Max-Planck-Gesellschaft fördert junge Wissenschaftler in Tschechien

Helena Reichlová

Herausragende Forschende am Anfang ihrer Karriere – die will das Max-Planck-Institut nun auch hierzulande fördern. Denn das Dioscuri-Programm kommt nach Tschechien. Warum fördert eine deutsche Forschungsorganisation aber Wissenschaftler im Ausland? Und was bedeutet die Förderung für Tschechien?

Foto: Max-Planck-Gesellschaft/ Tschechisches Bildungsministerium

Mit einem neuen tschechisch-deutschen Wissenschaftsprogramm sollen herausragende junge Forschende in Tschechien gefördert werden. Dafür werden hierzulande die sogenannten Dioscuri-Zentren gegründet. Fünf solche Zentren sind zum jetzigen Zeitpunkt geplant, eins wurde bereits eröffnet. Die deutsche Max-Planck-Gesellschaft hat 2017 das Projekt initiiert. Steffi Heinecke ist dort für das Dioscuri-Programm zuständig.

„Das Programm haben wir nach dem Modell der Max-Planck-Arbeitsgruppen entwickelt. Dabei geht es darum, Forscher und Forscherinnen zu identifizieren, die Ideen haben und gerne ihre Forschung beginnen möchten. Das können sie bei uns mit einer eigenen Gruppe. Diese hat ein Budget, mit dem man Personal anstellen und Forschung betreiben kann – unabhängig von Senior Scientists, also leitenden Forschenden. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können dort dem folgen, was sie interessiert. Das möchten wir gerne auch in Mittel- und Osteuropa etablieren.“

Etwa 10 bis 15 Mitglieder hätten diese Teams, führt Heinecke weiter aus. Dabei würden explizit junge Forschende gefördert. Maximal 15 Jahre dürfe es her sein, dass die Gruppenleiter ihren Doktortitel erworben hätten. Meist seien es acht bis zwölf Jahre, sagt Heinecke. Die Max-Planck-Gesellschaft hat schon in Polen Erfahrungen mit dem Programm gesammelt. Dort gibt es bereits acht Dioscuri-Zentren.

In Tschechien freut man sich über die Zusammenarbeit. Professorin Radka Wildová ist Ministerialdirektorin für Hochschulwesen, Wissenschaft und Forschung am tschechischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Sie sagt:

Radka Wildová | Foto: Tschechisches Bildungsministerium

„Die Max-Planck-Gesellschaft ist eine renommierte Forschungsorganisation, die sich der Förderung wissenschaftlicher Erkenntnisse in verschiedenen Disziplinen widmet. Forscher der Max-Planck-Gesellschaft haben eine beträchtliche Anzahl an Nobelpreisen erhalten. Deswegen freuen wir uns, dass Tschechien das zweite Land nach Polen ist, in dem das Dioscuri-Programm implementiert wird. Wir schätzen die Zusammenarbeit sehr.“

Drei Zentrumsleiter wurden bereits ausgewählt. Es sei eine große Bereicherung für die tschechische Wissenschaft, dass diese Forschenden sich hierzulande niederlassen würden, sagt Wildová. Und weiter:

„Nicht nur die Stelle des Zentrumsleiters ist attraktiv. Jedes Dioscuri-Zentrum bietet auch Arbeitsplätze für andere qualifizierte Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Diese tragen dann zur spezialisierten Forschung bei und sind deswegen wichtig für die tschechische Wissenschaft. Das Dioscuri-Programm eröffnet umfassende Möglichkeiten für internationale Kooperation und Wissensaustausch – nicht nur zusammen mit den Max-Planck-Instituten und Partnern aus Deutschland. Es bietet zudem neue Möglichkeiten für internationale Forschungsprojekte. Das Programm nutzt daher nicht nur der tschechischen Wissenschaft, sondern sogar ganz Europa.“

Energieverbrauch im Fokus

Das erste Zentrum wurde bereits dieses Jahr eröffnet. Leiterin ist die Physikerin Helena Reichlová. Sie hat zuvor als Gastprofessorin in Dresden gelehrt. Ihren Doktor hatte sie an der Karls-Universität gemacht. Sie und ihr Team forschen dazu, wie der steigende Energieverbrauch des IT-Sektors verringert werden kann. Nachhaltigkeit und Umweltthemen seien ihr immer schon wichtig gewesen, sagt die Forscherin in einer Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft. Ihre Forschungsgruppe ist an das Institut für Physik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften angebunden. Luděk Kos, Mitarbeiter des tschechischen Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport, erläutert:

