Nordmähren

Willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer. Vor einem Jahr haben wir unsere Serie über folkloristisch interessante Regionen der Tschechischen Republik begonnen. Wir reisten damals in den äußersten südöstlichen Winkel Tschechiens, in die Mährische Slowakei. Heute, in der letzten Folge werden wir wieder eine lange Reise unternehmen: Unser Ziel ist der Norden Mährens, der heute vor allem der Industrie geweiht ist. Auch dort entstanden aber seinerzeit eigenartige Trachten, auch dort entwickelte sich einst die Volkskultur. Mehr dazu erfahren Sie in den folgenden Minuten. Gute Unterhaltung wünschen Olaf Barth und Markéta Maurová.

Die Volkstrachten haben wir schon angesprochen und wollen auch gleich an dieses Thema anknüpfen. Man unterscheidet in Nordmähren zwischen mehreren Regionen und Typen. Auf der nördlichen Seite der Beskiden, im Tal des Flusses Ostravice und in der Tiefebene bis Ostrava/Mährisch Ostrau, spricht man den lachischen Dialekt. Die Tracht und Mundart sind mit der walachischen verwandt, unterscheiden sich aber doch in einigen Merkmalen. Die Frauen trugen weiße Röcke, Schürzen aus Blaudruckstoff, rote Schnürleibchen und auf den Beinen besondere, gefaltete Wollstrümpfe weißer oder dunkelblauer Farbe. Gerade von dem Volk dieses Teils der Beskiden erzählt der Dichter Petr Bezruc in seinen bekannten Schlesischen Liedern. Seine Musikkultur diente als Inspirationsquelle für den Komponisten Leos Janacek, der sie u.a. in seinen Lachentänzen verarbeitete.

Die lachische Tracht gilt als ein Übergang zur Teschener Tracht. In der Region um Cesky Tesin/Teschen, oder ein bisschen breiter betrachtet, im tschechischen Teil Schlesiens finden wir eine prächtige Tracht, die sog. Tracht von Jablunkov. Sie ist durch einen sehr langen Rock gekennzeichnet, den sich die Frauen nicht in der Taille, sondern ein bisschen höher zusammenbanden. Sie trugen weiter ein Tuch- oder Samtleibchen mit einem breiten goldenen Band und ein bespitztes Hemdchen mit breiten Ärmeln. Die Haube war gestrickt oder gehäkelt und vorne durch eine Spitze ergänzt. Die reichen Frauen trugen noch schwere silberne und vergoldete Bänder oder Halsketten und Korallenschnüre. Die Wollstrümpfe, ähnlich gefaltet wie in der Lachei, waren hier rot. Die Mädchen gingen mit freien Haaren, die sie in einen Zopf mit einer roten Schleife banden.

Im Mährischen Tor, rund um Opava/Troppau entwickelte sich ein weiterer Trachtentyp. Er war sehr schwer und prachtvoll. Die Wollröcke waren lang, einfarbig, aber tiefer unter der Taille gesetzt. Das Schnürleibchen bedeckte ein großes Tuch. Die durch Gold bestickten Leinenhauben waren über der Stirn mit einer Spitze gesäumt und weiter durch eine Seidenschleife umgewickelt. Die Troppauer Tracht zierte eine reiche weiße Bestickung auf der Schürze, auf den Ärmeln und auf dem Tuch. Weiter wurde sie durch eine silberne Halskette mit Gedenkmünzen und Granaten geschmückt. Diese Juwelen waren Arbeiten der Goldschmiede aus der Stadt und wurden als Hochzeitsgeschenk gekauft.


Wenn wir von der Volksarchitektur sprechen, sollten wir vor allem hölzerne Sakralbauten erwähnen. In der Region sind diese typischen Kirchen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert bis heute erhalten geblieben. Eine der schönsten Holzkirchen finden wir in Dolni Marklovice, einem Dorf das heute zu Petrovice bei Karvina gehört. Zum ersten Mal wird diese Kirche im Jahre 1360 erwähnt, damals war sie dem hl. Nikolaus geweiht. Wie wir weiter wissen, wurde sie zur Zeit der Reformation durch die Protestanten genutzt, im 17. Jahrhundert aber wieder an die Katholiken übergeben. Die sog. Visitationsberichte aus dem 17. Jahrhundert ermöglichen uns, sich eine Vorstellung über das damalige Aussehen der Kirche zu machen. In einem Protokoll aus dem Jahre 1677 steht z.B.: die Kirche in Marklovice sei ganz aus Holz, sie sei alt und einstmals von Protestanten besetzt worden. Durch diese Besetzung seien die 3 Altäre von den Protestanten entweiht worden. Desweiteren heißt es, die Kanzlei sei bemalt und geschnitzt. Das hölzerne Taufbecken stehe in der Mitte, es könne verschlossen werden und man finde darin reines Wasser in einem Kupferkessel. Die Holzdecke sei bemahlt und auch die Wände sind mit bemalten Brettern verschalt.

