Weltweit einmalig: Interaktive Karte führt zu Tausenden von Wassermühlen in Tschechien
Rudolf Šimek hat einen bemerkenswerten Beruf: Er weiß genau, wo es auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens einst Wassermühlen gab und heute noch gibt. Die interaktive Karte, die er dazu betreibt, ist übersät mit den kleinen Symbolen. Quer über das Land verteilt sind unzählige Bauwerke oder ihre Überreste zu finden – zumeist als Sehenswürdigkeiten. Einige von ihnen sind aber auch noch in Betrieb.
Auch die beste Mühle macht aus Gerste keinen Weizen. Die tschechische Übersetzung dieses deutschen Sprichwortes ist eine von vielen, die auf der Webseite vodnimlyny.cz zu finden sind. Denn Rudolf Šimek verzeichnet dort nicht nur die Standorte der Wassermühlen. Als Molinologe erforscht er auch die technischen Aspekte dieser Bauten sowie die Lebensart und Kultur rund um das Müllerhandwerk:
„Molinologie ist ein Fachbereich, der sich mit den Mühlenbauten beschäftigt, mit ihrer technischen Ausstattung sowie der Betriebs- und Antriebstechnologie. Es geht außerdem um die Entwicklung der Müllerei an sich, um geschichtliche Meilensteine, gesellschaftliche Zusammenhänge und vor allem um die Mühlen-Kultur. Dies berücksichtigt Mühlen jeglicher Antriebsart, angefangen von Menschenkraft und Zugtieren über Wasser und Wind bis hin zu Dampf und Benzinmotor.“
Bei jedem neuen Aufruf der Webseite erscheint ein weiteres Mühlen-Sprichwort. Zudem ist der Begleittext zur interaktiven Karte in zehn Sprachen verfügbar. Denn Jede und Jeder kann dort einen Eintrag vornehmen. So sind seit 2012 über 10.000 erhaltende oder verschwundene Mühlen in Tschechien erfasst worden. Mit diesem Reiseführer ist es kaum möglich, mehrere Kilometer im Land zurückzulegen, ohne auf einen Ort zu treffen, an dem einst ein Mühlenrad geklappert hat. Und manche klappern bis heute:
„Bei etwa 80 von ihnen ist die ursprüngliche Funktion, also das Mahlen von Getreide, erhalten geblieben. Weitere 700 Mühlen dienen heute der Erzeugung von Strom. Aus der Datenbank wird eine erschreckende Zahl ersichtlich: Etwa 4000 Mühlen existieren heute nicht mehr. Ihre Vernichtung geht hauptsächlich auf die 1950er Jahre zurück, aber auch auf andere historische Perioden – wie etwa den Dreißigjährigen Krieg. Viele Mühlen verschwanden auch unter der Wasseroberfläche von Stauseen und ähnlichem.“
Unter den erhalten gebliebenen Mühlen finden sich historisch wertvolle Baudenkmäler. In der großen Renaissance-Mühle in Slup / Zulb bei Znojmo / Znaim ist zum Beispiel eine Ausstellung zur Müllerei zu sehen. Oftmals bieten auch Freiluftmuseen den Blick in die Herberge eines Müllers. So etwa in Veselý Kopec zwischen Pardubice / Pardubitz und Žďár nad Sázavou / Saar. Diese Museumsmühle liegt Šimek besonders am Herzen, da sie – nach seinen Worten – vom Nestor der Molinologie, Luděk Štěpán, gegründet wurde.
Und noch einen Tipp hat Šimek:
„In der Datenbank gibt es sogar nationale Kulturdenkmäler. Dazu gehört etwa die Janat-Mühle im nordböhmischen Buřany. Sie besteht aus einem zweistöckigen Fachwerkbau, in dem die Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik stehengeblieben ist. Alles ist dort so erhalten, wie es die Müller in den 1950er Jahren zurückgelassen haben, einschließlich der kompletten Technologie. Dies ist ein Kulturdenkmal auf dem Niveau der Burg Karlštejn.“
Zu seinem professionellen Interesse passt Šimeks Faible für die bereits erwähnten Sprichwörter. Gemeinsam mit seiner Frau notiert er alles, was es weltweit an Mühlen-Weisheiten gibt. Mehr als 1000 solcher Redewendungen seien so schon zusammengekommen:
„Durch diese Sprichwörter erfahren wir, wie man in den verschiedenen Ländern einst über die Müller gedacht hat. Im benachbarten Deutschland zum Beispiel galt dieses Handwerk als betrügerisch und stand auf einer Ebene mit Henkern oder Prostituierten. Die dortigen Redewendungen stellen die Müller oft als Diebe dar.“
Der Müller als lebende Zeitung
Auch aus den böhmischen Ländern sind Darstellungen davon überliefert, wie unlautere Müller im Mittelalter öffentlich bestraft wurden. Dies ging so weit, dass der zum Sterben Verurteilte in einem Korb von der Karlsbrücke herabgelassen und ertränkt wurde.