„Das erste Zentrum konzentriert sich auf Spin-Kaloritronik und Magnonik und wurde am 1. Oktober 2023 eröffnet. Die Leiterin Helena Reichlová ist ein perfektes Beispiel dafür, nach wem wir für die Leitung dieser Zentren suchen. Sie ist eine herausragende Nachwuchswissenschaftlerin, die mehrere wichtige Preise gewonnen hat. Sie hat in Deutschland und den USA gearbeitet und ist nun nach Tschechien zurückgekehrt.“

Gefördert wird Reichlovás Zentrum zunächst für fünf Jahre mit 1,5 Millionen Euro. Kos erläutert:

Max-Planck-Institut in Berlin | Foto: Archiv von Max-Planck-Institut

„Die Finanzierung der Dioscuri-Zentren kommt von beiden Seiten, aus dem deutschen und dem tschechischen Staatshaushalt. Nicht nur das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport finanziert das Programm, sondern auch das deutsche Ministerium für Bildung und Forschung. Diese Art der Förderung ist einzigartig in Tschechien und erlaubt uns, insgesamt fünf Zentren zu eröffnen. Jedes Zentrum wird mit bis zu 300.000 Euro pro Jahr gefördert – zunächst für fünf Jahre. Sehr attraktiv ist auch das Gehalt der Zentrumsleiter, das bis zu 100.000 Euro pro Jahr betragen kann. Das macht das Programm kompetitiv und einzigartig in der Wissenschaftslandschaft Tschechiens.“

Das Besondere dabei: Auch die Gelder aus Deutschland fließen vollständig nach Tschechien. Eine weitere Besonderheit sei die langfristige Förderung, erläutert Heinecke von der Max-Planck-Gesellschaft.

„Die Zentren werden für fünf Jahre ausgeschrieben. Bei positiver Evaluation können es fünf weitere Jahre werden. Es handelt sich um eine Projektförderung, aber eine mit einer viel langfristigeren Perspektive. Für fünf beziehungsweise zehn Jahre werden die Zentren beidseitig finanziert. Das heißt die Hälfte des Budgets kommt aus Deutschland und die andere Hälfte aus Tschechien. Danach werden die Zentren verstetigt. Das ist zumindest die Idee des Programms. Alle Leiterinnen und Leiter haben eine langfristige Perspektive an der gastgebenden Einrichtung.“

Barbora Špačková | Foto: Aykut Argun,  Institut für Physik,  Tschechische Akademie der Wissenschaften

Die gastgebenden Einrichtungen stellen den Leitern außerdem schon während der Förderung die Infrastruktur zur Verfügung, etwa das Labor oder die Büroräume. Für drei der Zentren sind die Leiter bereits ausgewählt, die zwei weiteren würden in einer kommenden Ausschreibung im Herbst 2024 hinzukommen, so Heinecke. Das Institut für Physik nimmt nicht nur Helena Reichlová auch, sondern auch Barbora Špačková, die zuvor in Schweden gearbeitet hat und nun das Dioscuri-Zentrum für Einzelmolekül-Optik gründet. Der dritte Zentrumsleiter, Peter Fabian, eröffnet sein Zentrum für Stammzellbiologie und Stoffwechselkrankheiten an der Masaryk-Universität in Brno / Brünn. Er arbeitet bereits an der dortigen Universität, hat aber zuvor in den USA geforscht.

Obwohl die drei Leiter an tschechische Institute angeschlossen sind, seien sie unabhängig von ihnen, betont Heinecke. Sie könnten über ihr eigenes Budget verfügen und selbst entscheiden, welche Art von Forschung sie betreiben, welche Mitarbeitenden sie einstellen oder mit wem sie kooperieren.

