Legale Migration - offene Chance: Tschechien holt Arbeitskräfte ins Land

Foto: Europäische Kommission
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Die europäische Gesellschaft altert, die tschechische Gesellschaft bildet dabei keine Ausnahme. Seit dem Jahr 2003 versucht ein ambitioniertes Projekt der Regierung in Prag, eine Antwort auf diese demographische Entwicklung zu finden. Noch ist es nicht zu spät, so der Gedanke, die Herausforderungen der Zukunft in den Griff zu bekommen. Etwa die Tatsache, dass heute zwar noch vielerorts mit Arbeitslosigkeit gekämpft wird, morgen aber schon ein Mangel an Arbeitskräften das größte Problem darstellen könnte. Von der Finanzierung des Rentensystems ganz zu schweigen. Der Ansatz der tschechischen Politik: Geregelte Zuwanderung. Dieser Tage tritt das Projekt "Legale Migration" in eine neue Phase. Hören Sie dazu die neue Ausgabe der Sendereihe "Schauplatz" von Gerald Schubert:

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Im Sommer 2003 fiel der Startschuss. Kroatien, Bulgarien und Kasachstan waren die ersten drei Länder, die in das Projekt der tschechischen Regierung aufgenommen wurden. "Aktive Auswahl qualifizierter ausländischer Arbeitskräfte" hieß das damals etwas sperrig. Mittlerweile hat man dem sozialpolitischen Großversuch mit Moldawien und Weißrussland nicht nur zwei neue Staaten, sondern auch einen spritzigeren Namen hinzugefügt: "Legale Migration - offene Chance". Eine Chance soll die geregelte Zuwanderung nicht nur für ausländische Arbeitssuchende sein, sondern auch für die tschechische Gesellschaft selbst. Projektleiterin Vera Ivanovicová:

"Alle Experten wissen: Je früher man beginnt, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, desto besser werden die einzelnen Staaten auf die Zukunft vorbereitet sein. Die Migration kann, auch hinsichtlich der globalen Kommunikation, ohnehin nicht gestoppt werden. Der einzige Weg, sie zu bewältigen, ist daher der Versuch, sie aktiv zu steuern."

Diese Steuerung besteht zunächst darin, dass Bürger der genannten Staaten bevorzugt an inländische Arbeitgeber vermittelt werden. Sind sie erst einmal im Land und haben sie eine Arbeitsbewilligung, dann haben sie auch schneller Anspruch auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung. Zehn Jahre muss man darauf normalerweise warten, Projektteilnehmer könnten sie schon nach zweieinhalb Jahren bekommen. Entstanden ist das Konzept am Ministerium für Arbeit und Soziales. Ressortchef Zdenek Skromach untermauert die Notwendigkeit einer geregelten Zuwanderung mit Zahlen:

"Nach Schätzungen unseres Hauses werden im Jahr 2030 auf dem tschechischen Arbeitsmarkt 420.000 qualifizierte Menschen fehlen. Dabei stimmen unsere Ergebnisse mit denen der verschiedensten demographischen Studien überein, die von unabhängigen Organisationen, Universitäten und dergleichen durchgeführt wurden."


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Am 1. Juli tritt das Projekt nun in eine neue Phase: Zwei weitere Länder sollen aufgenommen werden, und zwar Serbien und Montenegro sowie Kanada. Einer, der künftigen Interessenten bereits jetzt von seinen Erfahrungen mit dem Projekt berichten kann, ist Ulazimir Lebedzeu, ein junger Ökonom aus Weißrussland. In seiner ehemaligen Heimat hat er zunächst Finanzwesen studiert, dann kam er nach Prag. Sein Vater hatte hier einen Geschäftpartner, und so gab es eine gewisse Verbindung zu Tschechien. Lebedzeu lernt zunächst fünf Monate lang tschechisch, dann beginnt er auch in Prag zu studieren. Drei Jahre später macht er hier seine ersten beruflichen Erfahrungen. Heute ist Lebedzeu Direktor einer Handelsgesellschaft, sein Tschechisch ist weitgehend akzentfrei. Aber auch ein wenig Deutsch hat er gelernt. Denn:

"Als es das Projekt noch nicht gab, dachte ich, ich werde nach meinem Studium in der Tschechischen Republik nach Deutschland gehen. Ich wollte dort noch ein Doktoratsstudium machen. Das war mein Plan."

