Novy Prostor

Mittlerweile gehören sie zum Prager Stadtbild: an Eingängen zur U-Bahn und anderen stark frequentierten Plätzen der Prager Innenstadt bieten schweigende Verkäufer das Straßenmagazin Novy Prostor zum Verkauf an. Der Verkauf der Zeitschrift ist jedoch nur Teil eines therapeutischen Konzepts, das Obdachlosen den Weg in ein normales Leben erleichtern soll. Jörn Nuber erklärt, was dahinter steckt:

Seit zwei Jahren kümmern sich Sozialtherapeuten im Rahmen des hauptsächlich staatlich finanzierten Projekts Novy Prostor -was etwa mit "Neuer Raum" zu übersetzten ist- um diejenigen, um die sich niemand mehr kümmert. Zusammen mit den Obdachlosen erarbeiten sie Grundfertigkeiten, die im Arbeitsleben von großer Nützlichkeit sind.

Um die Chance der Obdachlosen auf einen geregelten Arbeitsplatz zu erhöhen, wird der Umgang mit dem Computer erlernt, und jeder Teilnehmer bekommt eine eigene Email-Adresse auf der Novy Prostor Homepage www.1street.cz. Für viele ist das die einzige Möglichkeit offizielle Kontakte zu unterhalten. Aber auch der regelmäßige Verkauf des Magazins gehört zu dem Konzept, das in der Tschechischen Republik so einmalig ist.

Jaroslava Jones, Geschäftsführerin bei Novy Prostor, sieht das Hauptproblem für die Obdachlosen in Tschechien allerdings im öffentlichen Bewusstsein:

Menschen in Krisensituationen sollen hervortreten, damit ihre Probleme Beachtung finden. Was könnte helfen?

"Mehr Häuser zu bauen, mehr Achtung, mehr Offenheit. Und wenn sie als Arbeitskräfte akzeptiert würden, denn viele sind bereit, einfache Arbeiten zu verrichten, bekommen aber nicht genug Angebote. Obdachlose werden in der Regel unterschätzt, und die Leute wollen nichts mit ihnen zu tun haben. Das ist auch ein kulturelles Problem. Die Öffentlichkeit ist dem noch nicht gewachsen. [...] Wenn die Leute einen unserer Verkäufer sehen, denken sie, es wäre ein Bettler und verdächtigen ihn, anstatt mit ihm als einem Menschen in der Krise zu reden und als normalen Teil der Gesellschaft zu akzeptieren. Dabei kann es jedem passieren, dass er innerhalb von einer Woche auf der Straße steht."

Was die Einen als "Samtene Revolution" erlebt haben, war für Andere eine soziale Revolution. Denn während des Kommunismus existierten Obdachlose offiziell nicht. Menschen ohne festen Wohnsitz übernachteten bei Bekannten, lebten in Waisenhäusern, Hospitälern oder im Gefängnis. Nach der Wende lösten sich viele dieser Einrichtungen auf. Insbesondere auch politische Gefangene waren nach ihrer Befreiung hilflos. Diesen Vergessenen wird durch Novy Prostor eine neue Chance gegeben. Sie können jederzeit in die freundlich gestalteten Räumlichkeiten im Prager Stadtteil Branik kommen, wo ihnen die Mitarbeiter von Novy Prostor mit Rat und Tat und zur Seite stehen. Dort haben sie außerdem Zugang zu den Computern, dort trifft man sich zum Schachspielen und dort wird auch ein kleines Weihnachtsfest stattfinden.

Was wünscht sich Jaroslava Jones fürs nächste Jahr?

"Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihre Augen aufmachen und unsere Verkäufer beachten, denn sie sind ganz normale Menschen wie jeder von uns. Die Leute sollen sie freundlich behandeln und natürlich unsere Zeitschrift kaufen, weil sie damit wirklich helfen."

Anfang nächsten Jahres wird Novy Prostor eine Medienkampagne starten. Das von professionellen Journalisten und freiwilligen Mitarbeitern gestaltete Magazin wird tatsächlich von Politikern und Publizisten mehr und mehr geschätzt und soll noch weiteren Leserkreisen erschlossen werden, die offen sind für eine Berichterstattung aus lebensnaher Perspektive. Ziel ist die völlige

Unabhängigkeit von staatlicher Unterstützung und die Finanzierung des Projekts durch den Verkauf von Anzeigen und Exemplaren. Die Hälfte des Kaufpreises von derzeit 25 Kronen geht an den Verkäufer.

Autor: Jörn Nuber
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