Peter Fabian | Foto: Markéta Křížová,  Masaryk-Universität in Brno

„Diese Unabhängigkeit schon relativ früh zu fördern, das ist bei Max-Planck-Instituten sehr wichtig und funktioniert gut. In Mittel- und Osteuropa – also auch in Tschechien – ist das aber noch etwas fremd. Dort gibt es oft eine klassischere Karriere in den etablierten Hierarchiestufen. In dem Programm bekommen diese Leute schon am Anfang ihrer unabhängigen Karriere die Mittel, die Möglichkeiten und die internationale Unterstützung, um ihre Forschung eigenständig zu betreiben“, erläutert Heinecke.

Gegen den Brain Drain

Die Max-Planck-Gesellschaft wolle mit dem Dioscuri-Programm die Forschung in Europa stärken. Es sei dafür wichtig, dass alle Länder das gleiche wissenschaftliche Exzellenz-Niveau hätten, sagt Heinecke. Und weiter:

„Es ist natürlich klar, dass es da immer Unterschiede geben wird. Gut 30 Jahre nach den Transformationen in Mittel- und Osteuropa schneiden diese Mitgliedsländer vor allem bei exzellenter Forschung und Grundlagenforschung deutlich schlechter ab. Das ist leider auffällig.“

So würden Forschende in diesen Ländern etwa seltener Förderungen des European Research Councils erhalten. Daher müsse wissenschaftliche Exzellenz besser über Europa verteilt werden, sagt Heinecke. Das Dioscuri-Programm soll dabei unter anderem den sogenannten Brain Drain verringern. So nennt man es, wenn hochqualifizierte Forschende bestimmte Regionen verlassen und in andere abwandern. Heinecke sagt:

„Unser Ziel ist es, Leute in die Region zu holen oder zurückzuholen, die sonst ihre Forscherkarriere in den USA, in Großbritannien oder in Nordwesteuropa verbringen würden. Wir wollen dieses Angebot attraktiv genug machen, damit sich diese Forschenden auch in Tschechien oder Polen unter ähnlichen Bedingungen entfalten können.“

Tschechien sei nach Polen der logische zweite Schritt gewesen für das Dioscuri-Programm, erläutert Heinecke. Denn das Land habe bereits einige sehr gute und international sichtbare Forschungsorganisation. Außerdem seien die deutsch-tschechischen Wissenschaftsbeziehungen schon viele Jahre erfolgreich. Die Max-Planck-Gesellschaft selbst wolle diese Beziehungen mit ihrem Programm stärken und habe auch Interesse an deutsch-tschechisch-polnischer Kooperation. Außerdem verbinde sie sich so mit herausragenden jungen Forschenden, so Steffi Heinecke.

Die Bewerbung für eine Stelle als Zentrumsleiter ist ziemlich aufwändig. 30 Bewerbungen habe es in der ersten Ausschreibung in Tschechien gegeben, sagt Heinecke. Um sich bewerben zu können, bräuchte man bereits Kontakt mit der gastgebenden Institution in Tschechien. Außerdem müssten die Bewerber einen Partner aus Deutschland haben, einen erfahrenen Wissenschaftler. Dieser unterstützt die Leiter nicht nur bei der Bewerbung, sondern auch während der Laufzeit des Projekts, etwa bei der Beantragung von Drittmitteln.

„Wie genau das Verhältnis ausgestaltet ist, obliegt den Zentrumsleiter*innen. Das heißt, sie können mit dem Partner etwa gemeinsame Forschungsprojekte starten. Das haben wir schon gesehen bei einigen bereits bestehenden Dioscuri-Zentren. Da werden etwa Forschungsdaten im Labor des deutschen Partners erhoben und dann von den Dioscuri-Zentren ausgewertet und weiterverarbeitet. Es sind auch gegenseitige Besuche der Doktorand*innen oder Forschungsaufenthalte möglich.“

Ausgewählt werden die Leiter in einem dreistufigen Prozess. Zunächst bewertet das sogenannte Dioscuri-Komitee die Bewerbungen, dann werden Gutachten von Experten aus den betreffenden Forschungsfeldern eingeholt. Zuletzt müssen sich diejenigen Bewerber, die in die Endauswahl gekommen sind, noch persönlich vorstellen. Die drei Leiter der tschechischen Dioscuri-Zentren haben also ein aufwändiges Bewerbungsverfahren hinter sich. Dafür können Sie nun an den Themen forschen, die sie faszinieren.