Andererseits, so gibt Šimek zu bedenken, musste ein Müller breit gebildet sein. Er war ein Fachmann sowohl für Lebensmittel als auch für den Mahlprozess. Zudem hätten viele ihre Mühlen selbst aufbauen und reparieren können, so der Molinologe:
„Zu Zeiten der nationalen Wiedergeburt wiederum wurden Müller als Unterstützer des Fortschritts und der tschechischen Sprache angesehen. Das kommt daher, dass ein Müller innerhalb eines Dorfes die Funktion einer Zeitung hatte. Die Arbeiter, die von Mühle zu Mühle zogen, um dort auszuhelfen, brachten immer auch viele Neuigkeiten mit. Die Leute erfuhren also als Erstes vom Müller, was sich wo ereignete.“
Vor allem kauften die Leute beim ihm aber ihr Mehl. In Mühlen seien jedoch noch ganz andere Materialien als nur Weizen oder Roggen verarbeitet worden, fährt Šimek fort:
„Das Mahlen von Getreide oder auch das Sägen von Holz waren die häufigsten Nutzungszwecke. Wir wissen aber auch von Dutzenden Hammer- oder Pochwerken zum Zerkleinern von allem Möglichen, zum Beispiel von Erz. Dieses Gestein konnte ebenso zermahlen werden, etwa in Golderzmühlen. Mit der Chemieindustrie gewannen im 19. Jahrhundert die sogenannten Spodiumfabriken an Bedeutung. Dort wurden Knochen gemahlen und zu Düngemitteln verarbeitet. Es gab wirklich viele Nutzungsformen.“
In einer Mühle leben
Als Molinologe aus Leidenschaft lebt Rudolf Šimek selbst in einer der ältesten erhaltenen Mühlen Tschechiens. Der mit Holzbalken durchzogene Bau mit dem tief reichenden Dach befindet sich im Dorf Bláhova Lhota nicht weit von Příbram. An einem der spätgotischen Portale ist eine nicht mehr genau lesbare Zahl erhalten, die auf das Jahr 1507 oder 1509 verweist. Damit sei die Mühle eines der ältesten erhaltenen Objekte in der Datenbank, berichtet ihr Bewohner stolz:
„Wenn ich jemanden durch unsere Mühle führe, bezeichne ich sie immer als Roggen-Barock. Das Gebäude stammt aus der Barockzeit. Es ist recht kompliziert, in einer Mühle zu leben. Bei uns nimmt die Technologie nämlich zwei Drittel des Objektes ein, und nur in einem Drittel ist Platz zum Wohnen. Der Mühlraum kann nicht beheizt werden, und wir laufen ständig zwischen den Etagen hin und her. Mit den Denkmalschützern haben wir keine Probleme. Ich habe den Bau selbst zum Kulturdenkmal erklären lassen, damit das, was ich hier aufbaue, später nicht wieder vernichtet wird. Da ich mich selbst dem Denkmalschutz, volkstümlichen Bauten und Mühlen widme, will ich alles so erhalten, dass sowohl die Ämter als auch ich selbst zufrieden sein können. Ich nutze also nur traditionelles Handwerk.“
Von einer ähnlich alten Mühle weiß der Experte noch in Nové Dobrkovice bei Český Krumlov / Krumau. Genau kann diese zwar nicht mehr datiert werden. Aber ihr Getreidespeicher hat einen gotischen Dachstuhl, und an der Mühlenfassade findet sich ein Renaissance-Graffito mit zwei kämpfenden Hähnen.
Wer sich durch die reiche Wassermühlen-Datenbank klickt, findet sicher immer ein interessantes Objekt ganz in der Nähe, wo immer er sich in Tschechien gerade aufhält. Die interaktive Karte wird ständig erweitert, und Šimek freut sich über jeden Beitrag und Hinweis. Willkommen sind auch Fotos, Pläne oder zeitgenössische Postkarten, die hochgeladen werden können. Schon jetzt kann die Webseite mit ihrer Fülle an Informationen aber als weltweit einmalig bezeichnet werden.
Die interaktive Karte und alle Informationen sind zu finden unter vodnimlyny.cz. Jedes verzeichnete Objekt kann mit einem Klick auf „doplnit kartu“ durch Fakten oder Fotos ergänzt werden.