredite. Deshalb mussten die neuen Bankeigentümer auch erst eine sehr breit angelegte Werbe- und Überzeugungskampagne führen, um die tschechische Bevölkerung für die neuen Finanzmöglichkeiten zu begeistern. Diese Kampagne war schließlich von Erfolg gekrönt. Auf der anderen Seite spielten auch die sich ständig verbessernden ökonomischen Verhältnisse in Tschechien eine wesentliche Rolle. Die Verbraucherkredite wurden daher Jedermann zugänglicher. Bis Mitte der 90er Jahre waren die Zinssätze bei uns sehr hoch, insbesondere bei den Verbraucherkrediten, bei denen sie im zweistelligen Bereich nahe der 20-Prozent-Grenze lagen. In der Zwischenzeit hat sich die Inflation in Tschechien stark verringert. Derzeit ist sie eine der niedrigsten in Europa und dementsprechend sind auch die Zinssätze sehr niedrig."
Diese zinsgünstige Situation wird von den tschechischen Verbrauchern weitgehend ausgenutzt. Weshalb und wofür, dazu sagte Petr Zahradnik:"Die Leute bevorzugen es aufgrund dieser Umstände, Kredite und Darlehen aufzunehmen, denn die Verzinsung der Ersparnisse ist weniger attraktiv. Außerdem haben viele Haushalte inzwischen ihre Bonität erhöht, der durchschnittliche Lohn hat sich - umgerechnet zum Euro - in den zurückliegenden zehn Jahren um das Sechs- bis Siebenfache erhöht. Die Leute investieren daher in den Kauf von Immobilen und Wohnungen, oder aber in die Ausstattung dieser, so dass die Nachfrage nach entsprechenden Verbraucherkrediten nach wie vor sehr stark ist."
Petr Zahradnik zufolge stellen die mit 350 Milliarden Kronen angegebenen Schulden nur den Schuldenstand der hiesigen Haushalte gegenüber den Banken dar, mit weiteren rund 100 Milliarden Kronen stünden sie zudem bei Leasing-Gesellschaften und anderen privaten Geldverleihfirmen in der Kreide. Dies sei jedoch kein Grund zu einer makroökonomischen Besorgnis, denn, so Zahradnik:
"Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die tschechischen Haushalte fortlaufend Ersparnisse von 800 Milliarden Kronen gebildet haben. Mit anderen Worten: Das Ausmaß der Verbindlichkeiten der Haushalte ist immer noch eindeutig geringer als deren Ersparnisse."
Eine ausgezeichnete Bilanz also, wenn man laut Zahradnik vergleicht, dass die Ersparnisse der Haushalte in den meisten europäischen Ländern um das Eineinhalbfache über den Verbindlichkeiten liegen. Und wenn man weiß, dass große Nationen wie die USA und Großbritannien in dieser Hinsicht bei einem wesentlich ungünstigeren Verhältnis von nahezu 1:1 liegen. Die finanzielle Situation in Tschechien sei also durchaus noch beruhigend, meint Zahradnik. Doch auch diese Medaille habe zwei Seiten, so der Analytiker:
"Auf der anderen Seite kann man bereits heute in einigen etwas problematischen Regionen in Nordböhmen und Nordmähren feststellen, dass sich viele Leute ihren Schulden gegenüber nicht verantwortungsbewusst verhalten. Auf der Basis von Darlehen ´lösen´ sie ihre prekäre ökonomische Situation und sorgen damit nur für immer weitere Schulden. Sie lösen die Frage der Ratenzahlung mit fortlaufenden Schulden."
Damit ist klar: Auch in Tschechien gibt es mittlerweile eine Reihe von Menschen, die in die Schuldenfalle geraten sind und daher eine fachmännische und psychologische Beratung benötigen. Die wird ihnen auch in überwiegendem Maße gewährt.
So wie die Schuldenlast der hiesigen Haushalte zugenommen hat, so ist auch die Verschuldung des tschechischen Staates vorangeschritten. Laut eines jüngst von der Autorin Lenka Zlamalova in der Tageszeitung "Hospodarske noviny" veröffentlichten Artikels beträgt diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Billion und 70 Milliarden Kronen. Oder umgerechnet: ca. 355 Milliarden Euro. Davon, so Finanzminister Bohuslav Sobotka, habe der Staat knapp 578 Milliarden Kronen für den Einstieg in die Marktwirtschaft aufgewendet einschließlich der darin enthaltenen Kosten zur Entschuldung der Banken. Ja, die von der einstigen ODS-Regierung nicht und daher von dem sie ablösenden sozialdemokratischen Kabinett erst relativ spät privatisierten Banken seien eines der beträchtlichen Finanzlöcher gewesen, die zu diesem Schuldenberg geführt haben. Ein weiterer Grund für ihn aber sei ebenso die viel zu lange von den Sozialdemokraten aufrechterhaltene finanzielle Unterstützung unrentabel gewordener "traditioneller tschechischer Marken" wie Tatra, Zetor, Aero, Nova hut und Vitkovice gewesen, während das anhaltende Haushaltsdefizit vornehmlich durch die von der jetzigen Regierung hinausgezögerten, aber notwendigen sozialen Reformen verursacht werde, urteilt die Autorin. Dieser Kritik kann Finanzexperte Zahradnik zwar zustimmen, aber nur mit dieser Einschränkung:
"Nichtsdestoweniger bin ich nicht sicher, ob der gesamte Umfang dieser Schulden als Verschwendung bezeichnet werden kann. Es ist nämlich erforderlich, 15 Jahre zurückzublicken und darauf zu schauen, in welchem Zustand nach dem Ende der Ära des Kommunismus zum Beispiel die Telekommunikation, die Straßen, die Infrastruktur im Allgemeinen, oder aber das Aussehen der Städte und Gemeinden sowie die Umwelt waren. Für all diese Aufgaben hat der Staat, ob nun direkt oder indirekt in Form von Garantien, Hunderte von Milliarden ausgegeben. Und ich denke, das war kein hinausgeschmissenes Geld."
Trotzdem stellt sich die Frage, ob nicht die hohen Staatsschulden die für das Jahr 2010 geplante Einführung des Euro in Tschechien gefährden könnten. Den Maastricht-Kriterien zufolge darf die Verschuldung der öffentlichen Hand maximal die Höhe von 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes erreichen, doch für die Tschechische Republik gibt Petr Zahradnik auch hier Entwarnung:
"Gegenwärtig bewegen sich die tschechischen Staatsschulden bei nicht ganz 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, d. h., es existieren noch rund 20 Prozent Reserve, innerhalb der man den Euro hierzulande ohne Schmerzen einführen könnte. Zum Vergleich: Der Schuldendurchschnitt der Europäischen Union liegt um die 58 Prozent, jener der Eurozone als solcher bei ca. 68 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die günstige Position Tschechiens relativiert sich jedoch dahingehend, wenn man sich demgegenüber vor Augen hält, dass unser Land nach wie vor in der Phase einer defizitären Haushaltsführung ist. Es wird davon ausgegangen, dass in den nächsten fünf Jahren der defizitäre Umfang des Staatshaushalts bei um die vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt. Und selbstverständlich bedeuten diese vier Prozent im Horizont der fünf Jahre gesehen, dass wir die 60-prozentige Verschuldung relativ schnell erreichen."
Finanzielle Schulden sind also immer relativ zu sehen. Man darf sie nur nicht aus den Augen verlieren.