Dass er diesen Plan nie verwirklicht hat, das stört ihn heute nicht im Geringsten. Das Migrationsprojekt der tschechischen Regierung, konkret die Möglichkeit, rasch zu einer Daueraufenthaltsgenehmigung zu kommen, machte ihm die Entscheidung leicht. Und er hat sie auch nicht bereut:

"Ich meine, dass ich dank dieses Projekts nun hier bleiben werde."

Obwohl aber gerade Lebedzeu zu denen gehört, denen der Einstieg auf den tschechischen Arbeitsmarkt durch das Projekt der Regierung bedeutend erleichtert wurde, sagt auch er auf die Frage, was ihm in Tschechien nicht gefällt:

"Die bürokratischen Schwierigkeiten mit dem Visum! Aber ich meine, auch das wird besser."


In den bürokratischen Schwierigkeiten könnte unter anderem auch ein Grund dafür bestehen, warum das Projekt derzeit noch mit einem gewissen Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zu kämpfen hat. Arbeits- und Sozialminister Zdenek Skromach:

Arbeits- und Sozialminister Zdenek Skromach  (Foto: Zdenek Valis)
"Obwohl das Ministerium die Administration des Projekts durchaus im Griff hat, ist die kleine Anzahl der Teilnehmer unser wunder Punkt. Bisher wurden nur 279 ausgewählt. Das heißt, die geplanten Quoten von 300 respektive 700 Personen im ersten und zweiten Jahr werden allem Anschein nach gar nicht ausgeschöpft werden. Als größte Hürde erweist sich die Schwierigkeit, vom Ausland aus eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten. Die überwiegende Mehrheit derer, die sich an dem Projekt beteiligen, besteht daher aus Personen, die ohnehin bereits seit einiger Zeit in Tschechien leben und arbeiten. Das Interesse aus dem Ausland ist demgegenüber aber groß."

Mit anderen Worten: Ganz so leicht ist es auch für Bürger aus den bevorzugt behandelten Staaten nicht, in Tschechien Fuß zu fassen. Denn nach wie vor gilt natürlich: Tschechen und andere EU-Bürger haben auf dem heimischen Arbeitsmarkt Vorrang. Eine Arbeitsgenehmigung für eine bestimmte Stelle darf nur dann ausgestellt werden, wenn derselbe Arbeitsplatz nicht durch einen Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedslandes zu besetzen ist. Die entsprechenden Nachweise zu erbringen schreckt wohl viele tschechische Unternehmer davon ab, sich an dem Projekt aktiv zu beteiligen. Wenn aber der persönliche Kontakt zu ausländischen Arbeitsuchenden einmal hergestellt ist, dann könnte das helfen, diese Barriere zu überwinden, glaubt Minister Skromach:

"Daher haben wir Anfang vorigen Jahres die Internetseite www.praceprocizince.cz ins Leben gerufen. Dort können tschechische Arbeitgeber, die für Arbeitnehmer aus Drittländern freie Plätze haben, mit Interessenten aus den Zielstaaten des Projekts und auch mit ausländischen Absolventen tschechischer Mittel- und Hochschulen in Kontakt treten."

Prace pro cizince, also Arbeit für Ausländer - so der Name der Website. Um diesen Anspruch erfüllen zu können, soll die Applikation auch in technischer Hinsicht laufend verbessert werden, sagt Skromach.


Die tschechische Regierung ist sehr vorsichtig an ihr Projekt "Legale Migration" herangegangen. Nur Schrittweise wurden die bisherigen Staaten aufgenommen, und es wurde auch nicht versucht, die festgesetzten Quoten mit Gewalt zu erfüllen. Der Hintergrund lässt sich wohl am besten mit den Worten "Learning by doing" beschreiben. Es sollten zunächst Erfahrungen mit der Administration gesammelt werden, aber auch mit anderen Bereichen, wie etwa der Eingliederung der ins Land gebrachten Arbeitskräfte in die tschechische Gesellschaft.

Am 1. Januar 2006 steht dann aber ein großer Sprung bevor: Die Ukraine wird in das Projekt miteinbezogen. Also das Land, aus dem es traditionell ein besonders großes Interesse an Arbeit in Tschechien gibt. Arbeits- und Sozialminister Zdenek Skromach:

"Ich habe immer ein wenig Angst davor gehabt, wie dann die Reaktionen sein werden. Aber ich glaube, die Erfahrungen, die wir bis jetzt mit den anderen Staaten gesammelt haben, zeigen uns: Wir können weitermachen."