Die im Protokoll beschriebene Kirche wurde 1739 abgerissen und durch einen ebenso hölzernen Neubau ersetzt, den wir bis heute bewundern können. Bei diesem Anlass wurde das Patrozinium geändert, war zuvor der hl. Nikolaus der Patron des Gotteshauses, so wurde es nun Christi Himmelfahrt geweiht. Der Bau aus langen Holzbalken wurde nach einem Verfahren errichtet, das über Jahrzehnte und gar Jahrhunderte bewahrt blieb. Zunächst baute man das Hauptschiff, an das sich das engere und niedrigere Presbyterium anschließt. Am Ende wurde ein mächtiger Turm in die Fassade integriert. Er ist viereckig, verengt sich und trägt das erste Stockwerk in Form eines Würfels, den ein Zwiebeldach krönt. Ähnliche Bauverfahren sind in der Region sehr üblich. Erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Türme in den Grundriss der Kirche eingeschlossen. Bei älteren Bauten wurden die frei stehenden Türme zusätzlich mit der Kirche verknüpft, so wie es auch in Marklovice der Fall war.


Wie in anderen Regionen, hat sich auch in Nordmähren die Volksdichtung entwickelt. Unter den Märchen und Volkserzählungen in der ganzen Welt finden wir einen beliebten Typ: Hauptmotiv ist dabei, dass der Held - ein Dieb- seine Kunst nachweisen und einer ranghohen Person, dem Herren, dem Fürsten oder anderen drei Dinge stehlen soll. Mehrere Varianten zu diesem Thema kommen auch in Nordmähren und Schlesien vor. Am häufigsten soll man dort ein Pferd, ein Leinentuch aus dem Bett der schlafenden Eheleute oder einen Ring von der Hand der Ehefrau stehlen. Es liegt auf der Hand, dass dem Helden immer eine List zum Erfolg verhilft. Ähnlich ist es auch in dem Märchen "Von dem Dreißigsten" aus Malenovice:

"Es war einmal ein Schuster, der dreißig Söhne hatte. Alle waren Soldaten und dienten Kaiser Josef. In den Jüngsten, den Dreißigsten, der die Brüder kommandierte, verliebte sich die kaiserliche Tochter. Er wurde ins Schloss eingeladen und erklärte sich auch bereit, die Prinzessin zu heiraten. Der Kaiser beauftragte ihn jedoch zunächst mit drei Aufgaben: "Vor einem Jahr wurde mir mein schönstes Reitpferd gestohlen - gehe in den Wald und bring mir das Pferd zurück." Der Dreißigste kam in das Haus der Waldräuber und bat dort um Einkehr. Als alle Räuber einschliefen, fand er das Pferd, er umwickelte die Hufe des Rosses, damit sie keine Geräusche verursachten, und führte das Tier leise weg.

Der Kaiser war zufrieden, seine zweite Aufgabe war aber schwieriger. Der Dreißigste sollte den Räubern nun einen sprechenden Papagei stehlen. Als er es jedoch in der Nacht versuchte, begann der Vogel zu schreien und weckte die Räuber. Sie fesselten den Dreißigsten und steckten ihn in einen Stall. Am nächstem Tag hackte die Räubermutter Holz. "Mutter, binden sie mich los und ich werde das gesamte Holz spalten", sagte der Dreißigste. Sie kam seiner Forderung nach. Der Dreißigste hackte und hackte und auf einmal - peng!, tötete er die Alte. Dann nahm er den Käfig mit dem Papagei und kehrte ins Schloss zurück.

Aber der Kaiser hatte noch eine Aufgabe. Der Dreißigste sollte nun den Räuberhauptmann bringen. Er nahm also seine Brüder mit und ging in den Wald. Der Räuberhauptmann selbst war allein zu Hause und fragte sie, was sie denn im Wald suchen würden. "Ach - unser Herr ist gestorben und wir suchen einen Baum, aus dem wir einen Sarg für ihn machen. Er war genauso groß wie Sie," antwortete der Dreißigste. Der Räuber half den Brüdern, einen Baum zu finden und als sie den Stamm aushöhlten, kroch er hinein, um die Größe zu messen. Sie machten schnell den Deckel zu, luden den Sarg auf den Wagen und brachten ihn dem Kaiser. Der Kaiser ließ daraufhin unseren Helden zum Offizier ausbilden und stimmte - Ende gut, alles gut - der Hochzeit mit der Prinzessin zu."

Autor: Olaf Barth
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